Steve McCurry ist der vielfach preisgekrönte Fotograf, der uns im Auftrag des National Geographic bereits in den 1980-er Jahren das Leid Afghanistans in einzigartigen Aufnahmen nahebrachte, als die Menschen dort noch gegen die Russen kämpften. Sein vielleicht berühmtestes Foto ist ein Titelbild aus dem Jahr 1985, das die Angst in den Augen eines vielleicht zwölfjährigen Mädchens zeigt.
Dieses Bild begegnet uns jetzt wieder – in der Retrospektive „Steve McCurry – Überwältigt vom Leben“ des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG, bis 29. September). Ich war zur Presse-Vorpremiere dort und habe mit McCurry ein Videointerview geführt, das zugleich einen kleinen Einblick in die Schau bietet. Einige der Aussagen McCurrys über gutes Fotografieren fand ich in ihrer Prägnanz und Unumwundenheit dann doch überraschend:
Das Key Visual, also das plakative Werbefoto der Ausstellung selbst, zeigt verhüllte Frauen auf einem Bazar, die wie farbige Stoffbahnen selbst zu den dargebotenen Waren zu gehören scheinen. McCurry berichtete auf der Pressekonferenz der Ausstellung, dass es für ihn durchaus riskant war, das Bild der Gruppe zu schießen. „Ein Bruder oder Ehemann einer der Frauen hätte mich töten können, wenn er es bemerkt hätte, weil ich in seinen Augen die Ehre der Frauen verletzt hätte.“
Wodurch verletzt? Im weitgehend analphabetischen Afghanistan ist der Glaube weit verbreitet, die West-Menschen hätten „Röntgenkameras“, die durch Gewänder hindurchfotografieren. Und wenn man genauer drüber nachdenkt, ist die Vermutung weniger absurd, als sie zunächst anmutet. „Sie glauben das, weil wir schließlich auch Drohnen haben, mit denen wir sie aus heiterem Himmel töten“, erklärt McCurry. Warum sollten Menschen, die überlegene Technologie auf diese Weise demonstrieren, nicht auch bösartig mit Röntgenstrahen fotografieren?
Allerdings ist McCurry in vielerlei Hinsicht wirklich der Mann mit der Röntgenkamera. Seine Bilder von fremden Kulturen und spannungsgeladenen oder gottverlassenen Orten scheinen mehr einzufangen, als für uns Sterbliche auf den ersten Blick sichtbar ist. Da sind immer noch weitere Ebenen und Schwingungen der Wahrheit, da fügen sich Gestalten, Gefühle, Licht und Schatten zu ganz neuen und kraftvollen Eindrücken zusammen.
Nicht wenige seiner Aufnahmen zeigen „Tragik und Humor zugleich“, wie er sie nach eigener Aussage etwa an Kriegsschauplätzen gefunden hat. Auch Schönheit ist fast immer Teil seiner Bilder, selbst wenn sie eine in der Ölpest des Kuwaitkrieges verendende Ente zeigen.
Dabei ist das alles nicht bewusst komponiert: „You are not thinking when you’re shooting“, sagt McCurry. Einmal bemerkte er in einem Krisengebiet auf der Jagd nach Motiven erst viel zu spät, dass er sich mit seinem Jeep längst mitten in einem ausgedehnten Minenfeld befand. Er wendete einfach und fuhr in derselben Spur zurück.
Auch, wenn ich hier erst kürzlich über eine andere Ausstellung des MKG lobend geschrieben habe und in den (unbegründeten) Verdacht der Museums-PR gerate: Ich kann „Überwältigt vom Leben“ im MKG nur empfehlen.
Schöne Fragen, intelligente und zum Teil überraschende Antworten – etwa: dass es keinen Unterschied für die Fotografie mache, ob man Menschen möge. Danke! Nils
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