TWASBO-Herausgeber Oliver Driesen fragte mich, ob ich einen Text über die Kriegs-Sehnsucht unserer westlichen „Eliten“ schreiben wolle – darüber, warum sie vor allem Deutschland so unverhohlen in den Ukraine-Konflikt hineinzuziehen versuchen. Ehrliche Antwort: Nein.

Ich weiß doch auch nicht, was die Kriegstreiber treibt. Rational ist die heißlaufende Eskalationsspirale überhaupt nicht mehr zu verstehen. Alleine schon der augenfälligste aller Widersprüche: Einerseits malen die ehemals radikalpazifistischen, nun waffenstarrenden Grünen Horrorszenarien über die Risiken der Atomenergie an die Wand oder erfinden sie gleich (etwa die wiederholte Falschbehauptung, Fukushima hätte mit seinen Todesopfern gezeigt, wie tödlich Kernenergie sein kann). Andererseits aber beschwören sie eine reale Atomkriegesgefahr herauf und nehmen dieses größte aller Risiken kaltblütig hin. Das geht über meinen Verstand. Ebenso irrwitzig erscheint das Kultivieren der Angst, wir könnten den Klimawandel nicht überleben, während das bisschen Atomkrieg keine Panik schüren soll.

Glauben die Wahnsinnigen wirklich an ihr Narrativ, in der Ukraine werde die Freiheit der westli­chen „Wertegemeinschaft“ verteidigt? Schwer vorstellbar, so offenkundig unsinnig, wie diese Vorstellung in einem Land mit nicht-westlicher Kultur und Geschichte ist. Was treibt die Kriegstreiber dann? Wenn Journalismus heißt, Schneisen in den Dschungel einer hyperkomplexen Realität zu schlagen, die uns alle überfordert, will ich dies hier versuchen.

Schneise I: Welchen Interessen kann eine deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg dienen?

Die Erklärungsversuche gliedern sich hier in vier Kategorien – keine davon kann überzeugen, solange man noch nicht völlig überdreht ist.

Ökonomische Interessen

Deutschlands Interessen wären das wohl kaum, so viel Geld wie das Land durch Sanktionen gegen Russland verbrennt, um nahezu ausschließlich sich selbst zu schaden. Interessen der USA, die „uns“ nun ihr teures Fracking-Gas andrehen können? Schon eher. Doch warum sollten „wir“ amerikanische Exportförderung zu unseren Ungunsten ankurbeln?

Weiter: Interessen der Rüstungsindustrie, deren Aktien steigen, je mehr Pulver­dampf den Verstand vernebelt? Mit Sicherheit. Denn „Deutschland will den vom Rüstungshersteller Reinmetall hergestellten Kampfpanzer Leopard an die Ukraine liefern – Rheinmetall-Aktien ziehen an.“ Oder dieser herzerfrischende Zynismus: „Die Anleger-Stimmung bei Hensoldt in den Diskussionsforen der sozialen Medien ist insgesamt besonders positiv.“ Man beachte die Sprünge der Aktie des Rüstungskonzerns Ende Februar 2022 und heute.

Offen bleibt vorerst, welche Lobbyisten auf der Entscheidungsebene (vulgo: Regierung) da ihr mieses Spiel spielen.

Moralische Interessen

Unbedingt. „Wir“ sind die Guten, wir befreien die Welt von allem Bösen. Ist nicht Außenministerin Baerbock mit dem Anspruch angetreten, sie wolle „die Krisen dieser Welt lösen“? Ein klarer Fall von Größenwahnsinn und Selbst­überschätzung. Wobei diese Ingredienzien bei Moralaposteln und Utopisten unvermeidlich sind.

Und wenn selbst Rheinmetall seiner „gesellschaftlichen Verantwortung weltweit aktiv nach[kommt], ohne dabei unternehmerische Ziele aus den Augen zu verlieren“, wie der Rüstungsriese selbstbewusst verkündet, vermählen sich Moral und Ökonomie. Oder das, was die Ökonomie für Moral hält. „Der Krieg ist nichts als die Geschäfte / Und statt mit Käse ist’s mit Blei!“ (Mutter Courage nach Bertolt Brecht)

Geostrategische Interessen

Angenommen, als „glühender Europäer“ empfände man Russland tatsächlich als Bedrohung des Abendlandes (Konjunktiv, denn wenn Europa irgendwo über­leben wird, dann in seinem Osten). In dem Fall könnte man sich einbilden, die Ukraine sei ein entscheidendes strategisches Bollwerk gegen die asiatische Despotie alias Russland bzw. „Putin“. Viel mehr Sinn ergäbe das mit dem Bollwerk aber für Amerikaner, die Russland ausschließlich als Gegenpol ihrer alten bi- und heute tripolaren Nuklearwelt betrachten.

Antideutsche Interessen

Wirklich logisch wäre eine einzige Erklärung: Die antideutsche Linke macht Ernst und will Deutschland tatsächlich und nachhaltig zerstören. Dann passt alles, was ihre Protagonisten tun, zusam­men. Nur: Wie wollen sie selbst aus der Sache herauskommen? Der Letzte, der den Nero-Befehl ausgab, hat es nicht überlebt.

Auch hier lohnt ein Seitenblick nach Amerika: Bis hinauf zum Präsidenten haben höchste politische Amtsträger der Demokratischen Partei stets ihre feste Überzeugung geäußert, die Pipeline Nordstream 2 werde nicht ans Netz gehen. Sie ging nicht ans Netz. Und Deutschlands von der US-Konkurrenz bislang kaum zu schlagender Industrie fehlt, auch dank Embargopolitik, plötzlich jedes Billiggas.

Schneise II: Warum dreht sich die Eskalationsspirale immer schneller?

Jeden Tag verschärft sich die Radikalität des Denk-, Sag- und Machbaren. Jeden Tag wird die Lautstärke hysterisch nach oben gedreht. Eine Spirale der Hyper-Eskalation ist in Betrieb gegangen, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint.

Diese Radikalisierung setzte nicht am 24. Februar 2022 ein, wie uns die deutschen Radikalinskis vom Schlage Hofreiter und Strack-Zimmermann glauben machen wollen, wenn sie gebetsmühlenartig „Putin“ die Schuld an allem zuschieben, was seither an Unschönem passiert ist auf der Welt. Die Radikalisierung hat lange vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine begonnen: in den Köpfen und Sprachblasen des polit-medialen Komplexes hierzulande, im Hysterietaumel von Befindlichkeits-Junkies, die nachgerade nach Aufregern gieren, welche sie die Eintönigkeit ihrer mediokren Lebensentwürfe vergessen lassen.

Es sind die üblichen Verdächtigen des linksgrünen Twitter-Mobs, die sich seit Jahren in ihren Digital-Bunkern verschanzt haben, um von dort auf alles zu schießen, was sich in die Quere stellt bei ihren ideologischen Kreuzzügen – auf Klimaleugner, Covidioten, Putin-Versteher und immerwährend „gegen rechts“. Die Radikalisierung ist dank der Zuspitzungsmechanik der Asozialen Medien zu einem Zeittrend und als solcher ein sich selbst überschlagender Selbstläufer geworden. Wie auf vielen Politikfeldern scheint die Verbalisierung auch im Ukraine-Krieg nur noch mit „autohypnotischen Formeln“ (Peter Sloterdijk) zu funktionieren.

Die Kriegs-Sehnsucht unserer westlichen Politik-„Elite“ wird nur noch übertroffen von einer medialen Kriegsgeilheit, die keine Tabus und keine Schmerzgrenzen mehr kennt. Wenn jetzt eine verstärkte „Produktion von Kriegsmaterial“ gefordert wird oder gar eine „Kriegswirt­schaft“ in Deutschland, sollte man sich erinnern: Die letzte Kriegswirtschaft in Deutschland hat Albert Speer organisiert – er saß dafür dann 20 Jahre im Gefängnis.

Man eskaliert in Buntland nicht nur selbst – man feiert freudig erregt jeden, der noch mehr Hass säen kann als man selbst. Eine Kakophonie von antirussischen Tiraden („Brennt in der Hölle, ihr Schweine“), nämlich Serhij Zhadans Suada „Himmel über Charkiw“, erhielt 2022 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Und zwar „für seine humanitäre Haltung“. Russen sind in diesem Buch schlicht „Unrat“. Als „wortgewaltig“ beklatschte die Bundestagsfraktion der Grünen den „Streiter für Frieden“. Der ukrainische Preisträger Zhadan beschimpfte dann bei der Verleihung auch noch seine deutschen Gastgeber: Ihre warmen Häuser seien mit der Vernichtung der Ukraine erkauft. Die Gemaßregelten applaudierten stehend. Masochistische Interessen wären also auf der Liste der Kriegstreibermotive noch zu ergänzen.

Die Eskalation ist geradezu systematisch, in der Rhetorik ebenso wie in der Sache. Während der Corona- und Impf-Hysterie hatte die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx als Maxime vorgegeben, man müsse die Lage jeden Tag etwas mehr „hocheskalieren“. So läuft es nun auch beim Urkaine-Geschrei. Nur geht es diesmal nicht gegen weitgehend wehrlose Ungeimpfte, die man mit solchen Zuspitzungen vielleicht zum Kotau treiben konnte, sondern gegen eine Atomstreitmacht. Apropos Buyx: Wo ist eigentlich der Deutsche Ethikrat in der Diskussion um Waffenlieferungen? Nachdem dieses merk­würdige, von Bundespräsident Steinmeier berufene Gremium zu Corona-Zeiten medial omnipräsent war, scheint ihm nun sein Auftraggeber ethisches Schweigen verordnet zu haben.

Schneise III: Wo sind die Institutionen der „Zivilgesellschaft“, wenn man sie braucht?

Was uns zum systemisches Versagen der Institutionen führt: der Kirchen etwa, die sich keineswegs für Frieden und Verhandlungslösungen stark machen, sondern – wieder einmal – Waffen segnen, die Leid und Tod bringen. Absurd die Aussage des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bätzing, der Waffenlieferungen in die Ukraine nach vielen Windungen nicht nur zustimmt, sondern sie vereinbar hält  mit der christlichen Friedenslehre (wenn nicht gar von dieser geboten).

Keinen Deut christlicher als ihre katholischen Amtsbrüder gibt sich die evangelische Kirche. Pfarrer Hanns-Martin Hager spricht für die mutige Minderheit der Gottesdiener, wenn er die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus scharf dafür kritisiert, dass sie Waffen­lieferungen an die Ukraine als „nicht unchristlich“ bewertet. Krieg ist Frieden? Wirklich? Auch die Kirchen also haben sich sukzessive radikalisiert – im Sinne von Ideologie und Unvernunft. Vor allem: Trotz Vielfaltsgeschwafel aller Orten ist von Vielfalt divergie­render Meinungen keine Spur, man segelt hart am Wind der Regierungspolitik.

Eine weitere Institution des bundesdeutschen Bürgertums leistet gerade ihren Offen­barungseid: das Verlagswesen. Erschütternd das Exempel von C.H. Beck, wo die verlagspolitische Corona-Hysterie naht- und übergangslos von Putin-Hass abgelöst wurde. In nicht weniger als acht Neuerscheinungen des Frühjahrs­programms 2023 wiederholt sich das Immergleiche: Putin böse, Putin krank. Der Kreml ist nichts Geringeres als das „Zentrum des Imperiums der Lüge“ (Verlagsprospekt). Zwischentöne, Grauzonen, einerseits-andererseits? Fehlanzeige.

Einige Titel des Beck’schen Frühjahrskatalogs: „Revanche“, „Fluch des Imperiums“, „Moskau-Connection“ – mitnichten fiktionale Thriller a la Grisham, sondern „Sachbücher“ aus der Feder von Professoren und Journalisten. Die Untertitel plakatieren holzhammerartig die Thesen: „Wie Putin das gefährlichste Regime der Welt geschaffen hat“, „Der Irrweg in der russischen Geschichte“, „Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit“. Andere Sichtweisen auf Russland und den Ukraine-Krieg gibt es nicht bei C.H. Beck. Gabriele Krone-Schmalz hat sie lange beim Münchner Verlagshaus dargeboten. Inzwischen ist sie als Ketzerin dort nicht mehr tragbar. Die Zeichen in Deutschlands Institutionen stehen auf Sturm – gegen Russland.

Schneise IV: Befindet sich „der Westen“ im Krieg mit Russland?

Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“. Solches entfleuchte jüngst im Europarat zu Straßburg dem Gehege der Zähne von Außenministerin Annalena Baerbock. Damit stellte sie den Mainstream spontan vor schwere Probleme: „Schwer verrutscht“, bewertete das ZDF die auf Englisch improvisierte Formulierung einerseits. Also ein Missbrauch des Begriffs Krieg? Es sei eine „Falschaussage“ gewesen, heißt es im selben Beitrag. Also ein Fehler? Was nun, ZDF?

Klarer äußern sich deutsche und internationale Regierungsstimmen: Nein, sagt das Auswärtige Amt, das seine Chefin nicht zum ersten Mal korrigiert. Eine Unterstützung der Ukraine mache Deutschland „nicht zu einer Konfliktpartei“. Nein, lässt auch Kanzler Scholz Vize-Regierungssprecherin Hoffmann bestätigen: „Wir sind nicht Kriegspartei.“ Nein, teilt die französische Regierung stellvertretend für alle Franzosen mit: „Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland, und auch keiner unserer Partner.“ Nein, sagt der kroatische Präsident Zoran Milanovic: Davon wisse er nichts. Und überhaupt sei Baerbocks Gerede „Wahnsinn“. Offensichtlich weiß jedermann besser, was Baerbock meint, als Baerbock selbst.

Ein Nein kam übrigens auch noch von Brasiliens neuem alten Präsident Lula: „Wir sind ein Land des Friedens“. Er meinte allerdings etwas geringfügig Anderes: Kanzler Scholz war zum Antrittsbesuch gekommen und wollte eine Zusage für brasilianische Munitionslieferungen an die Ukraine mit nach Hause nehmen. Stattdessen bekam er „eine Ohrfeige“, so die Junge Welt. Dazu die Ansage, Lula wolle gemeinsam mit China im Ukraine-Krieg vermitteln. Und als dritten Schlag ins Gesicht aller Russland-Hasser: „Brasilien gibt Ukraine Mitschuld am Krieg“, wie die „Zeit“ verdattert titelte.

Wenigstens in Deutschland aber sind sich alle einig, Russland „ruinieren“ (Baerbock) und die Ukraine bedingungslos unterstützen zu wollen. Alle? Oder doch nur eine kleine Clique von Kriegs-Interessenten im „Imperium Americanum“, die sich anmaßend „der Westen“ nennt? Der Historiker Heinrich August Winkler ermittelte Hybris, ideologische Blindheit und egozentrischen Machtwillen als spezifisch deutsche Charakterzüge. Offen für Interpretationen bleibt, ob man seine zweibändige „Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zur Wiedervereinigung“ diesbezüglich nur als historische Bestandsaufnahme lesen soll – oder ob die aktuelle deutsche „Elite“ sich darin wie in einem Spiegel betrachten kann.

Schneise V: Wieso haben die Kriegstreiber keine Angst vor dem atomaren Armageddon?

Was ist die ultimative Eskalationsstufe in der Hybris der Kriegstreiber? Die Rückkehr der allgemeinen Wehrpflicht, um deutsche Freiheitskrieger zu den Waffen rufen zu können? Der atomare Erst­schlag der NATO auf Moskau, wie ihn Wolodymyr Selenskyj tatsächlich fordert? Wer kann das wollen? Kinderlose Nihilisten?

Viele bundesdeutsche Meinungsbestimmer des polit-medialen Komplexes sind Singles ohne Nachwuchs. Manch bescheidwissende Bestimmerin ist gar stolz auf dieses innere Vakuum, weil Kinder in ihrer Ersatzreligion als Klimaschädlinge gelten. Diese Vordenker und Entscheider haben sich gewollt oder ungewollt aus der endlosen Kette von Vor- und Nachfahren ausgekoppelt. Sie ken­nen keine intergenerationellen Bindungen und Verantwortungen. Sie kreisen nur um sich selbst – als Angehörige der Generation Narzissmus. Mit ihnen endet die Zukunft, sie sind Alpha und Omega. Ihre nicht vorhandenen Kinder kann niemand an die Front schicken, da kommt es auf einen Atomkrieg früher oder später nicht an.

Die Abbruchunternehmer ihrer selbst haben sich gefangen gesetzt in der „Total­herrschaft der Gegenwart“ (Botho Strauß). Sie betreiben eine brachiale Abnabelung von allem Überkommenen, indem sie einem Gott namens Individualismus huldigen. Als dessen satanischer Gegenspieler gilt in ihrem Weltbild jegliche Form von Kontinuität.

In seinem Schauder erregenden Panoptikum „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ porträtiert Peter Sloterdijk diese letzten Menschen: „Zu realen und pragmatisch Letzten werden Individuen in der Konsum- und Erwerbsgesellschaft von dem Augenblick an, in welchem sie in die Daseinsweise von herkunftsschwachen und nachkommens­losen Selbstverzehrern einwilligen.“ Sloterdijk endet seinen Bericht „Über das anti-genealogische Experiment der Moderne“ mit einer Ermahnung an diese Generation der bindungslos im Nichts treibenden Elementarteilchen: Es könne „nicht schaden, sich in der verlernten Kunst des Dauerns zu üben.“ Ob sein Appell die apokalyptischen Reiter beeindruckt, ob sie ihn überhaupt verstehen? Oder muss sich die „heimliche Liebe der Unglücklichen zum spektakulären Untergang“ wiederholen?

Nun habe ich doch darüber geschrieben, was die Kriegstreiber antreiben könnte. Ich weiß es noch immer nicht.


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