Okay, vielleicht müssen zu viel Flachland, zu viele Tiefdruckgebiete, zu viel Niedrigwasser an der Küste irgendwann einfach mal steinhart kompensiert werden. Und so wurde das inoffizielle Wahrzeichen des wirklich sympathischen Nordsee-Badeörtchens Dangast am Jadebusen, ich wiederhole, am Jadebusen, dieses hier:
Der stand- und salzwasserfeste Phallus trägt den Titel „Grenzstein“, ein Werk des Bildhauers Eckart Grenzer aus den Achtzigerjahren. Das „verbindende Glied zwischen dem weiblichen Meer und der männlichen Erde“, führt er oder sein Galerist oder sein Androloge dazu aus. Sicher: DAS Meer ist weiblich und DIE Erde männlich, das leuchtet mal von selbst ein, jedenfalls hier oben im kristallklaren Licht des Nordens.
Spaß am Rande: Der Phallus alias Grenzstein wird heutzutage angeblich auch gern als Fahrradständer benutzt, was den Begriff in einen ganz neuen Zusammenhang stellt. Das Ding ist also seit Jahrzehnten voll in die Tourismuslandschaft integriert. So voll, dass mir schon der Seifenfachverkäufer aus der Seifenmanufaktur Dangast ungefragt empfahl, ich solle „davor ein Selfie machen“, denn das täten hier alle Besucher.
Jetzt bin ich vor drei Tagen eigentlich nicht deswegen angereist, um mich mit einem Pimmel abzulichten, der größer ist als ich selbst. Geschweige denn, um mir von einem Fortpflanzungsorgan eine neue Grammatik oder Semantik diktieren zu lassen. Sondern um hier einfach mal Ruhe zu haben, meine Nerven zu salben und mich vor allen Dingen nicht mit schlimm fehlgeschlagenen Sprachbildern oder PR-Katastrophen befassen zu müssen.
Stattdessen stelle ich fest, dass ich im Banne des Dangaster Dödels begonnen habe, die harmlosesten Erscheinungen hier mit anderen Augen zu sehen:
Ja, das soll ein Schneemann sein. Nicht nur zur Winterszeit, nein, auch im prallen Frühling, wenn’s gar nicht schneit, steht er da mit größter Selbstverständlichkeit gleich neben der alten Vareler Schleuse. Denn: warum nicht? So stellt sich ein kleinstädtischer Kulturdezernent sicher Kunst vor: je bekloppter, desto staun.
Ich aber flüstere dem Monument insgeheim zu: „Hallo, Prachtstück des Schleusenwärters! Du täuschst mich nicht! Ich weiß, dass du gar kein Schneemann bist. Aber meiner (also der Dangaster) ist härter und unmissverständlicher, har, har!“ Denn inzwischen bin ich zum Lokalpatrioten geworden. Zwei Tage am Jadebusen machen das mit einem.
Weiter geht’s mit dem Leihfahrrad und griffbereiter Kompaktkamera. Unterwegs nach Wilhelmshaven muss ich vor dem Deich auf halber Strecke den nächsten Foto-Stopp einlegen:
Sagen Sie jetzt nichts. Oder sagen Sie ruhig, aber schreiben Sie nicht. Oder wenn Sie schreiben, dann nicht mir. Ich lese das gar nicht. Bevor das nächste Bild kommt und es noch viel schlimmer wird, muss ich erklären, wohin mich mein Weg geführt hat. Nämlich ins Wilhelmshavener Marinemuseum. Ja, mich interessieren solche Dinge, aufgetakelte Großsegler, nautische Instrumente, Uniformen von Obermaaten der Kaiserlichen Kriegsmarine. Ich bin Teilzeit-Historiker und schreibe überdies Romane, in denen Schiffe bzw. merkwürdige Unterwasserstationen vorkommen. Also muss ich da hin. Und zum Marinemuseum gehört der ausgemusterte Lenkwaffen-Zerstörer „Mölders“ der Bundesmarine, der dort seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Lenkwaffen – für die zahllosen Pazifisten und vor allem Pazifistinnen unter Ihnen – das sind so Raketen, die nicht einfach in den Himmel brausen. Nein, sie werden elektronisch ins Ziel gelenkt, also zum Beispiel in ein feindliches Kampfflugzeug. So wie diese hier:
Man beachte das runde, schwarz-weiße Logo auf dem Abschussgerät: das Signet des Magazins „Playboy“. Wer je den Vietnam-Kriegsfilm „Apocalypse Now“ gesehen hat, kennt die gedankliche Nähe zwischen starrenden Waffen und Männern, die auf Möpse starren. Allen anderen sei versichert: Erigierte Raketenabschussrampen machen Militärs, nun, paarungsbereit, könnte man sagen. Selbst Trump könnte auf diese Weise noch einen hochkriegen.
Erzählte ich schon von meiner Vorliebe für Unterseeboote? Denn auch die bietet das Marinemuseum. Darf ich vorstellen: U-10. Gebaut in den Sechzigerjahren, bei der Bundesmarine im Einsatz bis 1993:
Aber lassen wir jetzt mal diese ganze, an den Schamhaaren herbeigezogene Sexualsymbolik beiseite. Manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre. Hey, ein harmloses, tödliches Kampf-U-Boot mit riesigen, schimmernden Propellerblättern, weiter nichts!
Ich bin da natürlich rein, Sie verstehen, die Recherche ruft, was soll man als Autor machen. Und deshalb zeige ich Ihnen zum guten Schluss noch die Bordtoilette so eines U-Boots. Kommen Sie, das interessiert jeden! Das dicke Rohr können Sie sich meinetwegen wegdenken oder auch nicht, mir doch egal. Keine Ahnung auch, wozu dieses andere Loch oder die Schläuche da gedient haben. Ich möchte auf diesem Ort jedenfalls nicht gesessen haben, wenn der Russe … ach, was soll’s.
Lesen Sie sehr bald hier auf TWASBO: Auszeit am Jadebusen (2): Schafe, Halb- und Anti-Schafe.
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