Bei uns ist alles Wirtschaft, immer und überall ist Geld im Spiel. Meist verdrängen wir diese erschütternde Erkenntnis, weil das Leben sonst allzu trübe wäre – wer will schon jeden Kuss und jede andere Art von Dummheit mit dem Gebührenzähler vor dem geistigen Auge abrechnen. Noch besser ist es, Urlaub zu machen und in den südlichsten Zipfel Europas zu fliehen, ins Land der familienbewussten Paten und arglosen Oliven-Pflanzer. Aber ach: Die Rechnung folgt trotzdem immer auf dem Fuß. Es ist nur eine etwas andere Art von Ökonomie: die Economia Siciliana.
Der italienische Fußballprofi Fabio Piscane erhielt im Jahr 2011 ein unmoralisches Angebot: 50.000 Euro dafür, dass er mit seinem Club AC Lumezzane absichtlich verlieren sollte. Piscane lehnte ab, zeigte den Täter an und half so, den italienischen Fußball-Wettskandal aufzudecken. Seither wurde der Abwehrspieler vom Gegner auf fremden Plätzen schon mal als „Buscetta“ beschimpft. Tommaso Buscetta war der bekannteste Kronzeuge gegen die sizilianische Mafia.
Die ältesten Graffiti Italiens befinden sich in der Grotte von Addaura bei Palermo: 14.000 Jahre alte Höhlenzeichnungen, die Konturen von Menschen und Tieren auf Felswänden zeigen. Diese Wandmalereien inspirierten findige Geschäftsleute zur Eröffnung des nahe gelegenen Restaurants „Graffiti“. Eigenwerbung: „Unsere Köche realisieren traditionelle und kreative Gerichte.“ Und zwar mit einer „Kombination von Geschmäckern, Gerüchen und Farben natürlicher Zutaten“. Moderate Preise, rechnen Sie mit stark färbenden Saucen.
Die Besichtigung des etwa einen Quadratkilometer großen Areals der Vulcanelli war im Oktober kostenlos, der improvisierte Kassen-Pavillon einer Naturschutzgesellschaft verwaist. Nennenswerte, teilweise sogar eruptive Umsätze macht hingegen der Ätna-Tourismus: Bei einem Ausbruch im Jahr 2010 waren in der gesamten Provinz Catania die Hotelbetten ausgebucht, viele Anfragen mussten abgelehnt werden. Beliebtes Souvenir in den umliegenden Ortschaften: Aschenbecher aus Lava.
Die sizilianische Polizei entlarvte im Frühjahr 16 Männer , die alle vom selben Arzt als blind eingestuft worden waren und seither eine staatliche Blindenrente erhielten. Allerdings fuhren sie Mofa und arbeiteten als Fremdenführer. Nun wird nicht nur gegen sie ermittelt, sondern auch gegen den Arzt.
Das Schweizer Fernsehen ermittelte 2008 die sizilianische Kleinstadt Giarre als Hauptstadt unvollendeter öffentlicher Großbauten. Ein fast fertiges Hallenbad scheiterte in den 90er Jahren am Konkurs der Bauunternehmung, die zuvor fast 5 Millionen Euro von Stadt und Region kassiert hatte. Auch das Parkhaus der Stadt blieb ein Rohbau: Es hatte nur eine statt der gesetzlich zwei vorgeschriebenen Zufahrtsrampen. Im Polostadion von Giarre, fast fertig errichtet für 8 Millionen Euro und dann Wind und Wetter überlassen, trainieren immerhin zweimal die Woche junge Fußballer. Nur die Tribünen können nicht für das Publikum freigegeben werden: Sie wurden viel zu steil gebaut. Insgesamt gibt es zwölf unvollendete öffentliche Bauten in der kleinen Stadt. Keines dieser Projekte führte je zu Verfahren gegen die zuständigen Baufirmen, Architekten und Stadtpolitiker.
Der Umgang mit Feuer ist in Sizilien recht freizügig. Fast jeden Abend lag während meines Urlaubs Rauchgeruch in der Luft, weil im trockenen Hinterland jenseits der relativ grünen Küsten karge Felder illegal brandgerodet wurden. Manchmal weiten sich solche Feuer durch den gefürchteten Scirocco unkontrollierbar aus und vernichten Stallungen oder Häuser. Manchmal steckt auch finstere Absicht dahinter: Im Juni brannten fünf Hektar einer Olivenplantage in Lentini bei Catania nieder. Sachschaden: 100.000 Euro. Das Grundstück hatte zuvor einer enteigneten Mafia-Familie gehört.
Mit Religion ist in Sizilien immer noch viel Geld zu machen. Die Wallfahrtskirche Il Santuario della Madonna Nera in Tindari etwa ist umlagert von Buden, in denen katholische Devotionalien verkauft werden. Gipsfigürchen der „Schwarzen Madonna“ sind schon ab 1 Euro zu haben, es gibt sie in allen Formen und Größen. Allerdings sind auch Pumpguns aus Plastik für die Kinder im Angebot, das nimmt man nicht so genau. Der örtliche Parkplatzbetreiber am Fuß des hohen Felsens, auf dem die Kirche steht, schafft es durch ein ausgeklügeltes System von Warnschildern und sogar ein abgestelltes Polizeifahrzeug, dass man obrigkeitsfürchtig sein gebührenpflichtiges Angebot nutzt. Zu spät stellt man fest, dass man an den „Sperren“ ganz legal hätte vorbei und bis fast ganz nach oben fahren dürfen.
„Ape“ heißt „Biene“. Der Dreirad-Transporter kam ein Jahr nach ihrer „Schwester“, der Vespa („Wespe“), auf den Markt. Der Urtyp der Ape von 1947 ist eigentlich eine Vespa mit Ladefläche mit einer Nutzlast von 200 Kilogramm. Es gibt nichts, was nicht auf diese immer wieder modernisierte Pritsche passen würde. Jugendliche dürfen die Ape schon ab 14 Jahren fahren. Dann wird meist ganz schnell frisiert und der 50-ccm-Motor durch einen mit bis zu 133 ccm ersetzt, den spezialisierte Tuningfirmen anbieten. Besonders in den Dörfern der Bergregionen werden regelrechte Tuningschlachten geschlagen. Allerdings kostet schon die Grundausführung mehr als 4000 Euro.
Hier könnte etwas über Glücksspielgewinne oder zur Abwechslung etwas über die Mafia stehen. Aber diese Männer sitzen einfach in der Nachmittagssonne und spielen. So scheint es jedenfalls von weitem. Und wer bin ich, diesen Menschen in die Karten schauen zu wollen.