Am 3. September 1939 hielt ein Stotterer eine der großen Reden der Weltgeschichte. Im Vergleich mit dem Gebaren der heute Herrschenden macht „The King’s Speech“ schmerzhaft klar, was alles den Völkern des Westens seither von linken Ideologen geraubt wurde: Geist, Glauben, Geschichtsbewusstsein, Gerechtigkeitsempfinden und Gemeinschaftssinn.

Ein trübes Land macht in seiner depressiven Erschöpfung Tag für Tag ein wenig mehr dicht und versucht sich mit Glühwein und Gänsebraten auf dem Zahnfleisch über die Ziellinie des Jahres zu schleppen. (Aber dann beginnt das nächste!) Da nehme auch ich Zuflucht zu einem Suchtmittel. Auf Prime läuft derzeit mal wieder The King’s Speech. Ein Film über eine Rede. Gehalten wurde sie in Zeiten, die noch hoffnungsfreier waren als diese. Aber die Inspiration, die sie damals verströmt haben muss, reicht für diese gleich noch mit. Man muss nur erst durch ein tiefes Jammertal des Vergleichens hindurch. Dann weckt sie die richtigen Energien.

Die Rede, von der die Rede sein soll, ist zeitlos in ihrer würdevollen Humanität. Aber in einer bitteren Paradoxie der Geschichte ist sie zugleich auch Ausdruck dessen, was vorbei ist, verloren, ausgelöscht durch die linke Ideologie der Gleichschalter und Kleinmacher. Das Gewicht dieser Erkenntnis wird erst voll und ganz spürbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Rede noch kein Jahrhundert alt ist. Nach Ablauf der Spanne eines Menschenlebens – 84 Jahre, um genau zu sein – dokumentiert sie, wie enorm der kulturelle und geistige Verlust ist, den wir unterdessen erlitten haben.

Diese Rede ist Poesie. Nicht, weil ihr Gegenstand sich schwärmerischer Romantik überließe, ganz im Gegenteil. Ernster und freudloser als die Lage, der sie sich widmet, ist kaum eine denkbar: Zwei Tage zuvor hatte Hitlerdeutschland Polen überfallen. Die Appeasement-Diplomatie der britischen Regierung von Neville Chamberlain hatte versagt; auch Großbritannien selbst war nun unmittelbar von einer Invasion durch die Nazis bedroht. Unabhängig davon sah sich das Königreich, mit Polen verbündet, vor die Erfüllung seiner Beistandspflicht gestellt – erst 21 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, von dem sich das kriegsmüde und ausgelaugte Europa noch nicht erholt hatte.

Nur der König hatte da die öffentliche Statur, um die Moral der Bevölkerung mit nichts als der Magie glaubwürdig gesprochener Worte auf den Startblock für diese übermenschliche Anstrengung zu heben. Nur seine Worte konnten die Briten und ein Viertel der Weltbevölkerung – den Commonwealth – um die Regierung seiner Majestät sammeln, ihre Resilienz mobilisieren und im Angesicht der tödlichen Bedrohung Hoffnung wecken. Aber der König war ein Stotterer.

Dass ausgerechnet er es war, der die Rede hielt, macht die Poesie dieser vom Rundfunk der BBC live in alle Welt übertragenen Worte perfekt. Prinz Albert, der Duke of York, hatte nie König werden sollen. Diese Rolle fiel nach dem Tod des Vaters George V seinem älteren Bruder Edward zu, der sie auch sofort antrat. Doch am lang geplanten Tag der förmlichen Krönung im Mai 1937 war es der zweitgeborene Albert, dem man die Krone aufsetzte. Die Ereignisse hatten sich überschlagen: Edward hatte abgedankt, um eine geschiedene Bürgerliche heiraten zu können. Als königliches Oberhaupt der Church of England hätte man ihm dies nicht erlaubt.

Albert, als der neue König mit dem Wahl-Namen George VI, war alles andere als ein großer Kommunikator. Seit Jahren wegen eines schweren Sprachfehlers in Behandlung, kämpfte er gegen ein schweres Stottern und die psychischen Ursachen, die in einer lieblosen und herrischen Erziehung bei Hofe lagen. Schon viele öffentliche Auftritte vor Mikrophonen hatte er verpatzt, indem er kaum ein verständliches Wort herausgebracht hatte. Und dieser Mann sollte nun sein Volk und den Commonwealth auf den Krieg gegen Hitler einschwören?

Die Worte, mit denen George VI das vor den Ohren der Weltöffentlichkeit gelang, stammen nicht von ihm selbst. Der König war in all seinem Prunk nur Erfüllungsgehilfe des demokratisch gewählten Premiers in 10 Downing Street. Die Rede wurde ihm geschrieben und dort zur Verlesung freigegeben. Mit Sicherheit aber wäre es in der historischen Stunde zu einer monumentalen Peinlichkeit gekommen, wenn King George nicht rechtzeitig in die Obhut eines höchst eigenwilligen Sprachtherapeuten gewechselt wäre: in die Londoner Praxis des Australiers Lionel Logue.

Mit seinen ungewöhnlichen Methoden hatte Logue das Vertrauen des introvertierten Königs gewonnen und sich gar zu einem Freund entwickelt. Was die größten Kapazitäten Englands nicht vermocht hatten, war dem Australier gelungen: Er hatte die Zunge des Königs gelöst. Während der entscheidenden Rede – und während aller weiteren im Verlauf des Krieges – blieb Logue an der Seite George VI. Einer seiner therapeutischen Tricks: Er spielte dem König über Kopfhörer klassische Musik ein, während dieser sprach. So konnte George sich selbst nicht hören, was das Stottern sofort beendete.