Print lebt – und Holz trägt überraschende Lesefrüchte: ViER, das neue medienkritische Magazin aus dem Hinterland, ist Ausdruck einer unterschwelligen Umwälzung. Abseits der Metropolen beginnt sich der Unmut über die “Lückenpresse” gerade erst zu artikulieren.

Cover-Star mit Aufmerksamkeitsgarantie: Neuerscheinung “VIER”

Wenn man so über all das nachdenkt, über die Hysterie und das Hyperventilieren, die Manie und die Depression, die in den überfüllten Metropolen dieses Landes seit Pandemiebeginn brodeln wie in einem Druckkochtopf: Vielleicht kommt die Hoffnung ja geradezu zwangsläufig aus der Provinz. Aus dem toten Winkel.

Oder kannten Sie bislang Uwe Strachau aus Melle? Oder wussten wenigstens, wo das liegt? Eben. Wikipedia klärt auf: Das 50.000-Einwohner-Städtchen findet sich im Landkreis Osnabrück in Niedersachsen. Und eben dort, darüber wusste die Online-Enzyklopädie aber auch nichts, verdiente Strachau bislang sein Geld mit der Herausgabe von Anzeigenblättern.

“Dieses Geschäft ist – wie viele andere auch – durch die Corona-Maßnahmen weitestgehend zerstört worden”, berichtet Strachau.  

Es war bei ihm (Jahrgang 1961) aber schon zuvor ein Prozess der Entfremdung in Gang gekommen. Bei Strachau ging er nur einen entscheidenden Schritt weiter als bei Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschen in den Melles dieser Republik. Wie sie fühlte auch er sich nicht mehr zuhause im Neuland der Verbote, des Richtigmeinens, Ausgrenzens, Kaltstellens und Fertigmachens, des Kohorten-Gehorsams und der stumpfen Nibelungentreue zu Regierenden weit jenseits des politischen Verfallsdatums. Strachau beschloss, etwas zu ändern.

Medienmacher Strachau: Notizen aus der Provinz (Foto: VIER)

Von Hause aus eigentlich Kaufmann, wurde Strachau Journalist in eigener Sache. Das mag wie ein absurder Verzweiflungsakt erscheinen, denn warum sollte in der heutigen Medienlandschaft noch jemand Journalist werden wollen, um der Wahrheit nachzujagen und aufzuklären? Aber genau das war Strachaus Motiv: “Ich habe das Gefühl, dass sich unsere Gesellschaft mit Hilfe der Medien in eine gefährliche Richtung bewegt, weg von einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft und hin zu autokratischen Strukturen. Dieser fatalen Entwicklung muss meiner Meinung nach dringend Einhalt geboten werden – bevor es zu spät ist.”

Und nun liegt im Ergebnis also “ViER” auf dem Tisch. Wegen der “vierten Gewalt”. Sie wissen schon, die trotz allem immer noch den Journalisten zugesprochene Kontrollfunktion gegenüber der Macht. Mit der Medienmenschen sich einst geschmückt haben, solange es Haltungspunkte brachte. Die aber inzwischen gar nicht mehr sooo hoch im Kurs steht.

Denn wer die Mächtigen und die herrschenden Ideologen kontrollieren will, bekommt keine Subventionen von ihren. Keine kostenlosen Banketts, keine Überlebenshilfen gegen das Zeitungsjobsterben, keine Regierungssprecher- oder Kulturstaatssekretärsposten nach Ende der Chefredakteurslaufbahn. Wer der politischen und wirtschaftlichen Macht ernsthaft Argumente entgegensetzen will, steht außerdem mit einem Bein im sozialen Abseits und mit dem anderen im Gerichtssaal.

Zumindest in den Metropolen. Dort, wo in den besseren Quartieren des Establishments hinter der nächsten Ecke die Peers lauern könnten, die Kollegen und Konkurrenten, die Lokalpolitiker und die anderen Einflussreichen. Wo man eventuell nicht mehr zur nächsten Party eingeladen würde, wenn man nicht jederzeit den Katechismus der gemeinsamen Glaubenssätze aufzusagen bereit wäre. Wo man sich am Ende gar in deren Ecke gestellt fände. Und dann nicht mehr Teil des Establishments wäre. Und alles geriete ins Wanken.

In den Melles zwischen Flensburg und Regensburg ist das anders. Entspannter. Weniger prätenziös und panisch. Nicht, dass die Polarisierung nicht auch bis dort gedrungen wäre, keine Freundschaftsbande durchschnitten oder Twitter-Lynchmobs aktiviert hätte – all das passiert auch in der Provinz. Aber noch leben dort in der Mehrheit die Menschen, die sich in ihren überschaubaren Lebenswelten kopfschüttelnd auf all das einen Reim machen müssen, was in Berlin und anderen vermeintlichen Hochburgen der Intelligenzija ausgebrütet und vorgebetet wird. Noch am ehesten können es sich diese Unbeachteten leisten, selbst zu denken und den Erkenntnissen dann bisweilen auch Taten folgen zu lassen.

Und wenn es nur die Sternfahrt zu einer bunten, an den Rändern versponnenen, aber ganz überwiegend friedlichen und ernsthaften Hauptstadt-Demonstation gegen Grundrechtsentzug und Coronapolitik ist. Dafür dürfen sich die Provinzler dann von den Exponenten der Metropole verspotten und durch ihre Polizei vom Hof jagen lassen. Und es wird – vor allem auch medial – alles dafür getan werden, dass sie kein zweites Mal mit ihren Reisebussen anrücken.

Über solche Phänomene und aus dieser Perspektive berichtet Strachau ab jetzt in ViER. Zweimonatlich soll sein Magazin herauskommen, immer unter einem Oberthema, das die Mainstreammedien je nach politischer Großwetterlage gerade über- oder unterbelichten. Im ersten Heft geht es deshalb, was sonst, um Corona und die Folgen.

Strachau-Story in der Erstausgabe: wachsendes Unbehagen als Antriebskraft

Erstaunlich und trotzdem eigentlich kein Wunder, dass Strachau gleich zu Beginn ein kleines Who-is-Who der prominenten Ausgesperrten auf seinen Seiten versammeln konnte: von Dushan Wegner über Milosz Matuschek bis zum Cover-Star der Erstausgabe, dem in Acht und Bann geschlagenen Epidemiologen Sucharit Bhakdi. Letzterer wurde – von YouTube über seine ehemalige Universität Kiel bis zum Bundesinnenministerium – von allen Wächtern wahrer Wissenschaft verstoßen. Zudem erhielt er noch von der die “Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften” den Verhöhnungspreis “Goldenes Brett vorm Kopf 2020”.

Strachau macht also Ernst mit der Absicht, dorthin zu gehen, wo die Minenfelder Abstand gebieten. Denn es kann ja sein, dass manche oder sogar viele Argumente der Coronapolitik-Kritiker und der “abweichenden” Wissenschaft falsch sind. Sie aber vorsorglich komplett zu ignorieren und in bislang nie dagewesener Weise zu verfemen, anstatt – sehr viel mühsamer als moraltriefende Ächtung – sie in offener Debatte zu widerlegen, das sieht Strachau als das grundsätzliche Versagen des Mainstrams an.

ViER ist sein in jeder Hinsicht ambitioniertes Projekt einer Gegenöffentlichkeit. Umso mehr, als es sich vom Konzept her um ein reines Printprodukt ohne parallele Online-Version handelt – dafür aber in fünfstelliger Startauflage und mit bundesweiter Orientierung. Der Magazingründer kommt von den bunten Anzeigenblättern her, das sieht man dem mit Bordmitteln gebastelten Layout von ViER auch deutlich an. Strachau meint aber zu wissen, dass Gedrucktes landauf, landab immer noch als glaubhafter gilt als Botschaften aus Pixeln, die physikalisch gar kein Gewicht haben und das auch mit hippem Grafikdesign nicht wettmachen können.

Man muss sich nichts vormachen, und er selbst wird es auch nicht tun: Zu Anfang werden die Richtigmeinenden aus den Großstädten Strachau nicht einmal ignorieren. Sie haben es auf kurze Sicht kaum nötig, ihn als überspannten Hinterwäldler zu verspotten, der auch mal bei den Großen mitmachen will. Seine Crowdfunding-Kampagne mit einem Spendenziel von 20.000 Euro dümpelte kurz vor dem Erstverkaufstag bei gut 1500 Euro.

Sollte der Macher aus Melle aber auch nur im Ansatz erfolgreich sein mit seinem Magazin, dann werden sie all die üblichen Geschütze auffahren. Da nützte es auch nichts, dass das Blatt nach Strachaus Bekunden “allen politischen Parteien gleich fern” steht, weil er den heutigen Zustand des Parteiensystems strukturell als Teil des Problems und nicht der Lösung versteht. Nein, sie werden “Verschwörungstheoretiker!” und Schlimmeres über ihn ausschütten, immer nach der vielfach bewährten Maxime, dass irgendwas schon am Herausforderer klebenbleiben dürfte.

Doch dann hätten die Eiferer trotzdem ein echtes Problem. Für die Inhaber der Deutungshoheit wäre es ein weiterer Nagel zum Sarg, wenn sich Strachau als Pionier einer neuen, mittelständischen und mittelstädtischen Medienszene entpuppte, die gegen alle ungeschriebenen Gesetze der “vierten Gewalt” einfach aus Überzeugung ihr Ding machen könnte – und ein dankbares Publikum fände. Nicht nur in Melle.


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