Weh uns, die alten Mythen sind wahr geworden! Noch vor dem Winter ist der Eine Stein ergrünt und hat auch das Heer der Neununddreißig mobilisiert. Die giftgrünen Wegelagerer wachen nun auf Schritt und Tritt über jede Bewegung Radfahrender und Joggender in den östlichen Hamburger Ödlanden.

Ich hatte es prophezeit: Als sie kürzlich den Einen Stein errichteten, den regungslos Grauen und Grauenerregenden, kroch namenloses Unheil über die Ödlande des Hamburger Ostens. Die weisen Wespen wisperten von einer Ahnung kommender Schrecken. Mütter hielten ihre Töchter im Haus, Pferde scharrten unruhig mit den Hufen und flehmten panisch, die Signalfeuer auf den Wachtürmen wurden entzündet – doch Rettung blieb fern. Alle unsere Verbündeten hatten uns verlassen und Seiner kommenden Herrschaft preisgegeben. Nun ist es also geschehen. Über Nacht hat der Eine Stein seine Gitter gesprengt und seine wahre Gestalt offenbart: grün. Grün wie Gift. Grün wie ein Laubfrosch aus dem Genlabor. Grün wie ein Wahlplakat der Einen Partei. Grün wie die selbstleuchtenden Schleimbatzen mit eingestreuten lila Würmern, in die wir einst als Kinder all unser Taschengeld investierten.

Und schlagartig warf auch die Armee der Neununddreißig ihre grauen Tarnmäntel ab. Die Bestimmung dieser seit fast zwei Jahren starr lungernden und lauernden Wegelagerer war es gemäß einem von mir ängstlich befragten Behörden-Orakel gewesen, sich dereinst in „Meilensteine“ zu verwandeln: „Die Meilensteine gehen aus dem Beteiligungsverfahren ‚Deine Geest‘ hervor, in dem Distanzangaben für Joggende und Radfahrende gewünscht wurden. Leider kommt es bei der Bauausführung wegen eines Insolvenzverfahrens der ausführenden Firma zu Verzögerungen.“

Niemand hatte dem Orakel damals Glauben geschenkt, zumal sich ausweislich der Bürgerbeteiligungsergebnisse auch kaum jemand irgendwelche Meilensteine gewünscht hatte. Doch am Ende sollte das Orakel Recht behalten (vor allem auch mit den Verzögerungen):

Vielleicht lag der Zeitverzug ja auch daran, dass selbst in den Östlichen Ödlanden am Ende des Zweiten Zeitalters das Kilometermaß das alte Meilensystem abgelöst hat. Man musste also gewisse Anpassungen bei der Abstandsmessung vornehmen.

Joggende und Radfahrende nutzen die Kilometersteine nun offenbar herablassend dazu, sich auf ihnen das sportive Schuhwerk zu schnüren, wie die verräterischen Sohlenabdrücke zeigen. Glauben sie doch immer noch, sie hätten die Hoheit über die knatschgrünen Kobolde. Dabei ist es gerade andersherum! Überall wachen die Grünlinge darüber, dass keiner joggend und radfahrend eine falsche Bewegung mache. Tut er es aber, so sieht es mit den schildbewehrten Wächtern zugleich auch das lidlose Auge des Grünen Lords – und dann ist aber Ende Gelände!

Die mit der Wächterrolle sind dabei ja nur die kleinen, buckligen der neununddreißig Grünlinge. Die großen, quadratischen indes haben die Aufgabe, uns zu erziehen und zu belehren. Sie bringen uns räudigen Rohlingen bei, korrekt zu sehen und zu denken. Sind da zum Beispiel am Wegesrand Wiesenflächen, dann teilen sie uns unmissverständlich mit:

Nun, man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie lügen würden. Sonst stünde da ja „Wasserflächen“ oder „Parkplätze“. Tut es aber nicht. Denn der Grüne Lord ist der Herr der Einen Wahrheit. Und die anderen Schilder, die sich über die letzten zwei Jahre dort angesammelt haben und als Schilderwald nun leider fast die ganze Wiesenfläche entlang des Wegs verdecken, bestätigen es ja auch alle:

Wenn also gleich drei Behörden bzw. Instanzen der Zivilgesellschaft beteuern, es handle sich hier um Wiesen respektive um „kleine Oasen für Schmetterlinge“, dann muss ich wohl davon ausgehen, dass das seine Richtigkeit hat. Vergessen wir also die düsteren Drohungen des Einen Steins und den ganzen Ringzauber-Quatsch! Ziehen wir mit dem Grünen Lord joggend und radfahrend vertrauensvoll in eine giftgrüne Zukunft! Wenn es sein Schild so beschildert, dann will ich auch gerne glauben, dass es sich im Hintergrund um eine „Geest-Schaukel“ handelt:

Falls Sie übrigens nicht wissen, wie man geestschaukelt, verzweifeln Sie nicht: Auf dem Grünling gibt es eine Anleitung in Form einer leicht verständlichen Grafik. Vor, zurück, vor, zurück, und hui, Schwung holen nicht vergessen! Was überhaupt „Geest“ sei, fragen Sie? Eine Geest ist eine abrupte Abbruchkante im Gelände, Überrest eines eiszeitlichen Geschiebes. Oberhalb und unterhalb dieser fünf bis fünfzehn Meter hohen Kante erstrecken sich fast die ganzen Östlichen Ödlande, und entlang der Kante oder Geest zieht sich der nun mit Grünlingen gespickte Weg, der zufällig auch mein täglicher Weg zur Arbeit in der City ist. Da wiederholt sich unter meinen Reifen nun kilometerlang wie von Geisterhand gesprayt in regelmäßigen Abständen dieser Schriftzug:

Ich habe sogar den älteren Herrn bei der Arbeit gesehen, der als 450-Euro-Kraft oder gar als ehrenamtlicher Helfer mit seiner Sprühschablone auf dem Pflaster hantierte. Problem aber: Genau genommen ist die Geest nur im Stadtteil Horn die „Horner“ Geest. Nebenan, bei mir in Hamm, müsste sie schon Hammer Geest heißen, und im daran anschließenden und hier abgebildeten Borgfelde dann … richtig. Immerhin ist die „Horner“ Geest jetzt zumindest als Schriftzug durchgehend und einheitlich grün. So grün wie die Baerbocksche Dorfstraße in der City, wo das klimaschützende Jubelgrün allerdings langsam in die Jahre kommt: ausgeblichen, fleckig und mit schwer symbolischen Rissen durchzogen.

Apropos hässlich: Ursprünglich hatte ich Ihnen ja für den 23. Januar, den zweiten Jahrestag der bis vor kurzem noch unbegrünt nackten Steuerzahler-Stolpersteine am Wegesrand, den nächsten Lagebericht von der Betonklötzchenfront versprochen. Da sie nun bestimmungsgemäß beschildert worden sind, werde ich dann zum Stichtag mal nachsehen, wie viele der Neunundreißig bis dahin bereits mit ortsüblicher Graffiti-Kreativität transformiert sein werden. Die schönsten ehemals grünen Kunstwerke finden Sie dann wie immer hier bei TWASBO!


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