Wenn man gerade an nichts Gutes denkt, weil rundum der politische Wahnsinn tobt, kommt mit entwaffnender Symbolik Mutter Natur daher. Ausgerechnet bei uns im zwoten Stock der rauen Rotklinkersiedlung, wo Friedenstauben eigentlich keine Basis für ihren Zauber haben.
Sie weiß es doch nicht besser. Sie weiß nicht, dass die Habeck-und-Baerbock-Partei derzeit mit ihren Berliner Spießgesellen ein „Selbstbestimmungsgesetz“ vorbereitet, demzufolge jeder sein Geschlecht nach Tagesform festlegen kann, außer Männer im Verteidigungsfall. Es interesiert sie nicht, dass das ohnehin seit den Neunzigerjahren stagnierende deutsche Reallohnniveau (also die tatsächliche Kaufkraft der Menschen) im vergangenen Jahr dank Energieschock-Inflation um vier Prozent gefallen ist. Und es kümmert sie nicht, dass im Osten ein Krieg tobt, bei dem nur die eine Partei durch und durch hitlermäßig brutal und korrupt ist – die andere aber edel, patriotisch, gutaussehend und zufällig eng befreundet mit derselben Schutzmacht, die auch ihr kleines Stadttaubenleben behütet. Ob sie will oder nicht.
Aber eines weiß sie: Wer an einen Sinn des Lebens glaubt, der muss sich fortpflanzen. Damit das gute alte Rad sich weiterdreht. Damit die berühmte Evolution in Gang gehalten wird, die auch ihre Vorväter aus den Flugsauriern hat hervorgehen lassen. Damit das 4,5 Milliarden Jahre alte Grundprinzip der Weltgeschichte erfüllt wird, auf dass Männlein und Weiblein sich immerdar paaren mögen, um zunächst Einzeller, später Quastenflossler und irgendwann den sog. modernen Menschen hervorzubringen. Erfüllt von der Hoffnung, eines Tages eine noch höhere Bewusstseinstufe zu erklimmen und einander nicht mehr dummstmöglich terrorisieren bzw. sogar auslöschen zu müssen – also der Mensch jetzt, nicht die Taube.
Wo aber der Nachwuchs zur Welt kommt, das ist letzten Endes fast schon einerlei. Daher hat sie sich den unwahrscheinlichsten Ort des bekannten Universums ausgesucht: unseren schutzlosen, zugigen kleinen Balkon im zwoten Stock. Dort also könnte eines baldigen Tages ein weiteres Kreuzungskind die Eierschale aufpicken und den Blick auf unsere Kreuzung als ersten, prägenden Eindruck abspeichern. Join the club! We’ve got jackets.
Doch vor dem Schlüpfen stand der Nestbau. Dazu genügt, wer hätte das gedacht, unser selbst durch die Bodenfröste zahlreicher nordischer Winterhalbjahre nicht totzukriegender Oleander im Blumentopf. Darin flugs ein paar Zweiglein und welke Blätterchen vage kreisförmig angeordnet, und das Ganze nenne man selbstbewusst: Nest. Es hätte schlimmer kommen können, denn laut Online-Lexikon besteht es anderswo bisweilen gar aus „Federn, Papier- und Kunststofffetzen, seltener auch aus Draht oder ähnlichem“. Hinein kommt jedenfalls ein Ovulum von tatsächlich bemerkenswerter Perfektion und Ebenmäßigkeit. Das kann halt nur Mutter Natur – beziehungsweise „gebärende Person“ Natur, wie es die Tagesschau-Redaktion gendergerecht formulieren würde.
Tja, dann heißt es nun wohl warten. Und brüten. Denn ein schutzloses Ei wäre tödlicher Gefahr ausgesetzt. So wie das Gelege unseres Schrebergarten-Rotkehlchens, das sein Nest im Suff oder unter dem Einfluss anderer Substanzen in einem aufgerissenen, angebrochenen Torfsack baute, sodass C. es mit der Schaufel ahnungslos entweihte, während der drogensüchtige Rohtkehl vom Zaun aus zeterte, jedoch das eilends reparierte Nest samt Brut im Stich ließ. Wie doof kann man bloß sein! Also das Rotkehlchen jetzt, nicht C.
Auch unser Taubenei war kurzfristig drauf und dran, final zu erkalten. Denn um die hier gezeigten Bilder zu machen, musste ich die Balkontür öffnen. Zack, weg war die flaumfiedrige Alte! Nix von wegen Mutterinstinkt und Kampf bis aufs Blut. Ein böser Blick – und Abflug. Was mich einem Widerstreit der Gefühle auslieferte: Sollte ich hier und jetzt das Heranreifen der nächsten Generation Ratten der Lüfte beenden? „Ältere Brutplätze sind mit einer dicken Schicht Taubenkot belegt“, warnte das Lexikon. Na, schönen Dank auch. War die Aussicht auf eine weitere Milbenschleuder, Kotfabrikantin und Nervgurrende nicht einen kleinen Vogelmord wert? Oder war der hoffnungslos naive Optimismus dieser tierischen Aufzuchtstation doch zu mitleidserregend und herzerweichend? Nun, letztere Emotion gewann die Oberhand. Wann hat man schon mal die Chance, Tierkinderpate zu werden?
So ist vorderhand alles wieder im Lot. Die Mutter kehrte zum Einzelkind-Gelege zurück und spreizte ihr Gefieder vorschriftsmäßig über unser jüngstes Kreuzungskind – Moment, was lese ich? Hier brütet der Ehemann mit! Das auf den Bildern mit der grünlich schimmernden Halskrause, das ist gar nicht die Taube, das ist der Täuberich! Bei den Stadttauben teilt man sich nämlich klaglos die Brutarbeit. Die Natur tut halt, was die Natur tun muss, ohne viel Geschrei. Hallo Regierung, es geht auch ohne Geschlechterkrieg! Besinnen wir uns dank der bethlehemmäßigen Szenen vor unserem Fenster doch einfach aufs Eigentliche. Ei-nfach aufs Ei-gentliche, verstehen Sie? Ja, ich bin die ganze Woche hier, probieren Sie die Piña Coladas, sie sind sehr gut.
Jedenfalls hat der Vorgang vor dem Fenster einen einfachen Blogger sehr glücklich gemacht, der noch bis heute Nachmittag nicht wusste, worüber er um Himmelswillen zum Wochenende schreiben könnte. Die besten Geschichten nisten eben vor der eigenen Balkontür! Aber da sind nun natürlich diese Fragen, sie sich jeder stellt: Wie lange brütet eigentlich so eine Stadttaube? Klick … klickedicklick … etwa 17 bis 18 Tage, aha! Aber wird das große Werk gelingen? Oder wird es Anfang Mai doch noch mal Nachtfrost geben, wie um ein Haar erst gestern – sicher ein Zeichen dieser menschengemachten Erderwärmung, von der man jetzt immer so viel liest? Kann unsere Taube den historischen Frieden für Moskau und Kiew ausbrüten, bevor sie ein Drohnenschlag auf direkte Weisung des US-Präsidenten trifft? Oder wird Baerbock stattdessen unseren progressiven Täuberich auf den Posten der feministischen Außenpolitikbotschafterin abkommandieren? Bleiben Sie dran, denn TWASBO berichtet wie immer unerschrocken weiter!
Nachtrag, 7. Mai:
Das Fragezeichen in der Überschrift scheint hellsichtig gewesen zu sein: Taube bzw. Täuberich samt Ei am hellichten Tag verschwunden! Grund: unbekannt. Frühmorgens waren beide noch da. Keine Eierschalen gesichtet, auch sonst keine Spuren außer dem zurückgelassenen, minimalistischen Nest. Raubvogelangriff? Kälte? Wind? Es bleibt ein beklommenes Gefühl.
Nachtrag, 8. Mai:
Beim Betrachten der Taubenbilder imponiert mir der Ernst dieses Gesichtsausdrucks. Ernsthaftigkeit des Brutgeschäfts trotz objektiv hoher Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Hier tut jemand eine Sache um ihrer selbst willen, das ist ihm Grund genug. Dieser Vogel ist oder war vom alten deutschen (Tauben-)Schlag.
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Sie haben ja das Nest mit der brütenden Taube auf google-earth verpixeln lassen. Das ist aber sehr diskret. Und Ünüvar ist auch wieder da!