Am Ufer der Bille sitzt ein kleiner Junge und angelt. Es ist noch sehr früh im Jahr, das Gras welk, die Bäume kahl, es friert ihn an den Händen. Doch der Junge hat eine Leidenschaft: Angeln. Er besitzt auch eine Angel, eine richtige, professionelle Rute, die wesentlich komplizierter ist und aus viel mehr filigranen, ineinander greifenden Teilen besteht, als selbst die meisten Erwachsenen glauben würden.

Aber er sitzt dort, auf seinem roten Plastikeimer für den Fang des Tages, ohne Angel. Und ohne Fang. Dennoch angelt er – nur mit einer Nylonschnur und einem Haken, den er, mangels festem Wurf- und Haltegerät, nur mit dem Schwung seiner Arme und nur etwa zwei Meter weit hinaus ins Wasser hinausschleudern kann.

Dort treibt jetzt dieses rotweiße Stäbchen mit dem unsinkbaren, organgeroten Gnubbel dran, von dem der Vater des kleinen Jungen sich einfach nicht merken kann, ob das jetzt Blinker oder Schwimmer oder Dings oder noch ganz anders heißt. Der kleine Junge weiß das natürlich im Schlaf, aber da ihn seine große Schwester und sein Vater – die beide rein gar nichts davon verstehen – mit dem von ihm so souverän beherrschten Fachvokabular des Angelns immer nur aufziehen, hat er es aufgegeben, sein Wissen mit seiner Familie zu teilen.

Das Dings treibt dort also, von der Strömung immer fast ans Ufer gedrückt, wo sich dann der Haken oder die Nylonschnur verheddern, und der Junge fängt: nichts. Doch warum sitzt er dort weiter geduldig in der Kälte auf seinem Eimer und angelt sich die Seele aus dem Leib, trotz des überwältigenden Handicaps, seine eigentlich vorhandene Angel nicht zur Hand zu haben?

Weil er ein gesetzestreuer kleiner Junge ist. Denn geangelt werden, also richtig, mit Angel, darf nur mit Angelschein, wir sind ja in Deutschland, nichts ist erlaubt ohne Diplom. Und den Angelschein, der theoretischen und praktischen Unterricht sowie eine bestandene Multiple-Choice-Prüfung voraussetzt, dürfen Kinder in Hamburg erst ab zwölf Jahren machen, er aber ist gerade erst neun geworden.

Also übt sich der kleine Junge in Geduld. Und dafür, dass er sonst eher hibbelig ist, bringt er eine erstaunliche Menge Geduld auf. Und eine ebenso erstaunliche Menge Frustrationstoleranz. Denn ohne Angel fängt er auch weiterhin nichts an diesem kalten Spätwintertag. Aber läuft er deswegen Amok? Nein, er beschließt nur mit sehr trauriger Stimme, niemals wieder in seinem ganzen Leben angeln zu gehen. Was er natürlich schon einen Tag später wieder vergessen hat. Dieser Junge und das Angeln, sie sind füreinander gemacht.

Und so kam es, dass ich mich vorgestern zum Angelscheinkursus angemeldet habe. Sechs Abende Theorie, ein Samstagvormittag Praxis, dann Multiple-Choice-Test. Denn wenn der Vater den Angelschein hat, darf er den Sohn – an seiner Seite – angeln lassen. Mit richtiger Angel, ohne schlechtes Gewissen. So unter Männern.

Nein, ich habe nie geglaubt, dass mir das einmal passieren würde. Ich hätte es auch nie für möglich gehalten, dass in meinem Email-Postfach jede Woche der Newsletter des Fisch-und-Fang-Magazins aufpoppen würde, den der Sohn irgendwie mit meinem Account abonniert hat. Ich verstehe auch nicht den Angler-Humor der 10.000 Angelvideos bei YouTube, die in meiner Favoritenliste auftauchen. Ich weiß nicht, was ein Vorfach ist und ob man den Wobbler am besten mit geflochtener Leine verwendet, wenn die Barsche flach stehen.

Aber bald werde ich das alles wissen. Und ich glaube, das ist der tiefere Sinn des Vatertags: dass im Leben von Vätern Dinge geschehen, die sie sich nie hätten träumen lassen.