Der ehemalige „Fernseh-Pfarrer“ Jürgen Fliege störte als Kritiker des Corona-Regimes den Betrieb – ebenso wie der in Ungnade gefallene Geistliche Hanns-Martin Hager. Gemeinsam gingen beide nun mit der Staatsfrömmigkeit des bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm ins Gericht: „Was ist das für eine verkommene Seelsorge?“

Mit unbestechlicher Objektivität erteilt die Wikipedia dem ehemaligen evangelischen „Fernseh-Pfarrer“ und TV-Talker Jürgen Fliege den Ehrentitel einer kontroversen Persönlichkeit: „Seit seinem Weggang vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird er wegen seines Auftretens in den Medien immer wieder kritisiert“, so die Enzyklopädie. Klingt, als sei da ein Häretiker vom einzig wahren Glauben abgefallen: dem Glauben ans System. Und so ist es wohl auch.

Der Theologe Fliege, der unter anderem für alternative Heilmethoden warb, fiel schon vor Jahren auch durch andere Affronts gegen das Establishment auf – und schließlich in Ungnade: „Als er sich in der Münchner Abendzeitung über das Verhalten des SWR-Intendanten Peter Voß im Zusammenhang mit dem ARD-Schleichwerbungskandal kritisch äußerte, gab es unter Fernsehdirektor Gerhard Fuchs für Fliege keine weitere Moderation.“ Zur Abrundung eines zwielichtigen Charakterbildes bringt der als Lexikoneintrag getarnte Online-Steckbrief eine linientreue Kirchenvertreterin gegen die Aktivitäten Flieges in der Corona-Diskussion in Stellung: „Die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr aus Hannover kritisierte Flieges Auftreten auf einer Veranstaltung der Initiative ‚Querdenken‘ in München scharf.“

Hanns-Martin Hager, ebenfalls evangelischer Pfarrer im Ruhestand, hatte nie eine Talkshow im TV. Doch auch er konnte nicht anders, als seine aus dem Glauben erwachsenen Handlungsmaximen über die Correctness der Kirchenfürsten und Staatslenker zu stellen. Sein Coming-Out als unbeugsamer Kritiker des Amtskirchen-Apparats hatte Hager im Zuge der Coronamaßnahmen, als die Kirchenfürsten erstmals seit 1600 Jahren Gotteshäuser schlossen und Gläubige selbst auf dem Sterbebett in die physische Isolation zwangen. Sein Widerspruch im Namen Jesu kostete Hager das Amt; heute lebt er als Ruheständler in Oberammergau. Im Gespräch mit TWASBO beschrieb Hager im Oktober, wie die interne Inquisition der bayerischen Landeskirche gegen Dissidenten wie ihn wütete und das Kirchenschiff stramm auf Regierungskurs hielt.

So war es wohl unausweichlich, dass die beiden „Querglauber“ Fliege und Hager eines Tages ihre widerspenstigen Kräfte bündeln würden. Aktuell nehmen sie in einem gemeinsamen Offenen Brief den evangelisch-lutherischen Landesbischof von Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, ins strenge Gebet. Der Bischof und oberste Dienstherr aller bayerischen Pfarrer hatte im Dezember 2022 einem Redakteur des Berufsverbandes der protestantischen Geistlichen ein bemerkenswertes Interview gegeben und darin seine Erkenntnisse zu Themen wie Corona und Ukraine-Krieg reflektiert. Gefragt, ob es mit heutigem Wissen richtig gewesen sei, die Kirchenpforten monatelang zu verrammeln und die Hygiene selbst an Ostern über die gelebte Gemeinschaft der Christen zu stellen, antwortete Bedford-Strohm: „Ich würde das zu diesem Zeitpunkt genau so wieder machen.“

Offenbar, so legt es die Begründung nah, steht der Bischof bis heute im Bann einer Weltuntergangs-Angst, die gerade Christen eher fremd sein sollte: „Es waren weder Schutzkleidung noch Masken noch erprobte Hygienekonzepte da. In dieser Situation, angesichts der Bilder aus New York, Italien, später Brasilien, wo viele, viele Menschen gestorben sind, haben wir uns entschieden, nicht aus staatlichem Zwang oder Druck, sondern aus Freiheit, mitzuhelfen, damit nicht besonders verletzliche Menschen in großer Zahl schlicht sterben würden.“ Statt der körperlichen Zusammenkunft hätten den Gemeinden ja digitale Wege der Kommunikation offengestanden: „Unser Glaube hängt nicht an einem bestimmten Gebäude oder auch an einem bestimmten Kommunikationsweg.“ Und gerade dem protestantischen Nachwuchs entgehe nicht so viel, wenn er keine Kirche von innen sehen könne: „Junge Menschen erfahren häufig auch die digitale Gemeinschaft als genauso kostbar wie die physische Gemeinschaft.“

So wenig Einsicht in die eigene Fehlbarkeit und kein Respekt vor der zentralen Kirchentradition des Zusammenseins als Gemeinde – das war zuviel für die früheren Pfarrer Fliege und Hager, die an der Basis die Verzweiflung vieler Gläubiger wahrgenommen hatten, in einer schweren Krise nicht mehr die Nähe der anderen erleben zu dürfen. In ihrem zornigen Brief werfen sie Bedford-Strohm vor, auch theologisch auf dem völlig falschen Dampfer zu sein: „Hat uns nicht Luther gelehrt, dass Kirche nur da ist, wo wir uns leiblich versammeln und uns gegenseitig unseres Glaubens versichern? Die Bekenntnisschriften, auf die Sie und wir zum geistlichen Amt ordiniert worden sind, sagen es unmissverständlich: Kirche ist dort, wo das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente gespendet werden – und zwar in leibhaftiger Gegenwart und nicht digital.“

Offener Brief von Fliege und Hager: „Christus lud uns ein zu schreiben“

Die beiden Autoren werden indes noch deutlicher: „Was ist das für eine verkommene Seelsorge, all den Angehörigen, die in dieser Zeit eine Mutter, einen Vater, einen Partner, eine Partnerin, ein Kind haben einsam und allein sterben lassen müssen, nun zu sagen: Das alles war richtig! Ging nicht anders! Hätte Jesus auch genauso gemacht.“ Das Gegenteil hätte er getan, da sind sich die beiden sicher. Selbst Politiker und Gerichtsurteile würden heute schon einräumen, dass im Zuge der Corona-Maßnahmen massive und folgenreiche Fehler gemacht worden seien. „Und nun stellt sich unser ehrwürdiger Bischof hin und sagt, er würde alles genauso machen wie vor drei Jahren. Er schweigt zu seinem Schweigen. Er schweigt zu seinen Fehlern! Dieses Schweigen des Lämmerhirten schreit zum Himmel.“

Auf der anderen Seite ist es gerade die Art und Weise, wie Bedford-Strohm im kircheninternen Interview sein Schweigen bricht, die Fliege und Hager auf die Palme treibt. So etwa das Eingeständnis seines blinden Vertrauens in staatliche und wissenschaftliche Autoritäten, die ihrerseits im Blindflug den „alternativlosen“ Kurs der Corona-Politik vorgaben: „Es war richtig“, bekräftigt der Bischof in einem gewundenen Schachtelsatz, „dass wir uns nicht an den alternativen Links, die mir ebenso wie vielen anderen Menschen in der Kirchenleitung natürlich die ganze Zeit zugeschickt wurden und die die Grundlage für die Querdenker-Bewegung waren, orientiert haben, sondern an den Personen, die als Wissenschaftler durch einen langen Prozess der Qualifizierung gegangen sind, um dann am Ende an den Universitäten zu wirken oder sogar an der Leopoldina, die die besten Wissenschaftler Deutschlands versammelt.“

Wahre Lutheraner, so die Replik von Hager und Fliege, sollten da eigentlich aus einem kritischeren Holz geschnitzt sein, statt lammfromm das Mantra der Macht nachzubeten: „Das widerspricht jeder protestantischen Haltung, die immer schon wusste: Was ein Papst oder eine sonstige Autorität sagt, ist für Protestanten nicht bindend, sondern vielmehr auf den Prüfstand der Heiligen Schrift und unserer Bekenntnisse zu stellen, die bis zur Barmer Erklärung von 1934 gehen.“ Darin hatte die „Bekennende Kirche“ sich offen gegen die NS-Machthaber und deren Kirchenflügel der „Deutschen Christen“ gestellt.

Bayerischer Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: „Genau so würde ich wieder reagieren“ (Screenshot: YouTube)

Die beiden Briefautoren nehmen für sich in Anspruch, den Protestantismus beim Wort genommen zu haben: Wie andere Kritiker der Corona-Politik innerhalb der evangelischen Kirche hätten sie „im Namen der Querdenker Jesus aus Nazareth, Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller, Karl Steinbauer“ pflichtgemäß recherchiert, was für Interessen hinter wissenschaftlichen Positionen stecken – und seien so in ihrer Skepsis bestärkt worden. Habe nicht die Evangelische Kirche nach 1945 im Geiste des von den Nazis inhaftierten Theologen Martin Niemöller „versprochen, wir würden nicht nur schreien, wenn die Obrigkeit uns Christen diffamiert und kriminalisiert, sondern auch schon vorher, wenn bei anderen kritischen Mitbürgern die Polizei vor der Tür steht, wie z.B. bei Michael Ballweg oder zahlreichen impfkritischen Ärzten?“

Nebenbei, so die briefliche Frage an Bedford-Strohm: „Hat der unter Ihrer Verantwortung arbeitende Evangelische Pressedienst jemals darüber berichtet, wie die Regierungen und Pharmalobbies dieser Welt mit tapferen und renommierten Ärzten wie Dr. Wolfgang Wodarg, Prof. John Ioannidis oder Prof. Sucharit Bhakdi umspringen?“

Schwer erträglich erscheint den beiden Autoren des Offenen Briefes auch, wie der Landesbischof in dem Interview drei Gruppen von Maßnahmen-Gegnern klassifiziert, denen er während der Coronazeit begegnet sei. Bedford-Strohm: „Da sind diejenigen, die schlicht Angst vor dem Impfen oder Skepsis gegenüber der Wirkweise vom Impfen haben, weil sie an Naturheilkunde orientiert sind oder woran immer. Die zweite Gruppe waren Menschen, die eigentlich für einen rationalen Diskurs gar nicht mehr wirklich zugänglich waren, sehr emotional, sich in bestimmten Denkwelten bewegt haben, oft aus dem Internet gespeist, immer die gleichen Quellen auch herangezogen haben von Ärzten, die vielleicht einen Doktortitel haben, die aber keineswegs dem entsprechen, was der Stand der Wissenschaft ist.“ Wobei ja der Bischof zuvor eingeräumt hat, als Nicht-Mediziner gar nicht beurteilen zu können, was der „Stand der Wissenschaft“ ist.

Und dann sei da noch eine dritte Gruppe von Kritikern gewesen, berichtet Bedford-Strohm: „Das waren Leute, die ganz klar rechtsradikal gedacht haben und die die ganze Impffrage versucht haben zu instrumentalisieren, um ihre menschenfeindliche Ideologie unter die Leute zu bringen. Gegenüber denen musste man ein klares Nein sagen. Genau so würde ich heute wieder reagieren.“ Offen bleibt dabei, wie man Kritiker einer Zwangsbehandlung mit einem potenziell gefährlichen Impfstoff konkret zu Anhängern des Nationalsozialismus bekehrt. Doch selbst unbeschadet solcher Gräuel-Phantasien nennen Hager und Fliege die Triage der Maßnahmengegner durch Bedford-Strohm „ein arrogantes Richten über die besorgten weltweiten Kritiker dieser teuflischen Todesangstkampagne, die unser Herr Bischof in drei Töpfchen zum Wegwerfen à la Aschenputtel aussortiert“.

Eines, so die Brief-Autoren, sei nämlich mittlerweile in Bezug auf Maßnahmengegner aller möglichen Schattierungen klar: „Recht haben sie behalten. Längst sehen wir jetzt, dass die allein selig machende Verkündigung der Impfkampagne und einer blasphemischen Hygienereligion auch in unseren Kirchen weder vor Ansteckung, noch vor Weitergabe des Virus und auch nicht vor einem schweren Krankheitsverlauf und – Gott sei es geklagt – leider auch nicht vor dem Tod schützt.“ Doch trotz dieser verheerenden Bilanz, so Fliege und Hager, verharre die Amtskirche in Gestalt Bedford-Strohms in vermeintlicher Alternativlosigkeit und der Ausgrenzung Andersdenkender.

Diese Kontinuität erstreckt sich für die beiden Protestbrief-Autoren bis hin zum aktuellen Krisenbrennpunkt des Ukraine-Krieges. Bedford-Strohm lässt sich in seinem Interview auch dazu nur staatstragend aus. Er bekräftigt zwar das abstrakte Vorbild der Gewaltlosigkeit Jesu, indes: „Es ist einfach, auf Gewaltfreiheit zu beharren, wenn die Kosten nicht von einem selbst, sondern von ganz anderen Menschen getragen werden müssen, die sich dringlichst den Schutz wünschen, auch militärischen Schutz.“ Das lässt Raum für Waffenlieferungen und andere militärische Interventionen des Westens – ganz im Sinne der herrschenden Politik, die schon den Versuch diplomatischen Verstehens beider Konfliktparteien als Parteinahme für das „absolut Böse“ aus Moskau verteufelt.

Da hätten Hager und Fliege jedoch einen Tipp für einen Kirchenfunktionär, der es ernst meint mit der christlichen Unbefangenheit gegenüber Aussätzigen: Als einflussreicher Vorsitzender des Exekutivausschusses im Weltkirchenrat könne Bedford-Strohm doch einmal seinen Amtskollegen Kyrill I. besuchen. Mit dem Patriarchen von Moskau und Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, bekannt als Putinversteher, könne er im christlichen Geiste Friedenslösungen ausloten: „Eine Reise nach Moskau, genau dahin, wo man ihn nicht erwartet, würde einem Jünger Jesu in diesem verantwortungsvollen Amt der Weltkirche wohl im Himmel angeschrieben werden.“ Die Hoffnung auf das himmlische Fleißkärtchen geht indes gegen Null. Das belämmerte Schweigen hat weiterhin Konjunktur.


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