„Na also, geht doch”: Der Deutsche Journalistenverband lobt unverhohlen, dass Regierungskritiker an der Ausübung ihres Grundrechts gehindert werden. Eine Interessenvertretung der „vierten Gewalt” gefällt sich als Büttel einer allmächtigen Exekutive – und bestätigt mir, dass mein Austritt richtig war.
“Querdenker”-Demonstration in Berlin, August 2020

Man schrieb das Jahr 1967, als die regierungsfromme Springer-Presse gegen die antiautoritären Demonstranten der APO hetzte. Die Reaktionäre in den Redaktionen von Welt oder Bild frohlockten damals und in den Folgejahren geradezu, wann immer es diesem rebellischen Pack einmal richtig gezeigt worden war. So auch, als am 2. Juni 1967 studentische Demonstranten in Berlin gegen den Besuch des Schahs von Persien protestierten, der in seiner Heimat politische Gegner foltern und töten ließ. Unter die Demonstranten hatte sich eine Gruppe von Persern gemischt, die vermeintlich ihrem Staatsoberhaupt zujubeln wollte, dann aber urplötzlich viele der Studenten mit Dachlatten und Totschlägern attackierte. Es kam zu schweren Gewaltexzessen.

Ein Großteil der Berliner Presse versuchte damals, diese Gewalt den Studenten anzuhängen. Auf einem Pressefoto war eine verletzte Augenzeugin zu sehen. Sie sei „Opfer des studentischen Terrors“, hieß es dazu auf den Titelseiten von Springer-Publikationen – während die Frau in Wahrheit von einem Polizeiknüppel verletzt worden war. Die Veröffentlichung des Fotos eines prügelnden „Jubelpersers“ mit Totschläger in der Hand hingegen wurde von allen Zeitungen Westberlins abgelehnt. Kein Wunder, dass die Studenten der Springer-Presse vorwarfen: „Statt ihrer Informationspflicht zu genügen und wahrheitsgemäß über die Unruhe der Studenten zu berichten, hat sie die Bevölkerung systematisch gegen die Studenten aufgehetzt.“ Später kam zudem heraus, dass die militanten Jubelperser zur Diskreditierung des Studentenprotests vom persischen Geheimdienst engagiert worden war.

Geschichte hat die Tendenz, sich zu wiederholen – auch die Geschichte der Medien. Nur manchmal mit umgekehrten Vorzeichen. Unter der Überschrift „Na also, geht doch“ lobte am 12. April 2021 ein Kommentar im Blog des Deutschen Journalistenverbandes schon im Vorspann: „Am Sonntag hatte die Polizei in Frankfurt die Lage unter Kontrolle und ließ den Demonstranten nichts durchgehen.“ Gemeint waren diesmal keine Studentenproteste – sondern der Versuch einer Kundgebung von „Querdenkern“ auf dem Platz vor dem Hessischen Rundfunk in Frankfurt. Der Ort war nicht zufällig gewählt, denn gerade von den aus Gebühren fast aller Bürger finanzierten Öffentlich-Rechtlichen fühlen sich die Maßnahmengegner journalistisch genauso diskreditiert wie die APO-Aktivisten von 1967 durch den Springer-Verlag.

Doch während die Corona-Maßnahmengegner und Pressekritiker sonst nahezu ungehindert den „Journalisten ihren Hass gegen die Regierung ins Gesicht brüllen“ konnten, so der Kommentar, hatten sie „diesmal die Rechnung ohne die Behörden gemacht. Die erteilten nämlich Demonstrationsauflagen, die offenbar so streng waren, dass der Veranstalter die Demo kurzerhand abblies.“ So konnten die Medienleute in und vor der HR-Zentrale letztlich „ungehindert das tun, was eigentlich überall selbstverständlich sein sollte: ihren Job machen.“ Wie Demonstranten vor dem Gebäude die Journalisten drinnen überhaupt an ihrer Arbeit hätten hindern können, erörterte der DJV nicht weiter. Es gab allerdings gar keinen Job mehr zu machen. Denn wo Dissens im Keim erstickt wird, gibt es auch nichts mehr zu berichten – höchstens zu kommentieren.

Der Tonfall des Autoritären, mit dem sich der betont linke Berufsverband der deutschen Journalisten hier unverhohlen freut, weil das Demonstrationsgrundrecht endlich einmal gründlich niedergehalten wurde, er ist derselbe wie 1967 im damaligen Lager der fest etablierten Deutungsmacht. Betont progressive Journalisten protestierten wenig später Seite an Seite mit der Außerparlamentarischen Opposition gegen Notstandsgesetze der Bundesregierung. Auch die wohlmeinende Journalistengeneration heute hält sie sich für fortschrittlich und liberal – zusätzlich auch für woke, also erwacht – und merkt nicht einmal, wie sehr sie sich selbst vor den Karren eines zunehmend repressiven Macht- und Verbotsapparates spannt, statt sich um Grundrechte oder Meinungsvielfalt oder wenigstens das Verständnis der Argumente auf der Gegenseite zu bemühen.

Klimaschützer-Demonstration in Hamburg, September 2019 (Foto: Publico)

Dass ihnen Protestierer auf einer Demo ihren „Hass gegen die Regierung ins Gesicht brüllen“, damit mögen sich diese Journalistenfunktionäre nicht abfinden, die sich freiwillig die Regierungsbrille aufsetzen. Seit fast 16 Jahren im alternativlosen System Merkel sozialisiert, kennen diese Journalisten nichts anderes mehr als Richtigmeinende – oder eben Hassprediger. Obwohl es bei etwas Nachdenken historisch gar nicht völlig ohne Beispiel ist, dass auf einer politischen Kundgebung regierungskritische Parolen und Meinungen lautstark verkündet werden – vor allem da, wo Mikrofone und Kameras in der Nähe sind. Aus Sicht des DJV scheint das nur dort in Ordnung zu gehen, wo diese Parolen etwa „Verbietet uns endlich etwas!“ lauten, wie ein Schild auf einer Hamburger Klimaschützer-Demo das im September 2019 forderte. Oder, wenn wie am 15. April in Berlin Demonstranten gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts marschieren – manche ohne Maske, und die meisten ohne Mindestabstand.

Aber sie brüllen ja auch keinen Hass gegen Journalisten heraus. Sondern deuten auf einem Plakat schon einmal an, dass das Bundesverfassungsgericht angezündet werden könnte, wenn es sich noch einmal ein Urteil wie das gegen den Berliner Mietendeckel erlauben sollte.

Seine Genugtuung über das Demo-Aus bezieht der DJV-Kommentator vor allem aus seiner Wahrnehmung, Querdenker-Demos seien Brutstätten regelmäßiger Gewaltausbrüche gegen Journalisten. „Im Wochentakt“ gebe es Übergriffe: „Rempeleien, Prügel, Steinwürfe. Viel zu oft blieben die angegriffenen Korrespondenten allein. Von Polizeischutz keine Spur.“ Den „Wochentakt“ hätte ich in dem DJV-Kommentar gerne belegt gefunden. Das entlarvende Foto zum Kommentar zeigt eine für sich allein stehende ältere Dame im roten Mantel mit Protestschild um den Hals; ihr entgegen stellen sich drei hochgerüstete Bereitschaftspolizisten.

Es ist natürlich völlig indiskutabel, wenn Journalisten aus einer demonstrierenden Menge heraus angegriffen werden. Ich habe selbst große und kleinere Querdenker-Demonstrationen beobachtet und kann nur von meinen eigenen Erfahrungen berichten: Vielleicht mit Ausnahme von Kirchentags-Friedensdemos in den Achtzigerjahren sind mir keine braveren, zivileren und bürgerlicheren Kundgebungen in Erinnerung als diejenigen der Coronamaßnahmengegner. Und das sage ich ganz unabhängig davon, was von ihren Argumenten zu halten sein mag. Es wäre auch interessant, die Übergriffe von Demonstranten auf Corona-Kundgebungen einmal mit den routinierten linken Demos zum 1. Mai in Berlin und Hamburg oder im Hambacher Forst zu vergleichen. Dort kommt es laut Berichterstattung gern einmal zu „Rangeleien“, oder es heißt in schöner Passivkonstruktion: „Steine flogen“.

Wer als Berichterstatter auf Kundgebungen gegen Corona-Maßnahmen andere Erfahrungen gemacht hat, sollte zumindest eine Möglichkeit ins Auge fassen: Was sich an Gewaltszenen bisweilen – und keineswegs im „Wochentakt“ – an den Rändern dieser Proteste zuträgt, könnte wie 1967 aus einer nahezu undurchdringlichen Grauzone herrühren. Diese Grauzone wird bestimmt von ungebeten mitlaufenden Spinnern, Provokationen durch militante Gegendemonstranten, politischem Druck auf die Polizeikräfte vor Ort, Härte zu zeigen, und durch mediales Framing. Der Journalist Boris Reitschuster hatte vieles davon in langen Live-Videostreams von Querdenker-Demonstrationszügen dokumentiert (die allerdings mittlerweile von der YouTube-Zensur gerne einmal mittendrin abgeschaltet werden). Und wer in den gutmeinenden Zeitungen und Sendern die Nase über Reitschuster rümpft, muss sich fragen lassen: Wo bleiben eure Berichte über diese Demonstrationen, einschließlich der Gespräche mit dem Demonstranten?

Dass sich ein Berufsverband der sogenannten vierten Gewalt mit solchem Wegblenden und Ausknipsen von Protest behaglich arrangiert hat, dass er selbst in seiner Mehrheit Teil der Verbots- und Niedermach-Kultur geworden ist, dass er nicht nur klammheimliche Freude zeigt, wenn Kritiker von Regierungsmaßnahmen um ihr Recht auf politisches Gehör kämpfen und dabei der Ordnungsmacht unterliegen – all das bestätigt mich in meinem Schritt vom vergangenen Jahr, nach langjähriger Mitgliedschaft aus dem DJV ausgetreten zu sein. Die Fälle politischer Einseitigkeit, durch Corona noch einmal verstärkt, hatten sich unter dem Vorsitz des WDR– und taz-Journalisten Frank Überall schon zuvor bei anderen Gelegenheiten gehäuft.

Es ist erschreckend und für unsere Demokratie bedrohlich, wie sehr der DJV und die Leitmedien, die er in erster Linie vertritt, inzwischen erste (gesetzgebende), zweite (exekutive) und dritte (judikative) Gewalt in einem zu imitieren versuchen. Nur die vierte wollen sie nicht mehr sein: Kontrolleurin der Mächtigen. Das vierte Bein, auf dem unsere freiheitliche Nachkriegsordnung stehen sollte, droht damit wegzuknicken – während das Ganze ins Taumeln gerät.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in Alexander Wendts Magazin Publico. Er wurde außerdem von der Jüdischen Rundschau übernommen.