Was passiert, wenn die Jungfernfahrt der “Titanic”, der etwas andere 11. September, ein fabulierwütiger Autor und zwei begnadete Unplugged-Musiker am Vorabend des 29. Februar in einem Friseursalon zusammentreffen? Stadtteilkultur!

Zeilensturm-Leser wissen mehr, hieß ein Werbespruch des “Spiegel” der Medienbranche bis irgendwann nach der Jahrtausendwende, als er wegen mangelnder Glaubwürdigkeit aus dem Verkehr gezogen wurde. Stimmt in diesem Fall aber trotzdem. Denn das hier ist, wie gut informierte Kreise wissen, kein normaler Haar-Dienstleister.

Nein, dies ist der üblicherweise sehr unaufgeregte Salon von Frau Schmidt in Horn. Hamburg-Horn. Ganz recht: Kulturwüste Hamburg-Horn. Dagegen haben Friseurin Schmidt und Frau Finne vom Stadtteilverein etwas und räumen daher an jedem letzten Freitag im Monat nach dem letzten Scherenschnitt schnell das Mobiliar um.

Die Klappstühle werden aus dem Keller geholt, die kleine Bühne im Schaufensterbereich wird freigeschaufelt, und dann beginnt, eine Stunde nach Ladenschluss, “Kultur im Salon”. Eintritt: 2,50 Euro, es ist ein Rotklinkerstadtteil. Bei dem Preis ist es aber immer rappelvoll im Salon Schmidt. Jeden vierten Freitag wollen die Leute was sehen. Und wenn sie zu weit hinten oder gar hinten oben sitzen, wenigstens was hören.

Diesmal war ich dran. Viele Kulturstammgäste hatten sich nach einer ganzen Anzahl von Konzerten mal eine Lesung gewünscht, und ich hatte da zufällig diesen Roman, dessen Held ein Schalttagskind ist, also an einem 29. Februar geboren. Da bot sich natürlich der Vorabend des Schalttags als Lesetermin sowas von an.

Aber damit nicht genug: Das ganzheitliche Horner Kulturerlebnis sollte auch “musikalisch umrahmt” werden. Für 2,50 Euro darf man immerhin einiges erwarten.

Die beiden Herren rechts und in der Mitte sind Stefan Goreiski und Matthias Lorenz. Zusammen sind sie “Valse Nomade”, ein wunderbares Akustik-Duo für alles, was Handharmonika, Akkordeon, Mandoline, Gitarre und kräftige Stimme so hergeben. Und das ist eine Menge. Weil die Rahmenhandlung meines Buches auf der Titanic spielt, gab es vor der Pause maritime Töne: einen Shanty über “leaving Liverpool” (Heimathafen der Titanic!) und den alten Charles-Trenet-Gassenhauer “La Mer”.

Nach der Pause verlagerte sich dann die Handlung des Romans aus Gründen, die hier zu weit führen würden, auf das World Trade Center in New York, auf dessen Aussichtsplattform der Morgen des 11. September 2001 anbrach – aber halt, nicht so, wie Sie jetzt glauben. Egal.

Passend jedenfalls veränderten sich auch die Akkordeon- und Handharmonika-Klänge und beschworen mit lateinamerikanischem Tango die kulturelle Melting-Pot-Atmosphäre des Big Apple. Stürmischer Applaus und Zugabe! Wenn ich es richtig mitbekommen habe, wurden die beiden Jungs auch vom Fleck weg für einen weiteren Gig engagiert. Geschieht ihnen recht.

Leicht makaber, dass der Ausgangspunkt für diesen insgesamt sehr vergnüglichen Abend das olle Totenschiff auf dem Grunde des Atlantiks war. Hier steht es noch in seiner ganzen Pracht auf dem Lesetischchen. Wenn Sie sehr genau hinsehen, wird es von einem Gummiband am Kentern gehindert. Diese Möglichkeit hatten die leider damals nicht.

Im Vordergrund: Schiff mit Unsinkbarkeits-Versicherung