Fast könnte man meinen, Hamburgs neuer „kreativer, urbaner Erlebnisort“ mit seiner naturnahen Laubkrone sei ein Geschenk der Grünen an ihre Stadt. Was passen würde, denn in diesem Luftschloss der Freizeitgesellschaft lauern Gespenster im olivgrünen Tarnkleid des niemals endenden Krieges. Begehung eines Gebäudes mit eingebauten Abgründen.

Am 5. Juli 2024 eröffnete in Deutschlands zweitgrößter Metropole eine neue Touristenattraktion. Die städtische PR-Agentur „Hamburg Marketing“ bewarb sie als das „spektakulärste Bauprojekt in Hamburg seit der Eröffnung der Elbphilharmonie“ im Jahr 2017, hob den „öffentlichen Dachgarten in 58 Metern Höhe“ hervor, lobte die „spannende Gastronomie“ und den „einmaligen Panoramablick über die Stadt“. Natürlich verbessert das beworbene Bauwerk dank seiner üppigen Begrünung auch noch das Großstadtklima. Kurz: Hier entstand „ein neuer kreativer, urbaner Erlebnisort“, Hamburgs neues „Architektur-, Stadtentwicklungs- und Tourismushighlight mitten im quirligen Stadtteil St. Pauli“.

Die Werbung wirkte. Gleich am ersten Tag machten sich Tausende auf den steinigen Treppenweg der Erstbesteigung. Es herrschte Festival-Atmosphäre: „Danke, Adolf Hitler! Ohne die visionäre Tatkraft des Führers hätte die Hansestadt ihr neues Juwel des dritten Jahrtausends nicht einweihen können! Ein Hoch auf die kühnen Entwürfe der nationalsozialistischen Bauplanung und ihre weit über den Tag hinausreichende Dauerhaftigkeit!“ Sorry, aber ich musste diesen fiktiven Propagandastrom im Zeitgeist von vor mehr als 80 Jahren einfach im Geiste mitlaufen lassen und dem heutigen Hype zur Seite stellen, der so ganz anders klingt. Selbst auf die Gefahr hin, in betretene Gesichter zu blicken. Denn sonst wäre es allzu leicht, sich blenden zu lassen und den nunmehr offiziell so benannten „Grünen Bunker“ auf dem Heiligengeistfeld am Ende noch als das Geschenk einer passend dazu eingefärbten Regierungspartei an die Bürger der Stadt zu bejubeln.

Nichts könnte historisch und aktuell falscher sein. Denn es ist vielmehr so, dass ein privater Investor einen gigantischen Hochbunker aus der Nazizeit, der als nicht rückbaubarer Überrest des Zweiten Weltkriegs verrottete, für insgesamt 90 Millionen Euro „umgenutzt“ hat: Er stockte ihn noch um fünf Etagen mit Hotel-, Shopping- und Gastronomieflächen auf. Außerdem führt nun ein neu angelegter Treppenweg mit 335 Stufen die Außenfassade entlang, vorbei an mehr als 20.000 neu beschafften Grünpflanzen, immer hinauf bis zur mit Rasen begrünten Dachterrasse. Dafür gab es vermutlich öffentliche „Klimaschutz“-Fördergelder, die aber von „Hamburg Marketing“ ebensowenig erwähnt werden wie der Name des Investors. Das Hotel gehört jedenfalls zum „Hard Rock“-Konsortium, das auch die weltweit bekannten Hard-Rock-Cafés betreibt (sowie nun ein Outlet dieser Gastro-Marke im Bunker). Auf seiner Website hat es nicht den kleinsten Hinweis auf das kriegerische Nazi-Fundament seines neuen Standorts untergebracht. Außer vielleicht als leisen Anklang im Hotelnamen: „Reverb“, Nachhall. Harter Fels, in der Tat.

Ohne geschichtliche Grundlage aber sind die Hotelgäste im Fall nächtlicher Albträume auf sich allein gestellt. Kaum etwas ist (pop-)kulturell so widersprüchlich und kognitiven Dissonanzen so förderlich wie dieses graugrüne Monstrum aus Stahlbeton. Egal, wie wir ihn schminken: An ihm werden wir Hamburger und Deutschen uns noch weitere hundert Jahre die Zähne ausbeißen. Falls wir so lange durchhalten, während es auf jeden Fall das 22. Jahrhundert begrüßen wird. Dieses Bauwerk geht nicht weg. Und unterdessen macht es etwas mit uns. Auch auf seinen offenen Treppenaufgängen stehe ich noch in seinem langen Schatten. Und selbst, als ich seine grüne Dachlandschaft erklommen habe, lastet seine 3,80 Meter dicke Decke noch tonnenschwer auf der Seele.

Aber bevor ich vielleicht verständlich machen kann, wie dieses Bauwerk voller Schatten und Gespenster aus einer anderen Zeit meine Imagination beim Besuch zum Narren hielt („mindfuck“ ist das treffende englische Wort), muss ich die betonharten historischen Fakten vorausschicken.

Getauft wurde einer der größten von den Nationalsozialisten erbauten Bunker ursprünglich auf einen sehr deutschen Namen: „Flakturm IV“. Flak, Abkürzung für Flugabwehrkanone, IV für das vierte Bunkerbauvorhaben dieser Art im Deutschen Reich am Stichtag des Baubeginns im April 1942. Der Bombenkrieg, den die Wehrmacht an den West- und Ostfronten entfesselt hatte, war längst wie ein Bumerang ins Reichsgebiet zurückgekehrt. Der Bunker sollte Schutzräume für 18.000 Hamburger bieten. Beim Bau setzten die Nazis auch bis zu 2.400 Zwangsarbeiter aus den eroberten Gebieten ein. Im Juli 1943, als der Flakturm IV für die Zivilbevölkerung geöffnet wurde, drängten sich bis zu 30.000 Menschen darin.

Diese Glücklichen – oder weniger Unglücklichen – gelangten gerade noch rechtzeitig hinein, bevor die „Operation Gomorrha“ der Bomberverbände aus Großbritannien und den USA schließlich Ende Juli 1943 im Hamburger „Feuersturm“ mit etwa 34.000 Toten gipfelte. Die allermeisten Bombentoten im Stadtgebiet waren Frauen, Kinder und alte Männer, die Jungs waren ja an der Front. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof, wo sich auch die Kriegsgräberanlagen der Alliierten befinden, hat man den namentlich bekannten Hamburger Luftkriegsopfern vor vielen Jahren ein berührendes Mahnmal errichtet: Jeder Grabstein für ein ausgelöschtes Leben ist mit einer roten Rose bepflanzt. Es gibt auch einen kollektiven Gedenkort für die unbekannten Opfer. Ob dieser Totengarten unter der aktuellen Stadtregierung heute noch einmal angelegt würde, ist mehr als fraglich. Im Bunker zum Beispiel soll es eine Gedenkstätte für die Zwangsarbeiter geben, was nur angemessen erscheint. Eine für die zivilen Opfer der alliierten Terrorbomben ist nicht geplant. Sie haben keine Lobby mehr, die in Hitlers Krieg verbrannten Deutschen.

Der Flakturm IV sollte indes nicht nur passiven Schutz vor den Bombenteppichen bieten, sondern auch der aktiven Verteidigung des städtischen Luftraums dienen: Zusammen mit einem heute nicht mehr erhaltenen und ebenso massiven zweiten Betonbauwerk in Sichtweite, auf dessen Dach das Feuerleitradar stand, war dieser Flakturm der strategische Standort für zwei Zwillingsgeschütze und vier kleinere Batterien zur Flugabwehr. Gemeinsam mit einem weiteren Flakturm auf der Elbinsel im südöstlichen Wilhelmsburg ruhte auf ihm die Boden-Luftverteidigung ganz Hamburgs. Das folgende Bild zeigt ein baugleiches Hochbunker-Ensemble in Berlin:

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0508-502 / Pilz / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE

In der Flakstellung auf dem Hamburger Turm IV wurden aus Mangel an Soldaten ab Inbetriebnahme im März 1943 auch 35 Schüler, eine ganze Schulklasse von Jungen, als „Flakhelfer“ eingesetzt. Und hier beginnen die kognitiven Dissonanzen, die ich eingangs erwähnte. Im Bunker auf dem Heiligengeistfeld sind historische Fotos ausgestellt, die einige dieser vielleicht 16-Jährigen in Uniform an den schweren stählernen Flakgeschützen zeigen (leider hier nicht abgebildet). Die Gesichter dieser Jungs sind nicht etwa vor Angst verzerrt oder von Abscheu vor der Pflicht gezeichnet, zu der man sie verdonnert hat.

Nein, die Mienen erzählten von Abenteuerlust und Stolz. Sie, die sich danach sehnen, „echte deutsche Männer“ zu sein, dürfen das Reich und die Stadt mit diesen riesigen und ehrfurchtgebietenden Kanonen verteidigen! Sie, die Auserwählten, die der Verantwortung würdig befunden wurden! Im Moment der Fotografie, vermutlich vor dem ersten der großen Nachtangriffe von tausend Bombern in mehreren Wellen, zeigen sich diese Hamburger Jungs voller heldenmütiger Entschlossenheit. Das ist es, was ihre Gesichter ausdrücken: Entrückung. Sie sind Teil einer heiß laufenden Maschine, die unendlich viel größer ist als sie selbst. Das Gegenteil der Geste, die ich vor drei Jahren hier beschrieben habe.

Und das ist es, was auch dieses Gebäude ausstrahlt. Neben allen Schrecken und Unmenschlichkeiten, die hier in Beton gegossen wurden, vermittelt es eine Idee von Größe und Unbeugsamkeit, die heutige Deutsche hilflos schaudernd zurücklässt. Wir haben über Generationen verlernt, mit dieser Anmaßung umzugehen. Andere haben uns das abgenommen, wir im Auenland stehen so etwas ratlos gegenüber. Ratlos, doch mit einer Gänsehaut, die noch von alten Reflexen erzählt. Wer sie in sich zulässt, um sie zu verstehen, erlebt beunruhigende innere Vorgänge. Die wohlige Angstlust, die von der fernen Nähe der alten, echten Nazis in ihren Stahlhelmen und Lederstiefeln kündet.

Noch bevor man ihn unterdrücken kann, ist da beispielsweise dieser Impuls, dieses zuckende Flämmchen ästhetischer Faszination. Es flackert auf, als man durch die wenigen Informationstafeln im Bunker erfährt, dass dieser deprimierend graue Klotz im Falle eines gewonnenen Krieges nicht etwa kommerziell begrünt worden wäre. Nein, man hätte ihn vollständig mit weißem Marmor verkleidet. Das hatte Hitler sich so vorgestellt. Denn nach Kriegsende sollte der Bunker sich in eine Art Palast der Partei verwandeln, in dem nationalsozialistische Empfänge, Ausstellungen und Kongresse zelebriert werden würden. Zu diesem Zweck wurden sogar schon die heutigen Fensteröffnungen in den meterdicken Außenwänden ausgespart – und nur für die Kriegsverwendung rückbaufähig mit Beton verfüllt. Glanz und Größenwahn des Dritten Reiches: Hier steht ihr untotes Totenhaus, ihr Zombie-Mausoleum.

Die Wände des Reserve-Feuerleitstandes, der einsprang, falls das Hauptradar im Turm gegenüber ausfiel, sind wenige Meter unterhalb der neuen Spielwiese noch erhalten. Die gepanzerten Türen, durch die Offiziere und Melder ein- und ausgingen. Das Wendeltreppenhaus, das für schnellstmögliche Befüllung des Bunkers und Verteilung der Menschen auf die verschiedenen Ebenen sorgen sollte. All das ist noch da, 80 Jahre danach. Vor allem aber ist dieser gewaltige staatliche Wille noch da. Verbaut in den Stahlträgern, komprimiert und verewigt im Beton. Da wollte sich ein Deutschland bewähren, das wir nicht mehr verstehen: einer „Welt von Feinden“ trotzend, Jüngers „Stahlgewittern“ standhaltend. Nun, als mumifizierte Leiche hat es überdauert. In Echos von Echos hallt seine Stimme hier nach.

Und wir Heutigen nutzen brav die von den Gespenstern vorausgeplanten Fensterhöhlen. Dies ist die andere Dissonanz, die sich hier oben unvermeidbar einstellt: Was wären wir ohne sie, die dies bauten? Nun, zumindest wären wir ohne Chance für Auf-Bauten geblieben. Ich streife durch den Gastraum eines Bar-Restaurants. An seinen Panoramafenstern sitzen Touristen, die einen Cocktail für 16 Euro schlürfen und mit den Handys die Aussicht auf das Fußballstadion des FC St. Pauli festhalten.

Wie sitzt es sich hier, wo nachts die Brandbomben niedergingen? Lauscht man noch dem Heulen der Sirenen nach, dem Donnern der Flak, dem Dröhnen der mächtigen Lancaster-Motoren am Himmel? Sieht man noch die geisterhaften Lichtkegel der Suchscheinwerfer durch die düsteren Wolkenschichten schneiden? Die Phosphor-Leuchtspurmunition, die zur Zielmarkierung makabre „Christbäume“ an den Nachthimmel zauberte? Den Feuerschein an allen Enden der schwer getroffenen Stadt? Riecht man den fetten schwarzen Qualm des Feuersturms, den erstickenden Mörtelstaub der zusammenbrechenden Mietskasernen?

Nein, was wir dort unten sehen, sind die Millionen Lichter des Hamburger Doms, der großen Kirmes auf dem Heiligengeistfeld. Fahrgeschäfte und Achterbahnen verbreiten ihren wirbelnden Lärm, Basslautsprecher wummern die Beats zu Kirmes-Techno, Dünste von gebrannten Mandeln und Backfisch steigen aus der Tiefe auf. Wollen wir erst ein wenig shoppen gehen, oder gleich aufs Hotelzimmer und … St. Pauli spielen?

Natürlich kann man sagen: Ist doch die beste Lösung, so ein grüner Touristenmagnet mitten in der Stadt; besser als das schroffe und gratige Betongebirge einfach so vor sich hin rotten zu lassen, als Bauwerk gewordene Rohheit. Denn das Abreißen drei Meter dicker Wände ist heute weniger denn je eine Option, wir brauchen die Milliarden anderswo, etwa zum Stopfen der fettesten Löcher in unseren kollabierenden Sozialsystemen. Und vermutlich ist die gefundene Lösung die optisch befriedigendste, die lebensfreundlichste. Doch all der Fun, der Panoramablick, der Öko-Schick und der Hype können die bösen Geister im Haus der Anachronismen nicht endgültig bannen. Als Hotelier hätte ich es nicht gewagt, meine Investition auf diesen speziellen genius loci zu gründen.

Die dritte kognitive Dissonanz nämlich, die mich wie ein schleichender Schatten bei der Bunkertour begleitet, ist vielleicht die brutalste, am schwersten verstörende. Sie nistet nicht in der Vergangenheit, sie kommt aus der Zukunft. Dieses Gebäude ist ein Zeugnis dafür, dass die Welt niemals das Paradies des Friedens sein wird, als das sie den Generationen erscheint, die noch keinen Krieg erlebt haben. Unablässig, unüberhörbar flüstert es von allen Bunkerwänden den Feiernden und Shoppenden, den schönen jungen Menschen von St. Pauli entgegen: Kommt, kommt herein, beeilt euch, bald ist wieder Toresschluss! Bald schon werdet ihr euch wie eure Großeltern nach dem Schutz dieser Mauern sehnen! Wenig wahrscheinlich nur, dass sie den heutigen Atombomben noch etwas entgegenzusetzen haben. Ihr habt es ja nach Kräften entmächtigt, dieses böse alte Glaubensgebäude. Ob ihr nicht besser beraten wärt, einfach hinaus in den Park zu gehen und dort in das hellweiße Licht zu treten?

Denn die Zeichen stehen auf Krieg. Diejenigen, die hier heute noch das Laubgrün des „Klimaschutzes“ feiern, sind dieselben, die den verbliebenen Söhnen des Landes das Olivgrün der Bundeswehr-Uniform überstreifen und sie an die imaginäre Verteidigungsfront westlicher Werte schicken wollen. Zu diesem Zweck haben sie bereits clever ein Gesetz erlassen, das es genetischen Männern trotz der neuen Freiheit zur Selbstbestimmung des Geschlechts verbieten, sich im Fall der Einberufung zum Militär einfach anders zu definieren. Und sie, die Grenzen für unschützbar erklären, lassen deutsche Leopard-Panzer als Angriffswaffen aus der Ukraine nach Russland rollen. So schließt sich für sie das Band zu den Nazi-Großeltern, das sie erfolgreich zerschnitten zu haben glaubten, erneut.

Ich verlasse den Bunker mit banger Beklemmung. Die knuffigen Cartoon-Figuren mit Hamburger Seemannsmützen an den Wänden, die den „Führer“ vermutlich nicht entzückt hätten, weisen mir vom Leitstand aus den Weg zur Treppe. Wie eine Viehherde werden wir Besucher am Ausgang durch Gitter vereinzelt und durch ein Drehkreuz geschleust. Doch hindurch geht es anders als beim Eintritt unkontrolliert. Dort draußen dürfen wir schutzlos sein, wo immer wir wollen. Hinein wird es vielleicht bald schon nur noch für wenige gehen.