Weihnachtszeit! Geschenke, glückliche Kinderaugen – dazu früher immer die spannenden Geschichten, die Urgroßvater Fridolin vom Krieg erzählte. Das macht heutzutage Papa, nur spielen seine Abenteuer auf dem Schlachtfeld der Geldanlage. Und so wie der Fridolin blind dem Führer vertraute, setzte der Papa naiv auf die Banken. Wie das wohl wieder ausging?
Liebe Kinder! Weil es stillos und banal wäre, Euch einfach Geld zu Weihnachten zu schenken, gibt es noch eine Geschichte dazu. Sie handelt davon, wie aus einem langfristig angelegten Eurobetrag ein kleines Vermögen wurde.
Es war nämlich so, dass Eure vorausschauenden Eltern zu Eurer Geburt jeweils 1.000 Euro in einen Offenen Immobilienfonds eingezahlt haben. Dort sollte es sich, trotz aller Schwankungen der Märkte, über fast zwei Jahrzehnte hinweg unter dem Strich solide vermehren. Und wenn Ihr dann volljährig sein würdet, bekämt Ihr ein hübsches Sümmchen mit auf den weiteren Lebensweg. Was für ein schlauer Plan Eurer gutherzigen Eltern!
(Langweiliges Finanz-Fachwissen: Ein Offener Immobilienfonds erlaubt es kleinen Leuten wie uns, sich mit verhältnismäßig geringen Beträgen an der Wertentwicklung internationaler Gewerbeimmobilien zu beteiligen, die als Paket von Investmentgesellschaften verwaltet werden. „Offen“ heißt der Fonds, weil im Prinzip beliebig viele Kleinanleger Anteile erwerben können; außerdem ist kein Enddatum der Anlage fixiert, und die Fondsgesellschaft verpflichtet sich anders als bei „geschlossenen“ Fonds, diese Anteile jederzeit zum aktuellen Kurswert zurückzukaufen. Wenn man zum Beispiel unerwartet mehr Bargeld braucht, als man gerade hat, ist es also eine jederzeit liquide Anlage, und trotzdem wertsteigernd.)
Weil ich damals mein Girokonto bei der SEB hatte, legten wir das Geld in einem Fonds der Tochtergesellschaft SEB ImmoInvest an. Wobei es vielleicht ein Warnsignal hätte sein können, dass diese Kundenbeziehung automatisch zustande gekommen war. Ursprünglich hatte ich das Girokonto nämlich bei der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) eröffnet und war da im Grunde immer zufrieden gewesen. Aber dann, eines Tages im Jahr 2000, hatte das Logo der Bank auf den Kontoauszügen plötzlich gewechselt (auch die Farbe: grün statt blau). Die BfG war von der SEB übernommen worden.
Okay, die SEB war schwedisch, und was aus Schweden kommt, ist ebenso öde wie seriös und damit zwar im Schneckentempo, aber stetig wertsteigernd. Also warum nicht einfach aus Bequemlichkeit dort Kunde bleiben? Und warum nicht deren Fonds SEB ImmoInvest vertrauen? Eben. Außerdem schrieb uns die Fondsgesellschaft zur Begrüßung im Jahr 2003 unter anderem: „Sie haben eine gute Entscheidung getroffen, denn: Wir bauen Erfolg auf!“ Und genau das wollten wir ja – für Eure Zukunft.
Also schoben wir zweimal innerhalb weniger Jahre 1.000 Euro über den Tisch. Und was soll ich sagen: Der Wert dieser Anlagen stieg! Das ergab sich aus den regelmäßig auflaufenden Depot-Auszügen, die wie erwartet einen unspektakulären, aber stetigen Kurszuwachs zeigten. Die Jahre vergingen, und Ihr wart mit Heranwachsen beschäftigt, während wir nur sehr selten mal einen Blick auf die Depot-Auszüge warfen.
Unterdessen begann im Jahr 2008 in den USA eine gewaltige Immobilienkrise, die bald um die ganze Welt lief. Viele der glitzernden Wolkenkratzer und Shopping Malls, in die Immobilienfonds wie unserer investiert hatten, waren in Wahrheit völlig überbewertet. Ihr realer Wert deckte also keineswegs die auf dem Papier immer weiter gewachsenen Zahlen ab. Panik machte sich unter Anlegern und Banken breit; viele verkauften ihre Anteile, sodass die Kurse immer weiter fielen. Was die Panik der verbliebenen Anleger bloß steigerte.
Und dann, es muss ungefähr im Juni 2010 gewesen sein, wurde der „offene“ Fonds SEB ImmoInvest plötzlich geschlossen: Die Möglichkeit zur Rücknahme von Anteilen und zur Auszahlung des Ertrags wurde vom Management „vorübergehend“ ausgesetzt – nur, bis sich die Gefahr einer krisenbedingten Insolvenz des Fonds gelegt haben würde. Dass so etwas überhaupt möglich war, damit hatten wir nicht gerechnet. Aber gut, dachten wir, es ist uns ohnehin nicht eilig mit dem Kassieren unserer Erträge. Die Fondsgesellschaft wirtschaftete unterdessen ja weiterhin mit den für uns jetzt unerreichbaren Einlagen, die ja erst zu Eurer Volljährigkeit flüssig gemacht werden sollten. Wir fassten uns also in Geduld.
Zur Begrüßung schrieb uns die Fondsgesellschaft: „Sie haben eine gute Entscheidung getroffen, denn: Wir bauen Erfolg auf!“
Das Bankenchaos jedoch war damit nicht beendet. Viele Geldinstitute waren finanziell am Ende. Einige mussten teilweise vom Staat übernommen werden, um nicht zusammenzubrechen. Andere wurden von größeren und mächtigeren Banken geschluckt. Im Jahr 2011 wechselte auch die SEB erneut das Logo (und die Farbe: rot statt grün). Sie war von der spanischen Großbank Santander übernommen worden. Die sprang gleich so arrogant und inkompetent mit ihren Kunden um, dass ich keine Lust mehr auf mein schon wieder in fremde Hände verhökertes Girokonto hatte und damit zu einer anderen Bank ging.
Der Fonds SEB ImmoInvest aber verwaltete weiter unsere Geldanlagen für Euch, nur die Post an uns Privatkunden kam jetzt formell von Santander. Immer noch blieben die Kontoauszüge trotz allem positiv. Da stand zum Beispiel im Juli 2011, dass anfangs 1.000 Euro jetzt immerhin 1.193,74 Euro wert waren – nicht sooo schlecht fürs Nichtstun, in einer schweren Wirtschaftsflaute und einer Zeit fast ohne Inflation.
Zusätzlich versuchte die Fondsgesellschaft im Mai 2012, mit einem bunten Prospekt neuen Optimismus zu verbreiten: Man habe Spitzenreiter unter den Wirtschaftsimmobilien im Portfolio, zum Beispiel am Potsdamer Platz in Berlin! Das sei alles sehr zukunftssicher und wachstumsstark! Der Fonds solle daher in Zukunft zur Normalität zurückkehren. Die Möglichkeit zum Verkauf von Anteilen gegen Bargeld werde am 6. Mai um Mitternacht versuchsweise wieder eröffnet. Wenn allerdings bis zum folgenden Tag um 13 Uhr zu viele Kunden auf der Matte stünden, die partout ihr Geld zurückhaben wollten, müsse man leider einen Schlussstrich ziehen.
Und genau so kam es. Viel zu viele wollten trotz der bunten Zukunftsvisionen nur noch raus aus dem „offenen“ Immobilienfonds. Also wurde dieser Fluchtweg stattdessen niemandem erlaubt. Die Fondsgesellschaft schrieb uns noch am selben Tag: Sie kündige die Verwaltung des SEB ImmoInvest auf, und zwar zum 30. April 2017. Bis zu diesem Schlussdatum in rund fünf Jahren würden endgültig keine Rückkaufaufträge mehr angenommen. Endgültig kam also niemand mehr aus eigenem Entschluss an sein dort angelegtes Geld.
Doch die Santander-Bank beruhigte uns im Januar 2013 immerhin: „Das Fondsvermögen wird innerhalb einer Frist von ca. fünf Jahren sukzessive aufgelöst und halbjährlich ausgezahlt.“ Wir würden also bis 2017 scheibchenweise zurückerhalten, was im Fonds verblieben war – abzüglich sehr klein gedruckter Bearbeitungs- und Auflösungsgebühren.
Die erste Teilrückzahlung betrug in unserem Fall insgesamt 421,59 Euro. Allerdings musste die Fondsgesellschaft vor jeder Zahlung erst Immobilien verkaufen, um die nötige Liquidität überhaupt aufbringen zu können, und das bei weiter abstürzenden Immobilienpreisen. Trotzdem folgten halbjährlich bis Juli 2014 immerhin vier Ausschüttungen, m eist Kleckerbeträge im zweistelligen Bereich. Dann, im Oktober 2014, kam erneut Post von der Santander-Bank: Unser Depot werde Anfang 2015 ein weiteres Mal übertragen. Neuer Verwalter sei dann die „Fondsdepot Bank“.
Bitte wer? Hat jemals jemand diesen Namen gehört? Santander wurde kaum konkreter: „Die Fondsdepotbank bietet Ihnen ein transparentes Leistungsangebot und gilt als solider und zuverlässiger Partner.“ Eigentlich hätte sie gleich schreiben können: „Hauptsache, wir bzw. die Fondsmanager des SEB ImmoInvest sind Sie als lästigen Zwangskunden los.“ Eine Internetrecherche ergab, dass bei der erst 1993 gegründeten Fondesdepotbank kein Anleger unmittelbar einen Fonds kaufen kann, das geht nur über Dritte. Warum man als Privatanleger dann überhaupt jemals dort landen sollte, bleibt unklar. Freiwillig jedenfalls nicht. Die Fondsdepotbank gehört zur britischen FNZ Group, einem „globalen Anbieter von Plattformen zum Vermögensmanagement“. Ah ja.
Jedenfalls: Von 2015 an bekamt Ihr, liebe Kinder, bzw. stellvertretend wir als Eltern dann keine Mitteilungen mehr von Santander, sondern regelmäßig seitenweise Papierpost von der Fondsdepotbank: „Jahresdepotübersichten“ mit immer weiter abnehmenden Beträgen, Steuerbescheinigungen und immer wieder kleingedruckte Änderungen der Geschäftsbedingungen, die kein Mensch jemals liest. Auch gab es häufig neue Kontaktadressen, Telefonnummern, Zugangscodes für „Internetbanking“ (warum, wenn man eh nicht an sein Geld kommt?) und zuletzt nur noch irgendwelchen automatisierten Chat-Angeboten im Netz. Bitte kontaktieren Sie uns nicht!
Allerdings erhielt ich wie angekündigt bis Juli 2017 auch noch insgesamt sechs weitere Teilrückzahlungen aus dem Fondsvermögen. Einmal waren es zwar nur 6,92 Euro im Halbjahr, für Eure beiden Depots zusammen. Dann, ab August 2017, als der Fonds wie angekündigt innerhalb von fünf Jahren offiziell abgewickelt war, kam endgültig kein Cent mehr hinzu.
Dabei existieren Eure beiden Depots bei der Fondsdepotbank immer noch. Dort sind auch immer noch irgendwelche Mini-Fondsanteile verzeichnet, aber die Bearbeitungs- und Verwaltungsgebühren übersteigen wohl diese Bestände, so dass nichts mehr ausgezahlt wird. Nachvollziehen kann ich das nicht, denn als inzwischen Volljährige seid nun Ihr die Inhaber der beiden Zombie-Depots, und ich habe keinen Zugang mehr. Aber auch Ihr wollt vermutlich nicht nachschauen, denn um Zugang zum Internetbanking zu erhalten, müsstet Ihr Dutzende von Antrags-Papieren ausfüllen. Um dort dann vielleicht 7,34 Euro zu entdecken, die Euch nicht zustehen, weil sie schon für die Kontoführungsgebühren draufgehen.
Zuletzt gab es nur noch irgendwelche automatisierte Chat-Angebote im Netz. Bitte kontaktieren Sie uns bloß nicht!
Fazit: Alle elf Ausschüttungen zwischen 2012 und 2017 haben zusammen 1.206,33 Euro auf mein Konto geschaufelt – den Rest von ursprünglich 2.000 Euro für Euch beide zusammen. Das entspricht einem Verlust von 793,67 Euro oder rund 40 Prozent. Wie eingangs angekündigt ist aus einer angelegten Geldsumme ein kleines Vermögen geworden – nur war es vor der Anlage halt deutlich weniger klein.
Im Endergebnis bleiben für jedes Kind von ursprünglich 1.000 Euro genau 603,17 Euro übrig, und daraus machen wir dieses Weihnachten ein großzügiges Geldgeschenk von ebenso runden wie festlichen 600 Euro pro Kind. Frohe Weihnachten! Gebt die viele Kohle lieber direkt aus, statt sie bei Banken anzulegen! Und falls jemand fragt: Die übrigen zweimal 3,17 Euro sind mein Honorar für das Schreiben dieser lehrreichen Geschichte.
Warum lehrreich und nicht einfach nur sterbenslangweilig, fragt Ihr immer noch? Nun: weil sie beweist, wie viel Ahnung Euer Vater als Diplom-Volkswirt von der Geldanlage hat und wie vertrauensselig er war zu glauben, dass ein „offener“ Immobilienfonds auch wirklich offen ist und bleibt. Oder dass Immobilien einfach immer im Wert steigen. (Okay, die Geschichte von der Crowdfunding-Beteiligung an einer gewissen Spielfilmproduktion und die Legende von den T-Online-Aktien kanntet Ihr ja schon.)
Darüber hinaus lehrt diese Geschichte Euch etwas über die Vertrauenswürdigkeit der Finanzbranche im Allgemeinen. Aber vor allem zeigt sie, dass über lange Zeiträume hinweg vollkommen unwahrscheinliche Dinge eintreten, auf die niemand vorbereitet ist – nur welche genau, weiß man vorher leider nie. In Brechts Dreigroschenoper heißt es deshalb: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht!“ Aber der Dichter war ohnehin ein größerer Finanzfachmann als ich, denn er hat bekanntlich auch die Frage gestellt: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Nochmals ein frohes Fest als plötzlich vermögende Menschen wünscht Euch
Papa
P.S.: Selbiges auch Ihnen, liebe TWASBO-Leser (ob vermögend oder Bankkunden, egal)!
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