Dieser Beitrag käme eigentlich ohne Bild aus. Hier geht es um ein Wort, um genau ein einziges Wort, und dieses Wort ist sich selbst Bild genug. Ich möchte behaupten: Wer sich von diesem Wort keine wunderbaren imaginären Bilder vors geistige Auge zaubern lässt, der ist vermutlich tot.

Genau genommen dient dieser Beitrag überhaupt nur der Huldigung dieses Wortes, das mir und wahrscheinlich den meisten Menschen deutscher Zunge bislang völlig unbekannt war. Was einerseits erstaunlich ist, weil es klingt, als hätten Rilke oder Hölderlin es persönlich durch tagelanges Sieben aus dem Abraum der Buchstaben freigelegt. Andererseits aber auch nicht erstaunlich, denn das Wort selbst gibt es erst seit wenigen Jahren (genaues Datum: unbekannt).

Ich möchte, dass wir jetzt alle zusammen dieses Wort einmal laut und deutlich aussprechen, mit Aplomb und mit Finesse, mit Anbetung und Nachdruck, vor allem aber mit einer unendlichen Milde im Tonfall, jener Milde, die nur tiefe Herzensbildung hervorzubringen vermag: Schäfermond.

Schäfermond.

Um Gottes Willen, ist das schön. Schäfermond Schäfermond Schäfermond. Ach, ach, ach!

Ähem, wo war ich? Richtig: Das Wort stammt nicht etwa aus der Poesie, sondern aus der Astronomie, welche aber – genauer bedacht – zwei durchaus sehr artverwandte Künste sind. Denn die Astronomie erlebt derzeit eine wortwörtliche Sternstunde nach der anderen, das ist schon fast unheimlich, was die Astrophysiker und Astrobiologen innerhalb der letzten fünf bis acht Jahre alles herausgefunden haben: über unser Sonnensystem, die Entstehung der Planeten, fremde Galaxien, bewohnbare Welten, über den Ursprung des Lebens selbst. Wikipedia steht voll davon, bitte eintauchen und erschaudern! Und zu den jüngeren, aber nicht einmal jüngsten Entdeckungen gehören eben die Schäfermonde.

Rein wissenschaftlich betrachtet sind das Monde, welche die Ringplaneten unter den äußeren vier Gasgiganten des Sonnensystems umkreisen, deren bekanntester der Saturn ist. Diese Ringsysteme, die einen Durchmesser von Hunderttausenden Kilometern haben, bestehen aus großen, kleinen und kleinsten Eisbrocken, wirklich fast reines Wassereis. Manche wie ein Staubkorn, manche wie ein Berg. Aber zwischen diesen Ringen sind häufig diese markanten schwarzen Zonen der Leere, also eben keine Ringe. Deren markanteste ist die sogenannte Cassinische Teilung in den Saturnringen, die mit einfachen Fernrohren auch von der Erde aus sichtbar ist.

Für diese Teilungen sind, quasi als Abstandhalter, Schäfermonde verantwortlich. Sie umkreisen ihre Planeten wie Diamantnadeln im Vinyl auf der nächsthöheren oder -tieferen Rille und zwingen dank ihrer eigenen Gravitation auch die Eisbrocken auf andere Umlaufbahnen. Man könnte auch sagen, sie halten wie Staubsauger die Einflugschneisen zwischen den Ringen für all diese Ufos dort draußen hübsch frei von Partikeln, die in die Düsen geraten könnten – aber warum eigentlich sollte man sie Staubsaugermonde nennen, wenn es schon das Wort Schäfermonde gibt! Oh-so-schön-und-tausendschön!

Denn natürlich sind sie am ehesten wie Schäfer, die in der unendlichen Nacht des Universums am Himmel stehen und die unermesslichen Herden der Eisringe hüten, auf dass kein Mondschäfchen ungezählt bleibt und kein Ringlein verloren geht. Sie tragen übrigens wunderbare Namen wie Daphnis, Pan oder Orphelia (es gibt also auch Schäferinnenmondinnen, aber sorry: die volle Romantik-Dröhnung entwickelt nur die männliche Form).

Ich glaube, das Deutsche ist für die Astronomie gemacht und die Astronomie für uns. Es ist unsere Wissenschaftsdisziplin, die Heinrich-Heine-, die Matthias-Claudius-, die Caspar-David-Friedrich-Wissenschaft. Es ist die Wissenschaft, die uns mit der Religion versöhnen könnte.

Meine Damen und Herren, es ist jetzt 23.14 Uhr und ich gehe ins Bett. Am Himmel wacht derweil ein Schäfermond, an meinem Traumhimmel auf jeden Fall. Das wollte ich Ihnen nur mitgeteilt haben. Schlafen Sie gut!

Und bitte: Fangen Sie gleich morgen an, eine Ballade / einen Roman / ein Gedicht mit diesem Titel zu schreiben. Noch ist er nicht geschützt.