Heute habe ich auf einem Hamburger Schulhof gestanden und versucht, mit einer professionellen Angelrute ein Plastikgewicht an einer Angelschnur über eine Strecke von zehn Metern in ein eigens dafür auf dem Pflaster ausgelegtes Fadenkreuz zu schleudern, ähnlich einer Dartscheibe. Ich habe pendelnd geschleudert, seitwärts und über Kopf. Viele Male. Viele Male erfolglos. Am Ende immerhin nicht ganz so erfolglos wie am Anfang. Man muss auch offen für Neues sein.

Ich bin offen für Neues und, wenn alles gut geht, in genau einer Woche ausgebildeter und staatlich geprüfter Angler. Nein, halt: Ich bin dann Fischer. Ich mache schließlich die Fischerprüfung und nicht die Angelprüfung. Und erhalte den Fischereischein und nicht den Angelschein, wie blutige Laien sagen würden, die von nichts eine Ahnung haben. Ganz genau genommen werde ich Fischereiausübungsberechtigter sein, im Gegensatz um Fischereiberechtigten, der außer der Berechtigung zum Pachten eines Fischereigewässers auch Pflichten hat, nämlich zum Beispiel die Hegepflicht, aber das führt zu weit.

Siezen hat Würde

Wir nehmen das übrigens sehr genau, mein Ausbilder vom Anglerverein Frühauf von 1910 e.V. und ich. Er wird zum Beispiel nicht müde zu betonen, dass die anstehende Prüfung eine staatliche ist, die Prüfungssprache Deutsch ist und Dolmetscher demzufolge verboten sind. Ich will gar keinen Dolmetscher, aber vielleicht habe ich mich mit der Rute heute allzu dämlich angestellt. Wobei ich es klasse finde, dass er mich siezt und nicht duzt. Ich hasse die grassierende Duz-Seuche, aber ich bin ja auch bald ein halbes Jahrhundert alt. Siezen hat Würde, Siezen lässt Luft zum Atmen, Siezen schützt vor Bussibussi. Das ist also schon mal prima.

Er siezt auch die anderen rund 45 Fischereiausübungsberechtigungskandidaten in meinem gesteckt vollen Kurs im Vereinsbüro mit den sehr schlechten Klappstühlen an der sehr lauten Hauptstraße. Von denen, um das nicht zu verschweigen, nur rund fünf weiblichen Geschlechtes sind, die anderen sind Männer wie ich, in den besten Jahren zwischen 30 und 50, gerne mit Hemd aus der Hose und vielfach unter überdurchschnittlichem Bartwuchs leidend. Und mit einem wehen Blick in eine unbestimmt Ferne, der sagt: Ich liebe die Einsamkeit der Natur, aber vor allem liebe ich die Kippe im Mund in der Einsamkeit der Natur. Erstaunlich, wie viele Fischereiausübungsberechtigungsassessoren es vorziehen, sich und ihre Umwelt in Gottes freier Natur zu vergiften statt im viel näher liegenden Mief ihrer Etagenwohnung, aber man kann sich’s nicht aussuchen.

Die Frauen in meinem Kurs rauchen übrigens nicht weniger, sie haben nur weniger Bartwuchs.

Für die Insider unter meinen Lesern, diejenigen, die wie ich unter dem familiären oder ganz und gar unerklärlichen Zwang stehen, sich Angelvideos auf  YouTube anzusehen: Manche der Frauen erinnern tatsächlich an Babsikowski, und damit aber auch schon genug an dieser Stelle von Anglerhumor und Anglersex. Falls es so was gibt. Nein, gibt es nicht. Wer weiß.

Kommunikation – ein rares Gut

Jedenfalls. Ich stehe also auf dem Schulhof und werfe meine Angel aus, um diese riesige, hubschrauberlandeplatzgroße Zielscheibe zu treffen, ein ganz normaler Vorgang an und für sich. Das ist sicher jedem schon mal passiert. Und sicher ist auch jedem dabei schon mal das kleine Plasikgewicht, wo eigentlich später der Angelhaken sitzen soll, in den mächtigen, zentral positionierten Kastanienbaum geflogen. Vielleicht auch mehrmals.

Aber nicht unbedingt sechzehnmal wie mir – wenn ich die Male mitzähle, wo sich das Ding in Schulhofbänken, Sträuchern oder den Angelschnüren meiner Mitbewerber verheddert hat. Das sorgt immerhin für Kommunikation, und das ist unter Anglern, wie die meisten ahnen dürften, ein ganz rares Gut. Vielleicht schwingt eine Spur Mitleid in dieser Kommunikation mit.

Gottseidank wird das reale Rutenauswerfen nicht Teil der Fischerprüfung sein. Die Fischerprüfung ist ein Mutiple-Choice-Test und wie gesagt, Dolmetscher sind nicht zugelassen. Ich möchte hier an dieser Stelle einmal nicht ohne Stolz kurz darauf hinweisen, dass ich mich in diesen Wochen beim Anglerverein Frühauf von 1910 e.V. auf schlechten Klappstühlen an lauten Hauptstraßen durch 368 Fragen aus 6 Wissensgebieten arbeite, die man mit a, b oder c beantworten kann. Jeder der 6 Unterrichtsabende ist einem der Gebiete gewidmet, und an jedem kriegt man etwa (nicht gefühlt, sondern tatsächlich) 286 Powerpoint-Folien gezeigt, die alle von einem Hobbymultimediaspezialisten angefertigt worden sind. Manche zeigen Farbfotos, auf denen man einen Fisch erkennen soll, der sich aber gerade hinter einem Stein versteckt.

Das ist dann schlecht, denn in der Prüfung werde ich manche Fragen serviert bekommen, bei denen es gilt, unter drei Skizzen von drei verschiedenen Fischen die in Bezug auf die Frage korrekte Art herauszufinden. Und ich weiß noch nicht mal, wie die Fische heißen, die sich hinter den Steinen verstecken. Aber spezielle und allgemeine Fischkunde kriegen wir ja auch erst kommende Woche.

Papierschere ist immer falsch

Was wir schon hatten, war Tier- und Umweltschutz. Auf welcher Abbildung wird der Fisch nach den Vorschriften der Tierschutz-Schlachtverordnung richtig betäubt. Nun, dazu kann ich im Brustton der Überzeugung sagen: Nicht auf der, wo jemand ausholt um mit einer Papierschere zuzuschlagen. Bleiben a oder b. Aber bei b schlägt jemand dem kieloben gehaltenen Fisch auf den Bauch, das kommt mir nicht tierschutzschlachtverordnungsgerecht vor.

Sehr schön, klar und einleuchtend ist übrigens der vom Gesetz einzig anerkannte “vernünftige Grund”, warum ein Mensch einen Fisch aus dem Wasser ziehen wollen sollte. Dieser Grund ist nicht, dass er ein Selfie von sich und dem Acht-Meter-Hammerhai machen will. Sondern: dass er ihn essen will. Nehmt das, Vegetarier! Und da heißt es immer, deutsche Juristen hätten keinen gesunden Menschenverstand.

Ich melde mich dann nächsten Samstag wieder, wenn es heißt: Brandungsrute, Pilkrute oder Kopfrute? Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Egal, wenn du auf Kastanien angelst.