Vielleicht sollten die Deutschen mit ihren vielen Phobien vor Nazis, Meinungsfreiheit oder Klimawandel zur Abwechslung mal versuchen, den Elefanten im Raum wahrzunehmen. Im Hamburger Hafen spreizt sich dieser Elefant derzeit grimmig, grau und fast 300 Meter lang.
Ich will mich ja nur ungern wiederholen, aber bitte hören Sie doch: Tick. Tack. Tickeditack. Ja, da ist es wieder, schneller als beim letzten Mal. Vielen würde das Ticken ohne diese kleine Achtsamkeitsübung gar nicht bewusst werden, wo sie doch jetzt so konzentriert mit Glühweinsaufen und Weihnachtsshopping dagegen ankämpfen. Aber leider, sorry: Tick. Tack.
Was mich ein wenig wundert ist, dass Sie keine Angst haben. Sie haben doch sonst vor allem Angst, wovor man Angst haben sollte. Vor Nazis. Vor dem Klimawandel. Vor Meinungsfreiheit. Vor dem sozialen Abstieg. Und trotz allem, was mittlerweile bekannt geworden ist, vor Corona! Nur vor dem Dritten Weltkrieg haben Sie keine Angst.
Das auf dem Bild oben ist ein Flugzeugträger, eine fürchterliche Massenvernichtungswaffe. Verständlicherweise hat hierzulande kaum jemand eine Vorstellung davon, denn so etwas gehörte in der bislang kuschelpazifizierten Puppenstube Deutschland nicht zum Inventar. Aber dieses Mindset wird gerade umgebaut. Darf ich vorstellen: HMS Queen Elizabeth. Einer von zwei baugleichen Trägern der britischen Royal Navy, fast 300 Meter lang, 2017 in Dienst gestellt, rund 3,5 Milliarden Pfund oder Euro oder Dollar teuer, ist ja eh egal in der Preislage. Ausgerüstet mit bis zu 40 Mehrzweckkampfflugzeugen, aber auch Hubschrauber sind eine Option. Von der Brücke der Queen aus können Sie allein es mit einem ganzen Entwicklungsland aufnehmen. Oder, als Teil einer NATO-Streitmacht, mit Russland.
Und deswegen sind die Briten dieser Tage hier in meiner Stadt Hamburg vor Anker gegangen. Bizarrerweise machte ihr Todesträger im Hafen gleich gegenüber vom Hamburg Cruise Center fest. Die Kreuzfahrt-Enthusiasten dürfte dieser stumpfgraue Fremdkörper im Wasser verstört haben. Jedenfalls, die Briten ziehen gerade in den Krieg. Gegen Russland. Noch nicht mit diesem Schiff, aber mit anderen schweren Angriffswaffen (dazu weiter unten). Während sich Deutschland – und das ist das Einzige, was ich meinem Land zugute halte – immer noch ziert, seine „Taurus“-Marschflugkörper für Angriffe auf russische Ziele herzugeben. Einer der unfähigsten und gescheitertsten Bundeskanzler aller Zeiten ist ironischerweise immer noch derjenige, der gegen den Widerstand der Grünen bis jetzt den letzten dünnen Vernunftsfaden vor dem Reißen bewahrt.
Ganz anders prescht „Joe Biden“ vor, oder besser gesagt Akteure im Hintergrund, während der dahinscheidende Präsident mit Mühe sein Frühstück bewältigt: Vor drei Tagen wurden in seinem Namen US-Langstreckenraketen zum Abschuss auf Russland freigegeben. Und vorgestern flogen dann auch schon die ersten. Die entscheidenden Knöpfe drückte nicht die ukrainische Armee, oder was davon noch übrig ist. Sie gab nur Namen und Uniform dafür her. Für das „Go!“ braucht es NATO-Satelliten und NATO-Spezialisten, die in ihren Hightech-Zentralen hochkomplexe Überwachungsdaten auswerten und Zielkurse berechnen. Also Amerikaner, Franzosen oder Briten. Ukrainer haben nicht die Mittel dazu.
Putin hat daraufhin jetzt die Atomkriegsregeln seines Landes geändert: Ab sofort müssen Atommächte und deren Vasallenstaaten auch dann mit nuklearen Vergeltungsschlägen Moskaus rechnen, wenn sie Russland in massiver Form mit konventionellen Raketen oder Luftstreitkräften attackieren.
Das empört Sie jetzt vielleicht, aber der russische Präsident sieht seinen Ukraine-Feldzug keineswegs als unprovozierten Angriffskrieg aus heiterem Himmel, wie es Ihnen die Tagesschau sowie alle anderen Qualitätsmedien dieses Landes unter dem Einfluss von Politik und US-Geheimdiensten seit bald drei Jahren pausenlos weismachen. Und er kann gute Argumente für seine Sichtweise vorbringen.
Da Putin aber für viele im Westen ebenso wie Trump mittlerweile das personifizierte Böse darstellt: Vielleicht glauben diese Menschen ja Jeffrey Sachs? Der renommerte US-Ökonom und frühere Professor der Columbia-Universität hat einige geostrategische Hintergründe des Ukrainekrieges kurz und knapp erklärt. Auf TicToc gibt es seine Ausführungen in Bild und Ton für heutige Aufmerksamkeitsspannen formatiert:
Wo nun die roten Linien Moskaus durch die US-Raketen schon ein weiteres Mal überschritten waren, wollte London jetzt aber auch mal. Schließlich kennen sich nicht nur die Amis mit Imperialismus und Stellvertreterkriegen aus, sondern der „Commonwealth“ war ja auch mal eine weltpolitische Nummer. Und so griffen gestern britische Langstreckenraketen Russland an – wiederum natürlich von ukrainischem Gebiet und ukrainischen Stellungen mit ukrainischen Mannschaften aus. Damit wurde mühsam die lästige Form der „nicht unmittelbaren Beteiligung“ gewahrt.
Vielleicht kommen morgen die Franzosen hinzu. Macron ist ja schon lange sehr scharf darauf, ungehemmt mitmischen zu dürfen. Und wer weiß, vielleicht reißt das auch endlich diese zickigen Deutschen mit.
So wie zum Beispiel Peter Tschentscher. Nicht, dass ein Provinzpolitiker wie er in Kriegsdingen irgendwas zu sagen hätte, bewahre. Aber unser Hamburger SPD-Bürgermeister hat das Talent und die Flexibilität, jederzeit die mächtigen Interessen anderer zur eigenen Staatsräson erklären zu können. Das hat er während Corona gezeigt, als er sich von niemandem in Scharfmacher-Rhetorik und Maßnahmenhärte übertreffen ließ, bis hin zu Ausgangssperre, Schulschließungen und zum U-Bahn-Verbot für „Ungeimpfte“. Dass das alles hysterisch, gesellschaftsspaltend, weitgehend sinnlos und sogar extrem schädlich war, außer für Big Pharma – vom studierten Mediziner kein Wort der Zerknirschung bis heute.
Und nun, in Zeiten des bevorstehenden Großen Krieges, verbreitet Tschentscher erneut das Vokabular der Saison. Ob dadurch die Chancen für Diplomatie und Friedenslösungen jeden Tag ein klein wenig mehr pulverisiert werden: egal! Hauptsache, in seinen Kreisen gilt er als verlässlicher Kader. Diese Kreise sind nun derzeit britische und deutsche Militärs in schmucken Ausgehuniformen, da Flottenbesuch aus England in town ist. Und mit dem „Kriegshafen Hamburg“ hat der SPD-Politiker offenbar sein PR-Thema gefunden (nicht nur die Bundestagswahl droht im Februar, auch die Hamburger Bürgerschaft wird gewählt).
Vor acht Wochen hatte Tschentscher bereits gegenüber dem Hamburger Abendblatt orakelt, im Kriegsfall könne es „zum Beispiel sein, dass die NATO unseren Hafen in Anspruch nehmen muss“. Und zack, schon nimmt der NATO-Partner Großbritannien ihn gewaltig in Anspruch! Wofür genau der zu uns entsandte Flugzeugträger hier außer zum Schaulaufen gebraucht wird, darüber sind schon wildeste Spekulationen im Umlauf.
Bei meinem gestrigen Flottenbesuch zum Abfotografieren der Kriegsmaschine spazierte ich in eine Patrouille britischer Marinesoldaten mit automatischen Waffen, die einer „Sicherheitszone“ um den Träger Geltung verschafften. Man kann nicht vorsichtig genug sein, auch wenn noch ein ganzes Hafenbecken dazwischen liegt.
Unser Bürgermeister ließ es sich unterdessen nicht nehmen, bei einem Empfang in Anwesenheit des britischen Generalkonsuls auf Englisch zu schwadronieren: Der Besuch der Queen Elizabeth sende ein Signal gen Osten, denn zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg sei die NATO wieder einer direkten militärischen Bedrohung ausgesetzt. Was das für eine Bedrohung sein soll, außer die einer Gegenwehr, weil bereits zwei NATO-Armeen von der Ukraine aus mit NATO-Raketen Russland attackieren, blieb unerwähnt.
Von Invasionsdrohungen gegen Hamburg und Truppenaufmärschen an den Westgrenzen des von der NATO zunehmend strangulierten Russland ist jedenfalls nichts zu bemerken. Die russischen Normalbürger scheinen sich ohnehin selbst zu genügen, sind sie doch trotz aller Sanktionen laut CIA jetzt beim realen Bruttosozialprodukt am abstürzenden Deutschland (und auch an Japan) vorbeigezogen. Nebenbei: Nicht Russland hat seine eigene Gasleitung Nordstream 2 gesprengt. Aber es ist wie bei Corona: Die tausendfache, gezielte Wiederholung von Bullshit produziert ihre eigenen Wahrheiten.
Und sie setzt eine Eigendynamik in Gang, die mich einmal mehr fassungslos zurücklässt. So bereite die Bundeswehr derzeit die Wirtschaft mit einem „Operationsplan Deutschand“ auf den Fall einer „Ausweitung des russischen Angriffskriegs“ vor, schrieb wieder einmal völlig kritiklos das Hamburger Abendblatt von gestern. Natürlich ist das Papier „in den Details geheim“. Das hilft den Unternehmen sicher dabei, sich noch besser auf die neue Normalität vorzubereiten.
Allen Ernstes wird in dem Plan die „Rolle der Wirtschaft“ im Ernstfall geregelt, einschließlich wertvoller Empfehlungen wie dieser vom Abendblatt zitierten: „Bilden Sie auf hundert Mitarbeiter mindestens fünf zusätzliche Lkw-Fahrer aus, die Sie nicht benötigen“, so der Chef des Landeskommandos Hamburg der Bundeswehr. Denn diese fünf Fahrer könnten dann an den Lenkrädern der Firmenflotte die Osteuropäer ersetzen, die nämlich im Krieg gegen Russland vermutlich einfach desertieren würden. Man kann sich das alles nicht ausdenken.
Tick. Tack. Tick. Tack. Was wohl nun die nächste Eskalationsstufe zwischen „West“ und „Ost“ sein wird? Klar scheint nur eins: Sie folgt in Kürze. Es sind nur noch zwei Monate, bis die Trump-Regierung antritt und womöglich gar Friedensverhandlungen einleiten könnte. Bis dahin haben die Profiteure Zeit, das gewinnsteigernde Maximum aus den Arsenalen herauszuholen. Und da Sie nicht dagegen demonstrieren, nicht protestieren, nicht boykottieren, nicht anders wählen, wird es auch dazu kommen. So sicher wie das Amen in der Kirche.
Selbst im Frieden geboren, trage ich in mir das Gen der Kriegstraumatisierung aus einer Generation vor meiner Zeit. Und dieses Gen, ein ebenso nützliches wie terrorisierendes, lässt seit Monaten alle meine Alarminstinkte anschlagen. An die Adresse der Besatzung der HMS Queen Elizabeth geht daher mein alternatives Grußwort, nicht von Tschentscher autorisiert: Kriegstreiber wie Sie ziehen den Krieg an! Meine Gäste sind Sie nicht! Hier in Hamburg sind Sie nicht willkommen!
*) Nachtrag: In der Überschrift dieses Beitrags habe ich nach Veröffentlichung die wörtliche Übersetzung des amerikanischen Spielfilmzitats „Be afraid, be very afraid“ wie oben sichtbar geändert. „Ängstlich“ ist ein Lähmungszustand, Besorgnis kann aktivierend sein.
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