Unsere Welt ist klein geworden. So klein wie eine Gummizelle: gut gepolstert, ausbruchssicher, überfüllt. Ein Elektroschock am einen Ende pflanzt sich bis zu den Insassen am anderen Ende fort. Und wir stecken mittendrin – woran TWASBO in dieser Reihe erinnert.

Das hier ist eine Straßenfront in einem Hamburger Rotklinker-Stadtteil. Offensichtlich ist, dass es sich um ein einkommensschwächeres Viertel handelt, aber bislang durchaus kleinbürgerlich funktional. Kein Problemkiez, kein „Brennpunkt“.

Seit einiger Zeit nun müssen die verwitterten Balkone der mehr als 70 Jahre alten Häuserzeile mit starken Holzbalken gestützt werden, damit sie nicht abstürzen. Solche Unfälle kommen in den abgewohnten Nachkriegssiedlungen inzwischen immer häufiger vor. Die Stützen scheinen nicht nur provisorischer, kurzfristiger Natur zu sein. Handwerker für eine Sanierung sind knapp, Baustoffe auch, kaum noch finanzierbar ist das Ganze für die klammen Wohnungsbaugenossenschaften in Zeiten galoppierender Inflation ohnehin. Also leben wir einfach pragmatisch mit dem Niedergang, auch wenn es hässlich ist und nach Slum bzw. Dritte-Welt-Land aussieht. Ist ja jetzt an vielen Stellen im Stadtbild so. Und in vielen anderen Bereichen des Lebens auch.

Warum ich das hier in Text und Bild ausbreite? Weil jemand auf einer der Fensterscheiben im Hochparterre von innen mit Fettstift eine Parole angebracht hat. Ich kann die nicht im Bild zeigen, weil die Scheibe stark spiegelte. Aber sinngemäß lautet sie: „Die Demokratie braucht Demokrat*innen, stoppt die AfD!“

Auf die Stützen der Gesellschaft ist Verlass.

Vorgestern twitterte Elon Musk ein Link zu seinem gerade veröffentlichten Meinungsbeitrag in der Berliner „Welt am Sonntag“ (er nennt sie „Weld“, vermutlich in Anwendung einfacher Sprache). Der dort erschienene Aufruf des reichsten Mannes auf dem Planeten, die AfD zu wählen, stürzte das betroffene Land in eine tiefe Krise, die vorher nicht existierte. Wohlweislich hatte sich der zukünftige Chefredakteur der Weld in einem gleich gegenüber platzierten Stück sofort vom eigens bestellten Aufreger distanziert. Doch zu spät: Die „Meinungschefin“ (!), vulgo Ressortleiterin für Debattenbeiträge, trat im Protest zurück, und die Lawine der kuratierten Empörung rollte. Ich fand am folgenden Tag 6.804 Beiträge deutscher Zeitungen und Sender mit Analysen des Musk-Beitrags, die alle zum selben Befund kommen: „Nazinazinazi!!!“

Was ich nicht fand, war sein Beitrag. Er existiert, wenn überhaupt, nur hinter einer siebenfach gesicherten, mit Warnungen und Gegenzaubern umstellten Bezahlschranke. Selbst das Link des prominenten Autors auf X führt gleich zur Klarstellung der Richtigmeinung durch die Weld: „Warum Elon Musk auf die AfD setzt – und warum er dabei irrt“. Denn das kann ja nicht sein, dass auf einer Debattenseite ein bestellter Debattenbeitrag öffentlich stehengelassen wird, der falsche Ansichten propagiert. Am Ende liest die Bevölkerung das noch ungeschützt und ist beunruhigt. Oder wählt gar falsch im Februar, nicht auszudenken! Deshalb ist es gut und richtig, dass dieses Teufelswerk für immer in die Giftschränke verbannt wurde.

Neulich musste ich 20 Billiarden durch 8 Milliarden teilen. Vor dieser Aufgabe kann jeder mal stehen – ich zum Beispiel, um die Zahl der Ameisen pro Mensch auf der Welt zu ermitteln. Beziehungsweise ich meinte das Ergebnis schon zu wissen: 2,5 Millionen. Diese Lösung wollte ich nur noch einmal überprüfen, journalistische Sorgfaltspflicht und so. Bekanntlich ist nahezu jedes jemals von Medien veröffentlichte Ergebnis von Rechnungen mit mehr als vierstelligen Zahlen falsch, einfach weil Journalisten nicht rechnen können. Bei Zahlen größer als Tausend verlieren sie sofort und unwiederbringlich den Überblick.

Nun bin ich, zugegeben, selbst Journalist. Aber ich bin auch Diplom-Volkswirt und verfüge damit über eine mathematische Qualifikation, die allerdings nicht mehr gültig ist. Weil es Diplome nicht mehr gibt, die heißen jetzt Master. Und weil es das Volk nicht mehr gibt, das heißt jetzt „Menschen“. Ich bin aber kein Master-Menschenwirt. Heute gibt es indes noch etwas Neues: Künstliche Intelligenz. Und die wollte ich schnell mal zur Absicherung des Rechenergebnisses nutzen. Also, ChatGPT, wieviel ist 20 Billiarden durch 8 Milliarden?

Ach! Also gibt es nur 2.500 Ameisen pro Mensch, nicht 2,5 Millionen? Na, da sieht man’s mal wieder!

Da sieht man mal wieder, wie absolut tiefenbeschattet die sogenannte KI ist, der wir unser Weltbild und unseren Alltag anvertrauen sollen. Denn eine Billiarde entspricht eben nicht 1012, das wäre eine Billion. Sondern eine Billiarde ist 1015, eine Eins mit 15 Nullen. Das Ergebnis dieser schlichten Division ist also tatsächlich 2.500.000.

Jedes Studentinnenlein, das sich seine Seminararbeit gewohnheitsmäßig von ChatGPT anfertigen lässt, hätte hier also bloß um den Faktor Tausend falsch gelegen. Was aber in heutigen Mathe-Kontexten, etwa im Ingenieurwesen oder in der theoretischen Physik, vermutlich keine schädlichen Auswirkungen hätte (und praktische Atomphysik brauchen wir hierzulande nicht mehr). Denn als korrektes Ergebnis wäre immer noch „viele“ herausgekommen, und das stimmt ja! Wir haben jetzt schließlich DEI: „Diversity, Equity, Inclusion“. Da ist Exaktheit bloß noch ein rassistischer Mythos.

In Ratzeburg (Schleswig-Holstein) steht in der Innenstadt seit Jahr und Tag eine Bronzefigur namens „Taschenmann“: Er zieht fröhlich seine Hosentaschen auf links und lässt sich die Laune keineswegs davon verderben, dass sie leer sind. Als ich in dieser Kolumne im Mai 2022 zum ersten Mal darüber schrieb, war im Hintergrund der Statue noch die örtliche Kreissparkassenfiliale ansässig. Die hat inzwischen dichtgemacht, wie so vieles andere in Habecks Wirtschaftswunderland. Zurück blieb neben der Figur nur das an dieser Stelle weiterhin dargebotene „Taschenmann-Gedicht“:

Man könnte angesichts des Verlustes von Wirtschaftskraft und der heutigen Sinnlosigkeit alter Kleinsparer-Tugenden ein wenig schwermütig werden. Doch seit meinem letzten Besuch sind auch hier die Stützen der Gesellschaft mit handschriftlichen Korrekturen eingesprungen. Ihr Ziel war es, die Lyrik an die inklusiven Erfordernisse der Zeit anzupassen und zu verhindern, dass die Lage falsch gelesen wird:

Bleiben wir noch einen Moment im selben norddeutschen Städtchen. Auch diese links gelesene Litfaßsäule ist hier schon einmal abgebildet gewesen:

Vor Jahresfrist hatte ich sie als Beweis vorgezeigt, dass große Namen wie Göte, Niehzsche und Plank im Land der dichten Denker immer noch einen hohen Stellenwert genießen. Kleinlich-rassistischen Rechtschreibnazis zum Trotz.

Wie groß war meine Bestürzung, als ich nun wieder einmal vorbeikam und nicht nur den zwischenzeitlichen Aldi-Umzug registrieren musste:

Welcher AfD-Sympathisant des Schildermalergewerbes hat da heimlich Hand angelegt? Den Namen des deutschen Physikers Heinrich Hertz richtig zu schreiben statt in einfacher, inklusiver Sprache als „Herz“, wie es DEI unbedingt verlangt hätte – hallo, Staatsschutz? Ermitteln Sie!

Denn wir wollen doch alle zusammen sicher und behütet ins neue Jahr 2025 gelangen. Darin wird uns der BlackRock-Kanzler zusammen mit dem grünen Wirtschaftsminister und, wenn wir hoffen dürfen, der SPD-Innenministerin voll frischer Energie anderen Zeiten entgegenführen. Guten Sturz Rutsch!