Fliesen, Kutschen, Zusatzstoffe – die Außenposten der deutschen Museumslandschaft jenseits von Bismarck, Beuys und Benz brauchen unsere Aufmerksamkeit. Diesmal: Museum der Natur, 20146 Hamburg

Die Ausstellung „Geologie & Paläontologie“ ist nur einer von drei knackigen Standorten des Museums in Hamburg

Das ist ein ordentliches deutsches Museum: Vitrinen und Text. Texte in Vitrinen. Vitrinen in lockerer Reihe, unterbrochen durch Text. Und dazwischen, bzw. in den Vitrinen, umgeben von Text: Artefakte! Hier sind sie meist aus Stein, denn das Museum der Natur mit seinen drei über die Stadt verteilten Einzelausstellungen zeigt im „Geomatikum“ der Universität Hamburg seine geologische und paläontologische Sammlung. Es geht also um Erdschichten und Erdgeschichte. Themen, die sich überhaupt nicht plastisch darstellen ließen, würde nicht das Erdreich ab und zu etwas freigeben, das dann zwangsläufig sehr alt und sehr verstaubt ist. So wie dieses Museum der Vergessenheit. In die ist es vermutlich sogar beim „Leibnitz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels“ geraten, seinem Betreiber.

Die gute Nachricht ist: Der Eintritt ist kostenlos. Was allerdings noch eine Spur zu teuer für das erscheint, was einen hier erwartet. Ich bin hier in letzter Zeit aus Gründen, die zu weit führen würden, insgesamt dreimal gewesen und darf melden: Ich war immer der Einzige. Wenn Sie in der Großstadt mal ganz für sich sein wollen, akustisch nur begleitet von Urvogel-Gezwitscher aus der Konserve, dann kommen Sie hierher. Allein unter Trilobiten! Das müssen Sie aushalten können. Leichter gesagt als getan.

Das ist ein Sedimentär-Geschiebe. Oder jedenfalls ist es die Gegend, wo sich das Sedimentär-Geschiebe voranschiebt. Oder schob. Das steht sicher im Text, aber ich konnte selbst unter Aufbietung aller Kräfte nicht weiter lesen als bis zum Ende der Überschrift. Da war ich immer schon eingeschlafen. Oder mindestens meine Füße. Oder ich war gebannt von der pastellfarbenen Karte Skandinaviens, von der ich den Blick nicht mehr abwenden konnte, weil dieser wundervoll ausgeprägte Vergilbungszustand mich fesselte. Diese Nuancen! Wie sich das Papier von der Pressspanplatte bereits abzulösen beginnt, wenn man ganz, ganz genau hinsieht! Was wohl langsamer vonstatten geht: das Sedimentär-Geschiebe oder das Vergilben und Vergehen dieses Museums?

Das ist Wolfgang. Der Name stammt von mir, ich habe ihn so genannt, weil er aussieht wie ein Wolfgang. In Wirklichkeit heißt dieser lustige keine Kerl Parotosaurus helgolandiae, und nun dürfen Sie mal raten, wo sein versteinerter Schädel ausgegraben wurde. Nein! Doch! Niemals! Wohl! Es handelt sich sogar um den „großartigsten Fossilfund Helgolands“, wie mir das Museum schriftlich mitteilt. Und es führt weiter aus, dass Wolfgang ein „großes Amphibium aus der Gruppe der Dachschädler“ war. Jawohl, nach Dachschaden sieht dieser Fund im Buntsandstein der einzigen deutschen Hochseeinsel in der Tat aus. Aber liebenswert!

Das ist leider fast überhaupt nicht fotografierbar: Eine nahezu spiegelverglaste Vitrine – denn: warum nicht? – birgt den hochempfindlichen Seismographen der 1903 gegründeten „Erdbebenhauptstation Hamburg“, die unter Wilhelm II. im Garten des Physikalischen Staats-Instituts stand. Seismographische Forschungen wurden überhaupt erst seit 1898 gemacht, waren damals also der letzte wissenschaftliche Schrei. Darüber informiert ein völlig losgelöst vom Museumsbetrieb lässig an der Wand lehnendes Schild, das aus Protest gegen seine Abhängung seit Jahren nur noch Dienst nach Vorschrift macht.

Dort, wo der Spiegelreflex das Dinosaurierskelett von der Wand gegenüber einspiegelt, ist eigentlich etwas wirklich Erstaunliches zu sehen: eine Bahn Rußpapier auf einer Rolle. Die Linienmuster auf diesem dunklen Papierstreifen stellen unglaublicherweise das große Beben von San Francisco aus dem Jahr 1906 dar – aufgezeichnet in Hamburg, der Welthauptstadt des Erdbebengeschehens.

Das ist verspielte Museumspädagogik. Oder pädagogisierte Museumsspielerei? Egal, denn es schafft so oder so einen interessanten ästhetischen Kontrast: Während die meisten Teile dieser Ausstellung zwischen 1940 und 1965 realisiert worden sein dürften, manche vielleicht sogar schon unterm Kaiser, hat sich an einigen Stellen dieses zweigeschossigen Wunderwerks zum Ausgleich eine blutjunge Museumspädagogik-Referendarin der Achtzigerjahre austoben dürfen. Denn: Hier war man ja immerhin an einer echten Universität, Tür an Tür mit der Mensa für die Geologen, also durchaus hipp, young & wild at heart.

Gut, es bog schon damals so gut wie nie einer der vollbärtigen und karobehemdeten Geologen beim Gang in die Mensa ausgerechnet hierher ab. No sex & drugs & rock’n roll also für unsere Museumspädagogin in Ausbildung. Aber umso mehr Zeit blieb ihr für ihre ganz einzigartigen, selbstversunkenen Höhlenmalereien des 20. Jahrhunderts (nach Christus).

Das ist der faszinierende Vulkanismus. Dank der auf einer mit beigem Bast bespannten Rückwand aufgehängten und ihrerseits auf Spanplatte aufgezogenen, vom Gilb befallenen ehemaligen Farbfotos aus den Sechzigerjahren nebst ebenso innovativer Schrifttafel spürte ich geradezu die Hitze des Lavaflusses, roch den Schwefelhauch in meinen Nüstern und hörte den Donner der aus tiefblauer See aufsteigenden neuen Landmassen, wie sie schäumend und brodelnd … nein, doch nicht. Auf der Erde gibt es ca. 550 in historischer Zeit und auch noch heute „tätige“ Vulkane. Weiß ich jetzt. Und Sie damit auch. Bildung live. Infotainment pur.

Das sind Steine. Abwechslungsreich gemusterte Steine, zugegeben. Steine mit schönen und Ehrfurcht einflößenden Namen auch: „Granatamphibolit“, oh, là, là! (Die korrekte Schreibweise von „oh, là, là!“ herauszufinden, die ich mir nicht merken kann und die sich auch dauernd zu ändern scheint, bedeutet für mich jedes Mal wieder eine Delle im Schreibfluss.) Ein anderer Stein sieht aus wie ein leckerer Cookie mit Stücken weißer Schokolade. Ein dritter stammt aus Småland, was mir sympathisch ist, weil ich da schon mal war, aber gleichzeitig auch lästig, weil ich erneut die „a“-Taste lange gedrückt halten musste, bis die Optionen für die Akzente auf dem „a“ erschienen, diesmal aber dann den Kringel in der Angebotspalette finden und schließlich mit der anderen Hand auswählen musste, sodass der Schreibfluss ein weiteres Mal völlig zum Erliegen kam.

Zu was diese Steine gut sind oder warum sie da liegen, habe ich nicht mehr herausgefunden, weil die Einsamkeit und Langeweile in diesem Museum mich zu ersticken drohten. Außerdem bin ich nicht mal sicher, ob das Steine sind oder vielleicht doch wissenschaftlich korrekt mehr so „Mineralien“. Diese Haarspalterei kennt jeder, der jemals die Figur des Hank Schrader in der US-Serie „Breaking Bad“ beobachtet hat. Ich tendiere aber zu „Steinen“, weil das dezentrale Hamburger Museum der Natur anderswo ja auch noch eine Ausstellung namens „Mineralogie“ versteckt hat. Und wozu sollte das gut sein, wenn die Mineralien schon hier sind?

Das ist ein übler Trick des Klimawandels: Erderwärmung führt zu – neuen Eiszeiten! Und zwar im Lauf der Erdgeschichte immer wieder, nämlich in Form von sogenannten Heinrich Events. Diese wurden nach ihrem Entdecker benannt, der nicht Friedrich hieß, wie Sie sich sicher schon gedacht haben. Ob heiß oder kalt, Klimawandel führt auf jeden Fall dazu, dass Menschen wandern („migrieren“). Wenn Ihnen also demnächst in Hamburg ein Migrant begegnet, könnte es sein, dass er aus Schottland kommt, von wo ihn die zunehmende Kälte vertrieben hat.

Der Klimawandel als Bedrohung und als Schuldbeweis des heutigen Menschen ist, wie das hochmoderne Projektionsbild aus einem hochmodernen Computer zeigt, erst zu allerletzt in dieses erdgeschichtliche Museum eingefügt worden. Sicher bis weit in die 1990er-Jahre spielte Klima-Schuld hier überhaupt keine Rolle. Man begnügte sich damit, die großen Linien von Warm- und Kaltzeiten über die Jahrmillionen nachzuzeichnen, achselzuckend die Extinction Events vergangener Äonen zu dokumentieren und ansonsten schöne Steine auszustellen. Damit ist es vorbei – selbst hier, wo seit Erdzeitaltern kein Besucher mehr registriert wurde. Soll niemand sagen, es gäbe in Hamburg ein Vakuum der Schuldlosigkeit!

Das ist ein toter Baum. Er steht da so herum und klagt an (vermutlich). Näheres ist nicht bekannt, da es kein Schild gibt und der Baum, falls er je sprechen konnte, seine Stimme verloren hat. Vielleicht müsste er dazu auch in die Steckdose links unten eingestöpselt werden, aber das Kabel samt Adapter ging verloren. Was könnte der Baum uns sagen wollen? „How dare you …!“, sicher so was in der Richtung. „Klima kaputt, und du bist schuld!“ Wir werden es entweder nie erfahren, oder doch in einer besseren Zukunft.

Denn im November 2022 hat sich die sicher ebenso bedeutende wie kompetente „Lenkungsgruppe des Hamburger Senats“ für einen Neubau dieses Museums in der Hafencity ausgesprochen. Dort soll die hier verstaubende Abteilung „Geologie & Paläontologie“ mit ihren beiden anderswo herumgammelnden Schwesterausstellungen „Zoologie“ und „Mineralogie“ unter einem Dach zusammengeführt werden. Das Ganze kriegt den Namen „Evolutioneum“. Und dann wächst sicher auch dem Baum wieder ein grünes Gefieder.

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Aufenthaltsdauer im Museum: 3 x ca. 10 Minuten
Highlight: Wolfgang (Parotosaurus helgolandiae)
Lowlight: mein Freund, der tote Baum
Crackerpoints: 1/10

P.S.: Wenn Sie ein irgendwie randständiges Museum mit dazu passendem Thema kennen, das in dieser Reihe unbedingt mal vorgestellt werden müsste, bitte ich um Mitteilung.