Die große Ausstellung der portugiesischen Künstlerin Joana Vasconcelos, „Le Château des Valkyries“ im Schleswiger Schloss Gottorf, schafft das vermeintlich Unmögliche: Sie macht es Männern wie mir leicht, sich von feministischer Gesellschaftskritik umgarnen zu lassen.

„Walküre Marina Rinaldi“ (2014), verschiedene Stoffe und Kunstperlen

Ich gebe zu, ich war mehr als skeptisch. Wenn mir „feministische Kunst“ angedroht wird, dann schwant mir der Besuch eines kulturmarxistischen Umerziehungslagers: Kommen Sie, schauen Sie, hier werden Sie gehirngewaschen! Hier erfahren Sie aus ellenlangen Pamphleten in gendergerechter und orthografisch gehandicapter Sternchenschreibung, wie rückständig und repressiv Sie als Mann sind! Kommen Sie als Fremder, gehen Sie als Schuldiger! Tragen Sie bleibende Demütigung, Zerknirschtheit und Minderwertigkeit davon! So etwa in dem Stil.

Aber nichts da. Ich wusste nicht, wie charmant feministische Kunst sein kann. Wie entspannt. Wie sinnlich auch in ihren Materialien und körperhaften Formen. Dabei aber treffend und teilweise ironisch in ihrer Symbolik:

„Marylin“ (2011), Töpfe und Topfdeckel

Ein anmutig leicht wirkender und dennoch auf die eisernen Fesseln eines Hausfrauen- und Köchinnendaseins verweisender Stöckelschuh. Wer macht so etwas? Die 1971 geborene portugiesische Künstlerin Joana Vasconcelos. Aus ihrer Geburtsstadt Paris konnten ihre exilierten Eltern mit ihr erst nach der „Nelkenrevolution“ 1974 nach Portugal zurückkehren, als die Salazar-Diktatur beendet war. Vasconcelos studierte Kunst und Design und begann dabei bald, sich von traditionellen portugiesischen Handwerks- und Handarbeitstechniken inspirieren zu lassen. Auch wuchs sie in dem nun sozialistischen Land in einen Umbruch des Frauenbildes hinein, für das sie die Metapher der Walküren fand – der kämpferischen und kriegerischen Frauengestalten aus der nordischen Sagenwelt.

Insgesamt vier Walküren begegnet man auf dem Weg durch die Ausstellung in der barocken Kulisse des Schleswiger Schlosses Gottorf (Ausstellungsdaten siehe unten). Dieser Ort ist als „Schloss der Walküren“ perfekt gewählt, denn schon das Wort „Barock“ stammt ursprünglich aus dem Portugiesischen. Barroco hießen dort unregelmäßig geformte, opulente Perlen, die zur fraglichen Zeit denn auch sehr en vogue waren. Mit seiner eigenen üppigen Pracht ist der Riesenkasten des Schlosses der ideale Komplementär zu den allesamt großformatigen Werken von Joana Vasconcelos. Und ihre farbenfrohen Materialien – vor allem reich mit Perlen, Pailletten und Troddeln verzierte Strickware – passen herrlich zu den Gobelins, den Putten und Schnitzereien im Schloss. Die Walküren zum Beispiel scheinen in diesem Habitat regelrecht aufzuleben, etwa in der Schlosskapelle, die schon für sich genommen ein göttliches Gesamtkunstwerk ist:

„Walküre Thyra“(2024), verschiedene Stoffe und Materialien

Was da wie ein riesiges, organisch-lebendiges Kreuz mitten in der Kapelle schwebt, ist die Walküre Thyra. Eine Anspielung auf die erste Königin Dänemarks, Thyra Danebod (ca. 880-935), die das Befestigungssystem Danewerk geschaffen haben soll. Starke Frauen eben. Aber warum sollen sie nicht in den „charakteristischen Stoffen des Modehauses Dior“ (Ausstellungsprospekt) daherkommen, die ihnen so gut stehen? Das ist, was linksgrünverbissene deutsche Feministinnen sich selbst verbieten oder von ihresgleichen verboten bekommen: Feminine Stärke kann auch anmutig sein, lebensfroh und attraktiv. Das ist kein Widerspruch und kein Sündenfall im Kampf gegen das Patriarchat. Im Gegenteil, es wirkt zwangsläufig entwaffnend, also empowering – aber genug aus dem Nähkästchen (!) geplaudert.

Ein von mir leider nicht wörtlich aufgeschriebenes Zitat von Joana Vasconcelos an einer Ausstellungswand besagt sinngemäß: Kunst sollte man nicht rationalisieren müssen, sondern einfach auf die Sinne wirken lassen können. So viel nicken, wie ich an dieser Stelle wollte, kann ich gar nicht. Also bitte, lassen Sie das einfach wirken:

„Garden of Eden“(2007-2024), Kunststoff und Glasfaser

In einem abgedunkelten Saal des Schlosses, in dem man sogleich die Orientierung verliert, betritt man völlig unvorbereitet den „Garden of Eden“, das von Labyrinth einer jenseitigen Blumenwiese. Leuchteffekte, Bling Bling und Glitzer sind typisch für Vasconcelos – natürlich, denn sie kommt ja aus einem Land des Sonnenglanzes und der farbenfrohen Lebenszugewandtheit (ein Dasein, das man sich im schleswig-holsteinischen Nieselregen kaum vorstellen kann). Auch hier wird aber nicht einfach sinnfrei dahergefunzelt, sondern auf die „exakt umrissenen organischen Formen der geschnittenen Buchsbaumpflanzen im Barockgarten des Schlosses“ angespielt, die sogenannte Broderie. Sei dem, wie es sei: Kunst ist auch, wenn einem im Garten Eden sprachlos der Unterkiefer herunterklappt. Mission accomplished.

„Flaming Heart“ (2019-2022), verschiedene Stoffe und LED

Nicht nur im Schloss selbst, sondern auch in zwei Nebengebäuden und auf dem Außengelände des „Eisenkunstgussmuseums“ begegnet man den riesenhaften Kreationen der Portugiesin. Nicht alle ihrer Fabelwesen sind Walküren. Manchmal ist es auch nur ein (weibliches) Körperteil, etwa dieses „flammende Herz“, oder eine große Brust aus konzentrisch verstrickter Wolle. Immer aber lauern hinter den sinnlichen Anspielungen, die direkt zur Seele des Betrachters sprechen, noch einige prägnante soziale Kommentare zur Situation der Emanzipation. Der Witz ist: Man(n) kann gar nicht anders, als diesen wortlosen Kommentaren der längst weltberühmten Portugiesin beizupflichten – weil man sie von ihr nicht um die Ohren gehauen bekommt. Oder wenn, dann sehr charmant.

Joana Vasconcelos: Le Château des Valkyries (bis 3. November 2024)
Ausstellung im Landesmuseum Schloss Gottorf, Schlossinsel 1, 24837 Schleswig;
Öffnungszeiten: Täglich (außer montags) 10 bis 17 Uhr, Sa und So bis 18 Uhr,
abweichend an Feiertagen, einige Ausstellungsteile an Donnerstagen bis 20 Uhr;
Eintrittspreis: Erwachsene 12 Euro, Kinder und Jugendliche 4 Euro, diverse Einzel- und Gruppenermäßigungen

Anfahrt: ab Hamburg bequem mit durchgehendem Regionalexpress bis Schleswig (ca. 1,5 Stunden), dort gute Busanbindung


Bonus-Tipp

Wenn Sie schon mal da sind, versäumen Sie keinesfalls den 800 Meter langen Spaziergang zu einem wahren Wunderwerk der Mechanik! Im Barockgarten des Schlosses steht in einem eigens dafür errichteten Gebäude das funktionsfähige Replikat des weltberühmten Gottorfer Globus. Dafür müssen Sie noch mal in die Tasche greifen, aber auch das ist jeden Cent wert.

Den Globus ließ der von Astronomie begeisterte Herzog Friedrich III. bis 1650 durch seinen Hofgelehrten konstruieren und durch geniale Handwerksmeister bauen. Äußerlich zieren diese Riesenkugel von drei Metern Durchmesser die Länder und Kontinente der damals bekannten Welt (von Australien – „Neu-Holland“ – nur die Nordwestküste, der Rest ist verschwommene terra incognita). Doch der Clou steckt im Innenleben:

Durch diese Einstiegsluke geht es auf eine kreisrunde Sitzbank. Wenn alle versammelt sind, schließt der Vorführer die Tür von innen und setzt den Mechanismus in Gang, der ursprünglich von Wasserkraft betrieben wurde. Es beginnt eine achtminütige Rundfahrt in gemächlichem Tempo, während das Firmament samt aller Sternbilder und Fixsterne vorüberzieht – von damaligen Astronomen, ohne Fernrohr, nahezu perfekt vermessen und positioniert. Wir verfolgen derweil die Bahnen des Äquators und der Ekliptik, die ebenfalls hochpräzise wiedergegeben sind. Mit einem Wort, wir sind im ältesten funktionsfähigen Planetarium der Weltgeschichte unterwegs, Version 2.0.

Denn irgendwann kam der russische Zar vorbei und auf die Idee, dass dieses Wunderwerk doch bei ihm in Sankt Petersburg viel besser aufgehoben sein würde. Dorthin überführt, brannte der einzigartige Himmelsglobus kaum 30 Jahre später kurzerhand ab. Aufwändig rekonstruiert wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends diese originalgetreue Nachbildung am Ursprungsort des Gottorfer Globus, heute indes elektrisch betrieben. Kommen Sie, staunen Sie, seien Sie beschämt von Fähigkeiten und Leidenschaft unserer Vorfahren vor fast 400 Jahren!

(Sehen Sie, man kann mich auch mit etwas anderem als feministischer Kunst beschämen.)