Skandal im Stadtbild: Die Sanierung der Hamburger Lombardsbrücke über die Alster hat einen irritierenden Spannungsbogen geschaffen. Der Anblick provoziert und stört die Sehgewohnheiten. Aber es besteht Grund zur Hoffnung, dass bald alles wieder im Lot ist.
Was Sie hier sehen, dürfte Ihnen mitten in einer deutschen Großstadt des Jahres 2023 recht fremdartig vorkommen – ohne dass Sie vor lauter Offensichtlichkeit vielleicht spontan sagen könnten, warum. Ich meine nicht die klassizistische Fassade, es ist schließlich ein Bauwerk von 1865. Auch nicht die Menschenleere. Die verdankt sich nur den soeben erst weggeräumten Bauzäunen. Das hier ist die gerade fertig restaurierte Südseite der Lombardsbrücke über die Alster in Hamburg. Sie wurde dieser Tage wieder für Spaziergänger freigegeben. Man hat die alten Steine sorgfältig vom Abgasruß gesäubert, sodass jetzt historische Details wie die Eingangstür zum „Dampfboot-Wartezimmer“ runderneuert ins Auge fallen.
Die Stadtverwaltung hat auf beiden Ufern hölzerne Sitzbänke in die geschwungenen Natursteinmauern des Brückenbauwerks integriert. Die waren zum Zeitpunkt meiner Aufnahmen noch so neu, dass sie selbst von den sonnenhungrigen Hamburger Schietwettergeschädigten noch nicht entdeckt worden waren. Die Hänge wurden frisch bepflanzt und warten jetzt wie die Hamburger darauf, von der noch sehr zaghaften Frühlingssonne wiederbelebt zu werden.
Am Westufer wurde auch der rund 50 Meter lange Fußgängertunnel unter der Brücke her wieder eröffnet, den täglich Tausende Alster-Flaneure, Radfahrer und Jogger auf ihrem Rundweg um den See nehmen. Viel besser und zeitsparender als die Fußgängerampeln oben im stark befahrenen Straßenbereich.
Und spätestens dort, auf dem Weg durch den Tunnel, fiel es in den vergangenen Tagen auch dem Letzten auf, was hier nicht stimmt:
So wie die sanierte Lombardsbrücke nämlich sieht ein öffentliches Bauwerk ganz ohne Graffiti und hingeschmierte „Tags“ (Markierungszeichen der jeweils tätigen „Crews“) aus. Nein, diese Bilder sind nicht mit Photoshop manipuliert und auch nicht von einer Künstlichen Intelligenz geschaffen. Trotzdem fast schon surreal, oder? Für viele, die nach 1990 geboren sind, beängstigend in ihrer Leere und Unzerstörtheit. So frei von jedem Vandalismus geben die Wände gar keinen optischen Halt mehr.
Das Ganze erinnert in seiner unversehrten Pracht an YouTube-Videos mit historischen Aufnahmen von Rundfahrten durch deutsche Städte kurz nach Erfindung des Bewegtbildes. So wie hier durch Berlin im Jahr 1910 (Vorsicht: Die Straßen sind voller Reichsbürger!). Die User-Kommentare unter solchen Videos lauten regelmäßig sinngemäß gleich: „Wahnsinn, wie sauber und elegant Hamburg / Berlin / Leipzig mal war! Wenn man das mit heute vergleicht …“ Aber diese Kommentatoren sind rettungslos im Reichsbürgertum gefangen. Ihr äshetisches Empfinden ist natürlich Gift für den demokratischen Diskurs.
Denn so etwas verstößt gegen die anerkannte Richtigmeinung©: In einer offenen und toleranten Zivilgesellschaft ist eine freie Fläche im öffentlichen Raum – ob Wand, Fenster, Brücke oder S-Bahn-Wagen – die offizielle Einladung an meist männliche junge Lebensversager, an dieser Stelle ihrer strukturellen Diskriminierung Ausdruck zu verleihen. In seltenen Glücksfällen mit halbwegs inspirierter „Street Art“, viel häufiger mit bloßen politischen Hassparolen und in der großen Mehrzahl mit dem sinnfreiem Gekrakel von Schulanfängern bzw. -abbrechern. Die Ergebnisse dienen ihren Schöpfern als grafischer Nachweis von Freiheit und Reichtum: frei von Talent, Minimalbildung oder moralischem Kompass; reich an innerer Verwahrlosung.
Doch keine Sorge, wenn Sie mit der irritierend ungebrochenen Ästhetik der soeben gesehenen Bilder überfordert sind. Gleich hinter dem Tunnel ist Ihre Welt wieder in Ordnung:
Hier, kurz vor der umittelbar angrenzenden Kennedybrücke (Baujahr 1953, ursprünglich „Neue Lombardsbrücke“), ist Kunst noch das, was hirnlose Horden von Asozialen und progressive Kulturwissenschaftlerinnen dafür halten. Also jetzt nicht die Bronzestatue im Vordergrund, „Jüngling mit Möwe“ von Fritz Fleer, 1955. Die ist natürlich Nazi – wie der Hitlerjunge schon den rechten Arm hochreckt! Daher wurde die Plastik ja auch entsprechend kreativ entmächtigt. Ganz ähnlich, wie es Rotgrün jetzt mit dem reaktionären Hamburger Bismarck-Denkmal vorhat. Es ist schließlich unerträglich, wenn ein Zeugnis der Größe und des Selbstbewusstseins unserer Vergangenheit nicht gebrochen wurde.
Nein, die Brücke selbst ist das Kunstwerk. Unter ihrem weitgespannten Bogen steht auf der anderen Seite das Zeltdorf der Obdachlosen, deren tristes Leben durch die bunten Farben sicher wenigstens ein bisschen fröhlicher wird.
Man ahnt es schon: Selbst diese Gegend, obwohl Villenviertel und eine der klassischen Schokoladenseiten in Hamburgs Mitte, wird vor allem nachts kaum von Polizeistreifen behelligt. Ein paar Meter weiter nur ist vor einigen Jahren der bis heute nicht aufgeklärte, heimtückische „Alstermord“ an einem Jugendlichen verübt worden, mutmaßlich durch einen Anhänger des „Islamischen Staates“. In solch einer Umgebung blüht natürlich die Straßenkunst. Es gibt also guten Grund zur Hoffnung, dass bald auch die Südseite der alten Lombardsbrücke stilistisch wieder angeglichen und der gegenwärtig „gepflegte“ Zustand nur eine Anomalie sein wird. Die jungen ehrenamtlichen Ehrenmänner arbeiten diesbezüglich sehr zuverlässig und schnell.
Und wir Hamburger finden das im Grunde auch besser so. Unser Museum für Hamburgische Geschichte zum Beispiel feiert die seit den 1970-er Jahren immer weiter intensivierte Beglückung der Stadt durch ihre asoziale Avantgarde. Es ist die letzte Sonderausstellung, bevor das Geschichtsmuseum bald für viele Millionen Euro aufwändig zu einer woken Belehrungsanstalt für antikoloniale Transqueer-Historie umgebaut wird: Eine Stadt wird bunt! Die Schau macht „die soziokulturellen Impulse für mehr Integration und Diversität, die diese weitvernetzte jugendliche Subkultur mit sich brachte, deutlich und nachvollziehbar“. Na sicher, was denn sonst.
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Update, sechs Wochen später, 20.3.:
Die freiwilligen Jugendarbeitsbrigaden haben sich mittlerweile effizient ans Werk gemacht und die Herausforderung des rotgrünen Senats sportlich angegenommen. Alles ist schon wieder etwas vertrauter, Chancengerechtigkeit und Inklusion wurde genüge getan. Grüne und SPD können mit ihrer Integrations- und Kulturpolitik zufrieden sein.
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