Beim Abschied in den Ruhestand fällt Alpha-Journalisten aus dem Mainstream plötzlich öffentlich ein, wie ihr Berufsethos auszusehen hätte. Doch wo waren sie, als kritische Köpfe niedergemacht wurden? Ein Lehrstück über das falsche Leben im richtigen.

Am 14. November 2022 moderierte Frank Plasberg zum letzten Mal die ARD-Talk­show „hart aber fair“. Zum Abschied vom öffentlich-rechtlichen Gebühren-Talk nach 22 Jahren plauderte der Altmeister im Podcast des Berliner „Pioneer“ noch ein wenig aus dem Nähkästchen – und schreckte damit nicht wenige Mainstream-Kollegen aus dem Schlummer: „Kurz vor seinem TV-Aus spricht Plasberg kritisch wie nie über seinen Arbeitgeber“, staunte etwa „Der Westen“. Ein Insider nehme „den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Mangel“, erregte sich der Newsroom des Webproviders gmx. Doch gab der 48-minütige Podcast das auch her? Wurde da wirklich schmutzige Wäsche gewaschen?  

Eher verrichtete der scheidende Polittalker Plasberg ein paar Weißwäschereien fürs eigene Gewissen. Den Heißwaschgang vermied er. Das zeigte sich besonders beim zentralen Spalt-Thema der letzten Jahre: Corona. Anderswo gibt man sich da einsichtig. Die führende dänische Tageszeitung Ekstra Bladet etwa hat sich im Januar öffentlich dafür entschuldigt, die zweifelhafte und autokratische Corona-Politik lange Zeit nicht kritisch hinterfragt zu haben. Im deutschen Medienbetrieb hingegen sucht man so etwas auch nach Plasbergs Coming-Out als Medienkritiker vergebens. „Wir haben versagt“, das bringt hierzulande keiner über die Lippen.

Dafür wurden im Podcast fette Weiden auf Nebenschauplätzen abgegrast, die es ohne Jounalismus Marke ARD gar nicht gäbe. „Diversität“ etwa, doziert Plasberg, sei „eine wichtige Aufgabe, und Minderheiten jederweder Form müssen stattfinden“. Gestelzter kann man sich nicht ausdrücken; die Diktion entspricht der Sprachschwund­stufe eines Schwurblers, der um den heißen Brei herumredet. Als diskussionswürdig tritt für Plasberg denn auch lediglich zutage, ob man dieses Stattfinden in jedweder Form „in einem Übereifer tun muss“. Der simple Gedanke, dass im Staatsfunk die Mehrheit zugunsten extremer Minderheiten vernachlässigt wird, gerinnt ihm zur windungsreichen Frage: „Muss man unter Diver­sität nicht auch verstehen, an Menschen zu denken, die in der Mehrheit zur Minder­heit werden?“ Als Beispiel dient ihm der Berufspendler mit dem Diesel, dessen Perspektive man ja mal einnehmen könnte, statt immer Prämien für Lastenfahrräder zu glorifizieren. Doch wenn ein Journalist sich genau dieses Themas entsprechend annimmt, gilt das im Medienuniversum der Plasbergs als Populismus und Schlimmeres.

„Wir senden manchmal über die Köpfe der Menschen hinweg“, findet der langjährige WDR-Funker. Und: „Wir haben die Breite der Lebensrealitäten nicht mehr im Blick.” Aber er konstruiert diese Klage sorgsam als Skizze eines fast abstrakten Systems. Um daraus keine Selbstanklage machen zu müssen (Plasberg sagt gerne „man“, seltener „wir“, schon gar nicht „ich“), baut er diverse Hintertürchen, Rechtferti­gungen und Distanzierungsreflexe ein. Zwar plaudert er aus, dass ein Interview im Öffentlich-Rechtlichen nach bestimmten Regeln funktioniert, fängt sich aber sofort selbst wieder ein: „nicht Regeln der Absprache, wie manche Verschwörungstheoretiker glauben“. Immer eilfertig abgrenzen gegen das Böse, stets auf der Hut sein, keinen Gedanken zu äußern, den irgendwer zustimmend zitieren könnte, den man nicht mag. Oder – um im Jargon des Mainstream-Journalismus zu bleiben: niemals Wasser auf Mühlen leiten.

Wo Plasberg eine Gesellschaft diagnostiziert, „die immer mehr sich verkantet, wo über Gräben hinweg nur noch mit moralischen Kanonenkugeln geschossen wird“, endet der kostenfreie Pioneer-Teaser. Weiter geht es hinter der Bezahlschranke. Dort werde „über die AfD und die vermeintlich woken linken Mitglieder der öffentlich-rechtlichen Redaktionen“ gesprochen, verspricht der Chefredakteur und Plasberg-Interviewer Michael Bröcker – und setzt damit den Cliffhanger so geschickt, dass der Zahlungsunwillige trotzdem nicht die Quintessenz verpasst: Woke-linke Mitglieder öffentlich-rechtlicher Redaktionen gibt es natürlich nur „vermeintlich“. Gerade so, als wären die harten Zahlen nur Schall und Rauch, wonach 92,3 Prozent der ARD-Volontäre die links-erweckten Parteien Bünd­nis 90/Die Grünen (57,1), Die Linke (23,4) und SPD (11,7) wählen. Oder als sei es gleichermaßen nur „vermeintlich“ der Fall, dass diese Journalisten-Generation nicht den Querschnitt der Bevölkerung repräsentiert. Dabei gab das Wahlvolk diesen drei in der ARD bevorzugten Parteien bei der letzten Bundestagswahl zusammen nur 45,4 Prozent der Stimmen – die Volkspartei der Nichtwähler hier außer Acht gelassen.

Noch zehn Jahre bis zur Rente: Frank Plasberg 2012 (Foto: Wikipedia / Superbass, Lizenz: CC BY-SA 3.0-de, Ausschnittvergrößerung: TWASBO)

Ohnehin sind Frank Plasbergs verspätete und halbherzige Bekennt­nisse zum journalistischen Berufsethos weniger originell als epigonal. Mit der Überraschung, als Ruheständler plötzlich zu wissen, was man als aktiver Journalist alles hätte anders machen müssen, wartete vor ihm schon ein anderer auf. Denn Plasbergs ZDF-Kollege Claus Kleber war es, der diesen Salto mortale schon vor einem Jahr kreierte und hoffähig machte. An Silvester 2021 endete die Ära Kleber als Moderator des „heute journals“. Alles, was drucken konnte, ließ seine Leser kurz vor Weihnachten an diesem Ab­schied teilhaben. Was der Mainzelmann dabei von sich gab, schlug neben dem geschmückten Tannenbaum ein wie eine Bombe.

Was war geschehen? Quer durch die Mainstream-Gazetten redete Beinahe-Rentner Kleber an Weihnachten 2021 endlich Klartext, nachdem er sich offenbar jahrelang den Mund verboten hatte. „Ideologie vergiftet den Journalismus“, gab Kleber etwa der „Zeit“ mit auf den Weg. Sätze wie: „Vielleicht sollten wir uns im ZDF wieder konfrontative Formate trauen“ waren es, die dann ein Jahr später auch Plasberg anlässlich seiner eigenen Pensionierung imitierte. Mit „Kienzle und Hauser“ hatte so ein Streitkultur-Format im ZDF früher einmal existiert. Doch kein Interviewer fragte nach, warum Kleber etwas ähnliches mit einem konservativen TV-Gesicht während seiner langen Ägide nicht selbst angeregt hatte. Vielleicht, weil es Konser­vative im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gar nicht mehr gibt? Frank Plasberg jeden­falls weinte ihnen schon mal Krokodilstränen nach: „Wo ist der Sigmund Gottlieb 4.0?“

Vom „Spiegel“ befragt, ob Minderheitenmeinungen in der Coronakrise medial eine Rolle spielen sollten, antwortet Kleber zwar überraschend, es sei wichtig, kritische Virologen wie Hendrik Streeck zu Wort kommen zu lassen: „Streeck ist kein Verschwörungstheoretiker, er hält die Erde nicht für flach und Elvis nicht für lebendig.“ Dabei darf er indes darauf vertrauen, dass „Spiegel“-Leser und ZDF-Zuschauer durch jahrelanges Framing schon darauf geeicht sind, in Gedanken zu er­gänzen: „Ganz anders als die Querdenker und Corona-Leugner.“ Streeck, der Geradeausdenker, darf also nach seiner Meinung zu Coronamaßnahmen gefragt werden – „unabhängig davon, dass ihm Christian Drosten beim Verstehen der Viren vermutlich turmhoch überlegen ist. Aber ich bin weder der Schiedsrichter in diesem Wissenschaftsstreit noch der Obervirologe.“ Und das, obwohl Kleber den Virologenstreit soeben oberlehrerhaft zugunsten des Virenverstehers mit den wirren Haaren ent­schieden hat. Ebenso eklatant widersprüchlich: Im selben Interview, in dem der ZDF-Veteran das Wirken von Ideologie im Journalismus beklagt, verteidigt er das von den Ideologen im Sender aufgezwungene Gendern. Merken diese Großjournalisten eigentlich noch was?

Entlarvend auch Klebers Antwort auf die Frage der Märkischen Oder-Zeitung (MOZ), was nun aufs Karriereende folge. An den 160 zusätzlichen freien Abenden im Jahr wolle er „das Phänomen kennenlernen, von dem alle so viel reden – soziales Leben, Freundschaften –, solche Sachen werde ich ausprobieren“. Wenn aber einem 65-Jährigen diese Dinge unbekannt sind, wie konnte er „den Menschen da draußen“ (A. Merkel) dann menschliches Tun und Lassen erklären? In unbeholfener Sprache nimmt Kleber hier den Vorwurf seines ARD-Kol­legen Plasberg an die Zunft vorweg: Weltfremdheit. Hält ihm indes der Interviewer den Spiegel vor? Natürlich nicht.

Doch auch Klebers scheinbare Generalabrechnung mit der Ideologisierung der Medien, vorgetragen ausgerechnet vom „Inbegriff des politischen Moderators“ (Die Zeit), entpuppt sich bei näherem Hinlesen als eher sphinxhafte Verrätselung eigenen journalistischen Versagens: Die Kommentare im Öffentlich-Rechtlichen „sind oft eher Besinnungsaufsätze“, bekannte der ZDF-Mann plötzlich. Meinte er statt „Besinnung“ vielmehr „Gesinnung“? Die nämlich hatte Kleber verschwenderisch offenbart, als er 2019 im „heute journal“ den damaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verhörte. „Gespräch“ nannte es das ZDF verharmlosend. Dabei fehlte nur noch die Lampe, deren grelles Licht den Geblendeten aus dem Takt bringen soll.

„Erlauben Sie einem ausländischen Reporter die wichtigste ausländische Frage“, hob die Inquisition damals an, „Sie wissen, dass die deutsche Regierung, die Benelux-Regierung, die Frankreich-Regierung und so weiter sehr darauf hoffen, dass die Allianz mit den zweifelhaften Rechtsnationalen in Österreich aufhört. Spielt ein solcher Gesichtspunkt bei den Überlegungen, die Sie jetzt anstellen werden, überhaupt eine Rolle?“

Antwort Kurz: „Nein.“

Knapper hatte selten ein Politiker eine journalistische Zumutung zurückgewiesen. Fast ebenso prägnant war die Begründung, die Kurz hinterherschob: „Ich bin meinen Wählern und Wählerinnen verpflichtet – und nicht dem Ausland. Und auch nicht irgendwelchen Medienvertretern.“

Klebers versuchte Ausforschung eines politischen Gegners war inhaltlich und stilistisch holprig, um nicht zu sagen: dämlich. Was ist eine „ausländische Frage“? Wo wohnt die „Benelux-Regierung“? Was hatte der Mann genommen? Der informelle Grünen-Pressesprecher Kleber versuchte, einen politischen Gegner vorzuführen – und fuhr dabei mit Vollgas an die Wand, die er selbst errichtet hatte, vor den Augen der ganzen Nation. Wenigstens der restbürgerliche Teil der Medienlandschaft merkte damals auf und traute es sich auch zu formulieren: Die FAZ etwa befand Klebers Interview mit Kurz schlicht und trocken als „arrogant“.

Die zur Systemkritik aufgebauschten Denkanstößchen, die Kleber dann anlässlich seines Ausscheidens aus der Verantwortung äußerte, wirken vor diesem Hintergrund gleich mehrfach unglaubwürdig. Er kritisiert ein System, als hätte er damit nichts zu tun. Selbstkritik ist bei ihm ebenso wenig erkennbar wie bei Frank Plasberg. Ihre Erkenntnisse kommen zu spät, um noch selbst etwas zu ändern. Als sie aktiv waren, hielten sie den Mund und scherten sich wenig um die Maximen, die ihnen nun plötzlich wichtig sind. Inhaltlich werden sie selten konkret, umschiffen heiße Eisen und ziehen Entscheidendes letztlich wieder zurück.

Noch eine letzte Gemeinsamkeit scheint da fast unausweichlich: Der ZDF- und der WDR-Rentner machen auch als vermeintliche „Systemkritiker“ aus ihrer jeweiligen Vorliebe für den Vizekanzler keinen Hehl. „Jemand wie Robert Habeck“, so Kleber in der „MOZ“, „interes­siert sich für die Fragen, die man stellt und er versucht darauf einzugehen. Er hat nicht immer eine wirklich überzeugende Antwort, aber er lässt sich auf das Gespräch ein.“ Es mache einfach „mehr Freude, mit jemandem zu reden, der so tickt wie er.“ Und Plasberg outet sich im Pioneer-Podcast als Grünen-Wähler, der sich Habeck gar als Kanzler wünscht. Mehr geht nicht.

Noch 13 Jahre bis zur Rente: Claus Kleber 2008 (Foto: Wikipedia / Jan Oberst, Lizenz: CC BY 2.0, Ausschnittvergrößerung: TWASBO)

Die beiden Leit-Journalisten, die – solange sie prominente Positionen haben und behalten wollen – mitmachen im System, die ihr Gewissen und ihren Berufsethos erst dann wieder entdecken, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben, sind alles andere als Einzelfälle. Die bis pünktlich zum Ruhestand funktionierenden Stützen der Strukturen verdichten sich zu einem Säulenfeld des Opportu­nismus und Kollektivismus, das ein ganzes Land durchzieht. Es ist der unselige Geist der Adabeis, wie die Bayern sagen: derer, die immer auch mit dabei sind.

Feigheit im Amt und schmückender Gratis-Mut bei gefahrloser Gelegenheit sind die neuen Grundtugenden des Grünen Reichs. In Zeiten der Corona-Pan­demie war das Phänomen ausgeprägt zu beobachten: Fast nur Pensionierte wagten es, öffentlichkeitswirksam aus der polit-medialen Einheitsmeinung auszuscheren, ganz selten jemand, der noch an seiner Karriere arbeitete. Alle, die vom erlaubten Meinungskorridor abwichen, wurden an medial inszenierte Pranger gestellt. Oft folgte die abrupte Strafversetzung, wie etwa im Fall des Gesundheitsamtsleiters von Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner. Oder die Frühpensionierung, wie bei Hanns-Martin Hager, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. Oder gleich die fristlose Kündigung, wie bei SWR-Mitarbeiter Ole Skambraks, den ein offener Brief im Magazin „Multipolar“ den Job kostete.

Wer sich hervorwagte, war Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungs­gerichts a. D. Er sah schon im ersten Lockdown 2020 die Gefahr einer „Erosion des Rechts­staats“, falls sich die „extremen Eingriffe in die Freiheit aller“ noch lange hinziehen sollten. Papier änderte seine Ansichten nicht schlagartig am Tag der Ruhestands­versetzung, sondern blieb sich und seiner Expertise treu. Emeritierte Pathologen schlugen wegen Todesursachen Alarm, die auf Impffolgen hinwiesen. Detlev H. Krüger, Vorgänger von Christian Drosten als Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, warnte bereits im März 2020 im „Cicero“ davor, Covid-19 zu drama­tisieren und Maß­nahmen nur aus „virologischer Perspektive“ zu begründen. Es gebe, so Krüger damals, „bis heute deutlich mehr Tote durch Grippe oder durch im Kranken­haus erworbene Infektionen als durch das Corona-Virus“. Pensionist Krüger zog in dem Cicero-Beitrag diametral andere Schlüsse als sein Nachfolger, der Staatsvirologe: „Man darf Menschen nicht einsperren.“

Wo waren die Medienkritiker Plasberg und Kleber, als es gegolten hätte, diesen Stimmen gegen die Tyrannei der Einheitsmeinung medial Geltung zu verschaffen? Abgetaucht? Oder im Lager derer, die solche Kritiker denunzierten, um das herrschende Narrativ zu festigen? Dass Medien „gebeten“ wurden, den Regierungskurs zu „unterstützen“, hat der frühere „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt jüngst bei „Chez Krömer“ deutlich gemacht. Reichelt berichtet vom Streit mit der grauen Eminenz des Springer-Konzerns, Friede Springer, um die Corona-Berichterstattung. Besonders interessant ist im Video der Abschnitt von Minute 12:12 bis 12:38: Reichelt erinnert sich, dass Springer „die Vorstellung hatte und das mir gegenüber auch sehr deutlich gemacht hat, dass ‚Bild‘ in der beginnenden Corona-Krise, das war ganz zu Anfang, ab sofort unterstützend für die Bundes­regierung und die Kanzlerin berichten sollte. Und das war nicht meine Auffassung von Journalismus.“

Eine Konstellation, die frappierend an die peinliche Selbstentlarvung eines Schweizer Medienmoguls erinnert. Im Februar 2021 bekannte Ringier-Vorstand Marc Walder bei einer Veranstaltung der Schweizerischen Management Gesellschaft (SMG), er habe Redakteure angewiesen, sie sollen bei Corona regierungsnah berichten: „Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt –, auf meine Initiative hin gesagt, wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, damit wir alle gut durch die Krise kommen.“

Von kritischer Distanz keine Spur, nichts zu sehen auch von „Konfrontation“, wie Kleber sie neuerdings fordert. Stattdessen ein Spiegelbild zunehmend untragbarer Zustände in den Medien, in deren Welt ohnehin gerade ein Einschlag auf den anderen folgt. Zuerst erschütterte im Sommer 2022 der „RBB-Skandal“ die Bundesrepublik, wobei Intendantin Patricia Schlesinger selbst in der eigenen ARD-Familie jeglichen Kredit verspielte. Nahtlos schloss sich die NDR-Affäre an: Neun Redakteure beklagten, Bericht­erstattung werde teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt. Autoren würden abgezogen und Beiträge in den Abnahmen massiv verändert, es herrsche ein „Klima der Angst“. Höhepunkt der Vorwürfe laut „Business Insider“: Es gebe einen „politischen Filter“, NDR-Führungskräfte würden wie „Pressesprecher der Ministerien“ agieren und „nicht vom Ministerpräsidenten Günther, sondern von ‚Daniel‘“ sprechen. Unabhängiger Journalismus jedenfalls geht anders.

Dass auch „Medienkritiker“ wie Frank Plasberg im gut geschmierten System der Wokeness nicht wirklich Angst auslösen, demonstrierte eindrucksvoll die „Zeit“. Am Tag nach Plasbergs „Servus“ auf dem Bildschirm überbrachte sie einen Abschiedsgruß mit Maiglöckchenduft: „Frank Plasberg: Gut riechend in die Rente“. Altersmilde sei er geworden, bescheinigt Laudatorin Judith Liere dem Geehrten, dem sie diese Verwandlung „nicht hoch genug anrechnen“ könne: „neigen doch viele andere Männer aus der Branche mit einsetzendem Rentenalter eher dazu, möglichst lautstark kontroverse bis bockig-faktenferne Positionen einzunehmen, damit ihnen noch jemand zuhört.“

Zwar wird Plasbergs Werk als Talkmaster in dem Beitrag pro forma auch mal für einen Fehlgriff gerüffelt, etwa für den unfassbar provokanten Titel der Sendung „Nieder mit den Ampelmännchen: Deutschland im Gleichheitswahn?“ von 2015. Ein wenig Saueres bekommt er ab für manche Zusammensetzung seiner Diskussionsrunden, in denen auch ein leibhaftiger „Populist“ anwesend war, der nicht genügend niedergemacht wurde. Doch davon abgesehen nimmt Porträtistin Liere das Genre der Hagiographie sehr ernst. Ihr Plasberg-Porträt beginnt mit dessen „wechselnden Haar- und Bartstilen“ über 22 TV-Jahre hinweg und endet mit Stylingtipps für den Neu-Rentner: „Immer helle Kleidung tragen und gut riechen.“ Bei der „Zeit“ überrascht das kaum noch. Eine andere Hamburger Kolumnistin hatte es fertiggebracht, eine Eloge auf Robert Habecks Socken zu halten und in jedes Loch etwas hineinzugeheimnissen. Doch es ist schon merkwürdig: Auch das MOZ-Interview mit dem Ruhestands-Novizen des „heute journals“ schloss vor einem Jahr mit Äußerlichkeiten: „Was passiert mit der ZDF-Garderobe von Claus Kleber?“ Inhalt war gestern, heute ist schöner Schein.

Was wäre den nächsten Klebers und Plasbergs zu raten, wenn sie beim Eintritt in den Ruhestand ein glaubwürdigeres Selbstbild für die Geschichtsbücher hinterlassen wollen? Jeder, der den Kleber macht, müsste mit Selbstkritik beginnen. Tim Röhn von der „Welt“ hat es vorgemacht, als er im September 2022 in drei Tweets bekannte, bis zum Herbst 2020 bei der Corona-Berichterstattung „gepennt“ zu haben, während „wir Journalisten von Anfang an hätten skeptisch sein müssen“. Statt Fakten zu hinterfragen, sei da auch bei ihm erst mal „völlige Akzeptanz“ gewesen: „Nicht gut.“

Röhn wäre eigentlich der letzte Mainstream-Journalist, der sich rechtferti­gen müsste. Er spielte nie den Lautsprecher der Regierung, machte die Hetze gegen Ungeimpfte nicht mit, begann früh zu zweifeln – und entwickelte sich seither zu einem investi­gativen Aufklärer. Seine Selbstkritik und sein Mut zur Entschul­digung klingen dafür umso überzeugender. Und das lange vor dem Ruhestand.


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