„Künstliche Intelligenz“ macht es möglich: Nach Eingabe eines frei erfundenen Titels dichtet ein Algorithmus automatisch das passende Volkslied dazu – wunschgemäß im Stil von 1840, 1970 oder 2100. Das Ergebnis? Schreit nach einer (menschlichen) Textanalyse.

Volkslieder? Sind das nicht so Brüller wie „Zehn nackte Friseusen“? Quatsch, das ist deutscher Deppen-Schlager. Volkslied ist, wenn der Dichter ein Nobody war, eben einer aus dem Volke. Sein Name von der Zeit vergessen, aber sein Werk in manchen Kreisen immer noch populär und weitergegeben von einer Generation zur nächsten. Wie zum Beispiel „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Alt und staubig, kann alles weg.

Nein? Doch nicht? Offenbar gibt es ein neues Bedürfnis nach Volksliedern, was natürlich schon mal ganz arg verdächtig ist, steckt doch das Wort „Volk“ darin. Und wer wollte heute noch von sich behaupten, zu einem solchen zu gehören – außer alle anderen als die Deutschen natürlich. Wer aber ernsthaft den Wunsch hat, neue Volkslieder zu entdecken statt der abgenudelten, dem kann jetzt geholfen werden: Die Webseite Volkslied3000 generiert automatisch eines, wenn Sie bloß frei Schnauze einen Titel eingeben. KI, Baby! Und die Zahl 3000 sagt uns, dass diese Lieder potenziell eine ganze Weile lang zeitgemäß bleiben werden, auch im grenzenlosen woken Superstaat.

Es sei denn, Sie hätten Stil und Inhalt gern ein wenig rückwärtsgewandt. Als ich Volkslied3000 mit dem Song „Ohne Klima fliegen wir durchs Land“ beauftragte, ward mir innerlich plötzlich so 1840 zumute. Auch das kann man dem Algorithmus mit auf den Weg geben. Ach ja, und dann noch die Region, auf deren „Orte und Landschaften“ der Text dann angeblich Bezug nimmt. Das konnte ich allerdings nicht feststellen. Aber sehen Sie sich das vier Strophen lange Ergebnis doch selbst an – ergänzt um eine in menschlicher Handarbeit erstellte Textanalyse.

Ohne Klima fliegen wir durchs Land

Ohne Klima fliegen wir durchs Land,
denn wir sind schon bei Tag und bei Nacht.
Was soll uns da ein Klima ergetzen,
wir sind ja doch im Augenblick?
Wie die Wolken ziehn wir unsre Bahn
immer mit dem Winde dahin,
ohne Klima trägt der Mensch sich um.

Analyse: „Was soll uns da ein Klima ergetzen / wir sind ja doch im Augenblick?“ – Das ist deep! Wer im Hier und Jetzt lebt wie beispielsweise die sprichwörtliche Eintagsfliege, kennt höchstens Wetter, aber kein Klima. Langfristig und kompliziert Wechselhaftes bedeutet ihm nichts. Blitzt es, dann ist Gewitter, Punkt. Und genau das ist die Mission dieses Liedes: Auf eine Herausforderung zur Zeit kann man sich einstellen, allzuviel Zukünftiges ist ungesund. Oder: Wer ständig die ganze Last der Welt auf seinen Schultern trägt, wird niemals leicht genug zum Fliegen und ist bald darauf schon wieder tot! Ohne Klima hingegen „trägt der Mensch sich um“: offensichtlich eine altmodisch-poetische Wendung für „zieht er sich am eigenen Schopf aus dem Schlammassel“. Und genau das würde uns allen mal gut tun!

Wer hat ihn nur den Menschen gemacht,
den Stab hat er in seiner Hand!
Dieser Fuhrmann ist ein arges Schlacht,
ein Schelm wird er genannt.
Wer viel Geld hat, nehmt ihm’s nicht weg,
er gibt’s ja doch aus Scherz;
Er nimmt’s nur aus eignem guten Willen.

Okay, „das Schlacht“ (Neutrum) war mir jetzt neu, insbesondere als „arges Schlacht“, aber es reimt sich immerhin auf „gemacht“. Und die ersten beiden Zeilen sagen mir erneut, dass uns Menschen etwas mehr Leichtigkeit und Selbstbewusstsein gut zu Gesicht stünde: nicht niedergedrückt, nicht geduckt von irdischem Elend, sondern mit dem Stab in der eigenen Hand! So (klimalos) wandert es sich gleich viel fröhlicher: Triffst du auf einen Reichen, dann ist auch der ja immer noch ein Mensch, das Geld ist ihm arglos zugeflogen („aus eignem guten Willen“), und lustig ausgeben wird er es allemal wieder („aus Scherz“). Also wozu sich erregen? Das Leben ist schön!

Der Klimatologe, der giebt gelb,
weil er beständig sitzt und bleibt.
Das Gelb des Atlas ist gar schön,
nach jenem beständig geht die Reihen!
Der Herr Papa Atlas ist reich und ächter;
die Karte ist nur wert, wenn Atlascher drüber.

Ja nun, der Klimatologe war halt auch schon um 1840 eine Spaßbremse, nur eben noch nicht allgegenwärtig. Es gab ja noch nicht so viele Medien! Rennfahrer geben Gummi, der mürrische Klimatologe hingegen „giebt“ gelb. Das heißt, er gibt eindeutig eine Klima-Warnstufe aus – wenn auch das schöne „Gelb des Atlas“. Gemeint ist offenbar nicht der „Diercke“, sondern der Vater aller Gebirge („der Herr Papa Atlas“). Mahnend leuchtet sein von der Erderwämung bereits gelblich verfärbtes Gestein. Keine Frage: Dies ist – schon weil gegenüber den beiden vorigen eine Zeile fehlt – die rätselhafteste Strophe. Wer zum Beispiel „ächter“ ist, wie Papa Atlas, ist so jemand mehr als „acht“? Wer oder was ist „Atlascher“? Welche Karte wertet er auf? Vielleicht eine Klimakarte? Hier scheint alle vorherige Leichtigkeit abhanden gekommen. Bleischwer lastet die Klimabedrohung. Ist Rettung noch möglich?

Das Wasser kommt ins Zimmer und lacht;
es kommt ins Zimmer und es lacht!
Es liegt die ganze Nacht mit offnen Augen;
es träumet in sein’r Blümlein Flügel.
Es schwimmet wie ein Mück‘ auf und ab;
es halt’t die Flügel auf der Stubenwand.
Es lacht mit seinen kleinen Augen;
es träumet in sein’r Blümlein Flügel.

Hilfe, die Weltmeere treten über die Ufer! Aber siehe, die Klimakatastrophe ist gar nicht böse: „Das Wasser kommt ins Zimmer und lacht“! Und es „schwimmet wie ein Mück‘ auf und ab“, mit anderen Worten: niedlich und harmlos. Überhaupt endet alles auf einer heiteren Note. Es wird noch einmal viel und ausdrücklich gelacht. Das Wasser scheint generell ein fröhlicher Gesell. Und „es träumt in sein’r Blümlein Flügel“ ist regelrecht süß! Hach, das darf man als Schlusszeile gern noch mal wiederholen! Dadurch bekommen wir zum Schluss nun auch die vorhin fehlende Zeile hinzu, sodass wir im Schnitt nun doch bei sieben pro Strophe landen. Also Leute, locker bleiben. Das Klima, eine Gefahr? Ich lach‘ mich nass!

Wer will, kann mit automatischen Volksliedern aus den Zeiten zwischen 1840 und 2999 sogar noch an einem Kompositionswettbewerb teilnehmen, indem er sie vertont. Aber nur noch bis zum 10. Juli! Alle Informationen liefert die Webseite des Volkslied-Generators. Für den Hinweis danke ich kid37, der den Algorithmus ebenfalls ausprobierte.


Nachtrag: Sehe gerade, von wem dieses Projekt finanziell gefördert wurde: durch die „Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR.“ Oh ihr Brüder und Schwestern im Geiste! Das ist dieselbe weise und grundgütige Instanz, die auch TWASBO gefördert hat! Und hier wächst nun zusammen, was zusammengehört: Volkslied & Volkszeitung, Dichtung & Wahrheit, Gesang & Geist. Fürwahr: ein allumfassender Neustart der Kultur!


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