Wenn all dies vorbei ist,

wenn wir sämtliche Eskalationsstufen genommen haben, die erst noch vor uns liegen,

wenn kollabiert, was wir heute erst aufsteigen sehen und was uns entweder einverleibt oder verstößt,

wenn zerplatzt, was unser Denken und Reden und Leben enger und enger macht, hohler und lauter, schriller und kälter,

dann werden wir ein anderes Lesen und Schreiben wiederentdecken.

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Dann werden wir von Neuem lernen, wie sich das anfühlt: Dinge nicht deswegen schreiben, weil sie opportun erscheinen.

Nicht, weil sie Profit versprechen oder Quoten, Likes oder Smiley-Emojis.

Nicht, weil sie dem Zeitgeist schöntun und mit den Wölfen heulen.

Nicht, weil sie einer vermeintlich höheren Moral entspringen, die besserem Wissen und ehrlicher Lebenserfahrung nicht standhielte und gerade deswegen umso verbissener behauptet werden muss.

Nicht, weil sie eine Agenda befördern, eine Autorität stützen, ein Narrativ verfestigen.

Nicht, weil sie die Position ihres Autors im sozialen Kontrollnetz seiner Peers bestätigen und absichern.

Nicht, weil sie Punkte auf der Social Scorecard einer immer obskureren, allumfassenden digitalen Kontrollinstanz bringen.

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Sondern wir werden Dinge wieder schreiben, weil sie sich wahr anfühlen.

Weil sie nach bestem Wissen und Gewissen die Wirklichkeit am ehrlichsten abbilden.

Weil sie Menschen anregen sollen, statt sie erziehen zu wollen.

Weil sie das Offensichtliche nicht ausblenden und das Gewollte nicht vorspiegeln.

Weil sie den Missbrauchern der Macht widerstehen und die Dunkelheit erhellen.

Weil sie sich der Dummheit in den Weg stellen und sagen: Sieh her, du kannst es wissen. Du musst nicht so bleiben.

Weil sie unbequem sind.

Weil sie Fragen aufwerfen, ohne Antworten vorzugeben.

Weil sie – neben all diesen Zwecken – der Schönheit des Wortes huldigen und der Liebe zur Sprache.

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Und dann, wenn all dies vorbei ist, werden wir wieder lernen, wie das ist: Dinge zu lesen, die nicht falsch und hinterhältig klingen.

Die keinen schalen Beigeschmack nach Propaganda hinterlassen.

Die nicht wirken wie vergiftete Pfeile und verlogene Schwärmerei.

Die nicht das Auge schmerzen durch nachlässige Wortwahl und billige Phrasen, falsche Vergleiche und kurze Gedanken.

Die nicht auf der Schleimspur der gefälligen Lüge daherkriechen.

Die nicht klingen wie computergenerierte Textsimulationen oder Ausgeburten aus dem Satzbaukasten einer künstlichen Marketing-Intelligenz.

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Sondern die uns weiterlesen lassen wollen um des Lesens willen.

Die uns vom wahren Klang der Welt erzählen, im Großen wie im Kleinen.

Die uns auf Gedankenflüge schicken, statt uns Angst zu machen und in Haft zu halten.

Die aus Worten Universen bauen und uns groß zu träumen wagen lassen.

Die uns in eine stille Zwiesprache versetzen mit Figuren jenseits unseres Horizonts.

Die uns frei machen.

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Wenn all dies vorbei ist.

Geduld, nur Geduld.