Meine Frau versteht was von Pferden, ich nicht. Weil sie aber Expertin ist, versteht auch meine Tochter schon was von Pferden, und mein Sohn ist noch so klein, dass er Pferde zumindest nicht so doof findet, wie er es meiner heimlichen Hoffnung nach eigentlich sollte. Jedenfalls sieht die Machtbalance so aus: Wenn was mit Pferden ist, müssen alle hin, und manchmal sogar ich. Das ist dann, als ob die Herren Müller-Lüdenscheid und Dr. Klöbner zum Trabrennen gehen, die Älteren werden den Witz noch vor Augen haben.
Nun gab es gerade im ziemlich renommierten Gestüt Teutonenhof* bei Gütersloh, woher meine Frau stammt – also aus Gütersloh, nicht aus dem Gestüt – eine „Hengstvorführung“. Das wirtschaftspolitisch für die Region höchst bedeutsame Event entpuppte sich als eine Art Öko-Automobil-Ausstellung für Rennsportmodelle mit 1 PS, die auch noch alle aus derselben Fabrik kommen. Die Preise sind übrigens ähnlich wie in der automobilen Oberklasse. Dieses eine Mal war ich am Ende froh, mitgeschleift worden zu sein.
Das liegt an der Broschüre „Hengste 2012“, die dort auslag. Also quasi dem Autoprospekt, nur ohne Autos, dafür mit den erstaunlichsten Zuchterfolgen – und vor allem einer ganz wunderbaren Fachsprache. Nicht nur hat das Gestüt im vergangenen Jahr eine „EU-Besamungsstation“ aufgebaut und ist „neben der gewohnten Decktaxensplittung jetzt auch bei der Vermarktung Ihrer Fohlen behilflich“.
Mehr noch, es hat Disagio* hervorgebracht. Disagio ist ein fast dreijähriger Fuchs – ein braun lackiertes Pferd – mit einem Stammbaum wie Donnerhall in der Branche. Nicht von ungefähr: Donnerhall ist Disagios Urgroßvater väterlicherseits. Vom Zustandekommen von Pferdenamen bekommt man eine Ahnung, wenn man die gesteppjackten Hengstausstellungsbesucherinnen erlebt. Aber damit fängt es ja nur an.
Disagio ist nämlich „einer der komplettesten Hengste“, so wie Podolski einer der komplettesten Stürmer ist, und anders als jener „mit einem Hinterbein gesegnet, das in der modernen Dressurpferdezucht alles andere als selbstverständlich ist“. Ich hingegen habe nicht einmal ein Hinterbein und gesegnet bin ich mit zwei Kindern, vielen Dank.
Disagios Vater, Dimaggio, muss ein unfassbarer Stecher gewesen sein. Denn er „konnte nach nur kurzem Deckeinsatz in Deutschland mehrere gekörte Hengste und hochbezahlte Auktionsspitzen stellen.“ Man erblasst vor Pe … vor Neid auf diese Art Schlag bei den Weibern. Darf ich Ihnen mal meine Sammlung gekörter Auktionsspitzen zeigen, Gnädigste?
In lupenreinem Besamer-Chinesisch geht es weiter: „Muttervater Pik Pavarotti ist ein Sohn des S-erfolgreichen Pik Solo und führt somit das Blut des großen Pik Bube I weiter, der mit über 30 gekörten Hengsten als einer der einflussreichsten Hannoveraner Hengste gilt.“ Ach was! Und ich dachte immer, Gerhard Schröder sei das gewesen.
Oma war aber auch nicht von Pappe: „Disagios Großmutter, St.Pr.St. Gatinka, führt über Grenadier und Grunewald das Blut des großen Grande, einem der bedeutendsten Hengste der Hannoveraner Zucht.“ Wir wiehern jetzt mal großzügig darüber hinweg, dass da der Genitiv statt des Dativs hätte stehen sollen. Viel wichtiger ist doch unterm Strich: „Disagio steht über Frischsamen zur Verfügung.“
Wie jetzt: Der steht zur Verfügung? Als sein eigener Genpool? Kann man sich den klonen lassen? Denkbar ist das, wo russische Wissenschaftler unlängst schon ein hunderttausendjähriges Blümchen aus dessen versteinerter DNA zum Leben erweckt haben. Vielleicht kann ich im Teutonenhof am Schalter verlangen: „Eine Tüte Disagio bitte, aber frisch!“ (Ich weigere mich mir vorzustellen, dass es „ein Gläschen“ heißen könnte.)
Andere Hengste gibt es offenbar nicht vakuumverpackt. Eclair de Lune* zum Beispiel steht nur „im Natursprung zur Verfügung“. Der dürfte irgendwo zwischen Rössel- und Eisprung vollführt werden, der Gipfel an Frische vermutlich. Bzw. auf frischer Tat ertappt.
Jedenfalls, wenn man alles über das Hochleistungs-Besamen lernen möchte, dann am besten im Teutonenhof. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Gestüts verlangen unzweideutig: „Samenbestellungen bitte bis 10 Uhr“. Und sie regeln weiterhin zweifelsfrei: „Im Normalfall wird pro Versand jeweils nur eine Portion Frischsperma verschickt.“ Aha, also doch Gläschen, nicht Tüte!
Doch in den AGB kommt nicht nur kein Zweifel, sondern auch so überhaupt keine Spur von Fortpflanzungs-Romantik auf: „Der Samenversand (innerhalb von Deutschland) wird über einen Paketdienst abgewickelt, die Kosten gehen zu Lasten des Stutenbesitzers.“ Wenn also bei Ihnen demnächst der DHL-Mann zweimal klingelt, könnte es sich um das Schnapsglas mit Disagio handeln. Und nicht vergessen: „Der Samen wird in das Ausland ausnahmslos nur gegen Vorkasse abgegeben.“
Wobei niemand wissen will, wie man den ins Ausland abgibt. Wir schalten eilig zurück ins Sportstudio.
* Name geändert
Bislang dachte ich bei Pferdehinterbeinen maximal an Sauerbraten. Bin geläutert, danke für umfassende Aufklärung!