Bekenn ich’s nur: Ich tat es immer schon und werde es wieder tun. Je heißer und länger, desto besser für Kreativität und Eros. Bevor also die Fernwärme-Rechnung aus der Hölle und die Spitzel der Energie-Stasi eintreffen, hier noch schnell das Lob der sündigsten Sündhaftigkeit.
Einmal im Jahr wird abgerechnet. Dann zwingt mich „Hamburg Wasser“, würdelos in Rückenlage auf kalten Badezimmerfliesen unter den Handtuchhaltern herumzurobben und im unruhig zuckenden LED-Lichtkegel der Smartphonetaschenlampe die insgesamt vier amtlichen Wasserzähler unserer Wohnung abzulesen. Ohne Gleitsichtbrille, weil sie im Ultranahbereich meines Sichtfelds die Mini-Ziffern auf den rotierenden Scheiben nur noch schemenhafter verschwimmen lassen würde. Die mehr so erahnten Zahlenreihen muss ich dann ins Internet übertragen, nachdem ich wie jedes Jahr mein Passwort vergessen und nach bestandenem Idiotentest („Bitte klicken Sie alle Bilder mit Hydranten an“) ein neues festgelegt habe („4711“).
„Man muss nicht dauernd duschen. Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung.“
Winfried Kretschmann (Die Grünen), Ministerpräsident Baden-Württemberg, in der Südwestpresse
Im Jahr 2021, als Europa noch friedlich und randvoll des billigen Putingases war und wir hierzulande außer einem apartheidsbedingten Teilnahmeverbot am öffentlichen Leben für Millionen Menschen keine selbstgemachten Probleme hatten, muckte bei diesem Meldevorgang der Algorithmus meines Wasserversorgers auf: Der übermittelte Verbrauch sei unglaubwürdig niedrig für die Personenzahl im Haushalt. Ja, klar war der zu niedrig: Drei Monate lang hatte im Bad des Westflügels niemand duschen können! Wasserschaden, Haupthahn abgesperrt. Seit 20 Jahren war das Duschwasser still und leise hinter die zermürbte Silikondichtung der Armaturen gelaufen und hatte sich langsam, aber kalkreich seinen Weg durch die Hohlräume gefressen, von denen es in diesem Semi-Altbau aus Trümmergestein des letzten Weltkriegs reichlich gibt. Bis es eines Sonntags (immer sonntags!) zwei Etagen tiefer überraschend aus der Dunstabzugshaube einer Einbauküche plätscherte. Es begann: die große wohngenossenschaftliche Badezimmersanierung.
Mit anderen Worten begann erst mal gar nichts. Dann wurden Gutachter geschickt. Und Gegenteil-Gutachter. Egal, langweilig. Jedenfalls dauerte es sogar mehr als drei Monate, bis ich endlich wieder warm duschen konnte. Aber dafür von nun an wie im Paradies, denn: Wo eh schon alle Wände aufgestemmt worden waren und es in unserer Wohnung bereits gewohnheitsmäßig aussah wie in einem dieser Crack-Häuser, in denen ein junger Nachwuchskommissar einen schrecklichen Fund macht, hatten wir einfach gleich mal unseren uralten Traum vom Wellness-Spa verwirklichen lassen. Eine doppelt so große Duschtasse! Mit gläserner Duschkabinenwand statt schimmligem, selbstklebendem Duschvorhang mit Delfinmotiv! Und Schiebetür! Und Massagedingsda-Einstellung am Duschkopf! Ein Traum in milchzahnweißer Wandkacheloptik sowie mit runderneuertem, anthrazitfarbenem Badezimmerfliesenboden. Weil: kostja fastnix. Versicherungsfall.
Fortan war das Warmduschen ein einziger Orgasmus. Nein, nicht mein einziger Orgasmus. Ich bemühte mich zwar, während der mietvertraglichen Ruhezeiten nicht zu stöhnen oder gar zu schreien, denn das Badezimmerfenster steht beim Duschen routinemäßig auf Kipp, sodass winters weiße Wasserdampfwolken auf die Straße hinauswehen und sogleich als Schnee vom Himmel fallen, aber das Ergebnis war immer dasselbe: totale Befriedigung, vollständige Entspannung, wohlige Ganzköperdurchwärmung, 24-stündige ErekInspiration. Jedenfalls, morgens tänzelte ich rotglühend aus der Kabine, bereit, mich in das duftigfrische Saunatuch zu hüllen, das mir blutjunge Konkurbinen niemand anderes als ich selbst anreichte.
„Ich halte mich an das, was mein Ministerium empfiehlt. Meine Duschzeit habe ich noch mal deutlich verkürzt. Ich hab noch nie in meinem Leben fünf Minuten lang geduscht. Ich dusche schnell.“
Robert Habeck (Die Grünen), Bundeswirtschaftsmininster, im Spiegel
Es ist nämlich so: Unter der warmen, nein durchaus 39 Grad heißen Dusche kommen mir gleich am Morgen zuverlässig die besten Ideen des Tages. Vielleicht sogar die einzigen. Zweifellos angeregt durch die komplizierten, gegenläufig kreisförmigen Bewegungen, die meine Arme unterdessen ausführen: linke Hand Zahnbürste, rechte Hand Haarshampoo. Gleichzeitig bürsten und einmassieren, das habe ich über die Jahre perfektioniert. Es spart Zeit, es spart Wasser, es sieht komplett bescheuert aus und es ist meine Morgengymnastik (noch mehr Zeitersparnis!). Würde ich jetzt noch währenddessen mein „Wasser“ unter mir lassen, wie es angeblich viele Männerschweine in der Dusche tun, wäre ich Weltmeister im Dreifach-Zeitsparen. Aber das wäre ein Anblick, den ich nicht mal vor mir selbst noch rechtfertigen könnte.
Sodann folgt der Massagestrahl. Dazu wird die in 1,80 Meter Höhe arretierte Duschkopfdüse ganz nach links gedreht, also gerade nicht in die Richtung, wo „Rain“ dransteht. Nein, an dieser entgegengesetzten Endstufe müsste eigentlich „Kärcher“ stehen, denn der so komprimierte Strahl entspricht in etwa einem Hochdruckreiniger, nur in heiß. Lehne ich mich nun vor und stütze mich dabei an der gegenüberliegenden Duschwand mit ausgestreckten Armen ab, säbelt mir die Naturgewalt innerhalb von 60 Sekunden die Haut vom Steißbein, was aber andererseits Balsam für mein geschundenes Iliosakralgelenk ist. Und Haut wächst schließlich im Gegensatz zu Bandscheiben irgendwann nach. Es kommt allerdings darauf an, die Beine nicht ganz durchzudrücken, denn machte ich mich nur drei Zentimeter größer, wäre es keineswegs das Steißbein, das gekärchert würde. Nach einigen schmerzhafen Anfängerfehlhaltungen habe ich nun aber den Bogen seit langem raus.
„Die Frage, ob man tatsächlich noch siebenmal die Woche warm duschen müsste, mit einer Gasheizung, die müsste man sich dann noch einmal neu stellen.“
Thomas Müller (Die Grünen), Präsident der Bundesnetzagentur, in Die Zeit
Den Schlussteil bildet etwas, das ich die „Halswirbel-Arie“ nenne. Ich habe nämlich die Fähigkeit entwickelt, unter der nun wieder gemütlich auf „Rain“ gestellten Dusche Musicalpartien zu singen, während ich gleichzeitig mit ruckartigen Seitwärtsbewegungen des Kopfes in beide Richtungen verspannungslösende Knackgeräusche produziere. An guten Tagen bin ich damit meine eigene Rhythmusgruppe. Am Ende der Arie wird mit Bedauern, aber entschlossenem Zupacken das Wasser abgedreht und mit dem in Reichweite aufgehängten Gummi-Abzieher systematisch von oben nach unten das Spritzwasser von der Glaswand entfernt (Kalk-Prävention). Dazu benötige ich normalerweise eine Minute und zehn Sekunden. Es hat, alles in allem, etwas sehr, sehr Selbstvergewisserndes.
Gerne wäre ich in der Lage, die Geistesblitze in Worte zu fassen, die mir während so einer Warmduschroutine durch den Kopf schießen. Aber gleich dem prickelnden Wasserstrahl ist es ein unablässiger stream of consciousness, ein ständiges Sprudeln von Assoziationstropfen, Gedankenperlen und Erkenntnisblasen – schwer in Einzelbestandteile aufzuspalten und unmöglich an die Wand zu nageln. Am ehesten lässt sich das vielleicht noch unter Einsatz einer Technik in Worte fassen, die nur auf den ersten Blick mit Gendersternchen zu arbeiten scheint, auf den zweiten Blick aber dem unstillbaren Bedürfnis der Adressaten nach Internet-Zensur entgegenkommen dürfte.
„ja-sicher-ihr-*****- und-*****-mit-euren-500.000-euro-jahresgehältern-und-euren-*****-hypermoralischen-*****-erzählt-uns-nur-vom-kalt-oder-garnicht-duschen-ihr-*****-jettet-ihr-nur-zu-euren-klimakonferenzen-ihr-verbotsfetischisten-wasserprediger-und-weinsäufer-die-ihr-jetzt-so-wahnsinnig-froh-seid-dass-ihr-das-komplettversagen-eurer-desaströsen-‚energiewende‘-und-eure-ruinöse-herrschaft-gegen-das-eigene-volk-bequem-auf-den-bösen-putin-schieben-könnt-während-demnächst-hunderttausende-normaler-menschen-wegen-euch-scheinheiligen-*****-und-*****-frieren-und-not-leiden-werden-aber-wisst-ihr-was-allein-dafür-dreh-ich-den-hahn-jetzt-noch-mal-extraweit-auf-aaaaaaah-ist-das-gut-ihr *****“
Einmal im Jahr wird abgerechnet. Ja, natürlich werden sie auch 2022 die Rechnung schicken. Ja, natürlich sitzen sie am längeren Hebel. Ja, natürlich regelt sich am Ende alles über den Preis. Und diesmal werde ich vermutlich nicht mehr aufstehen beim Zählerablesen, sondern gleich am Badezimmerboden liegenbleiben, während die Smartphonetaschenlampe im nächtlichen Blackout langsam erlischt. Und es wird ein Heulen und Zähneknirschen sein, und es werden Sägespäne und Hundefutter gefressen werden für den Rest der zehnjährigen „Energiekrise“ bzw. Versorgungskrise bzw. Inflationskrise bzw. Staatskrise bzw. Rundum-Verwahnsinnigungskrise. Aber dieser eine Moment noch, dieser wärmedurchtränkte Morgenglücksmoment vor einem weiteren langen Tag im von Irren geführten Irrenhaus – den nehmt ihr mir nicht weg. Der gehört noch mir.
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