Wer wie ich in den späten Achtzigerjahren sein Archäologiestudium begann, hätte nicht zu träumen gewagt, zu welchen Höhen sich unser belächeltes Exoten-Fach einst aufschwingen würde. Seit nämlich vermehrt Feministinnen forschend im Erdreich wühlen, belegen unzählige Studien: Männer werden schon seit der Altsteinzeit grob überschätzt.

Erschüttert, gestürzt, entmächtigt: sexistische Antiquität

Im Anfang war die Frau – eine lange verschüttete Tatsache. Das Portal „Pocket“ präsentiert eine Kollektion genialer Frauen, denen der Erfolg versagt wurde. Kollektorin Annemarie Munimus erklärt dem Leser die Ursachen, indem sie ihn liebevoll auf in den Arm nimmt: „Wenn du diese Frauen nicht kennst, dann ziemlich sicher, weil Männer die Lorbeeren für ihre Arbeit eingeheimst haben.“ In der Tat präsentiert die Porträtgalerie eine lange Liste von betrogenen, leer aus­gegangenen, unsichtbar gemachten und übergangenen Frauen. Sie haben die Gene entdeckt, das Atom gespalten, waren die wahren Pionierinnen der Mondlandung – und stets standen Männer ihrem Ruhm im Wege.

Frauen waren aber schon Jahrtausende vor der Reise zum Mond die alleinigen Triebfedern für Fortschritt und Gerechtigkeit. Sie haben in der Altsteinzeit die Kunst erfunden und galten als anmutigste Jägerinnen, sie brachten den Männern Veganis­mus und überhaupt Manieren bei, betrieben früh feministische Kriegerinnenpolitik und sorgten für eine humane Migrationspraxis – nur wusste das bis heute keiner. Deshalb wollen wir endlich auch jene Frauen sichtbar machen, die eine männlich gelesende Archäologenzunft jahrhundertelang verschwiegen hat. Zeit, sie zu ehren!

Frauen erfanden die Kunst …

Ein wundervoller ZDF-Faktencheck von Terra X History bringt es an Licht: In dunklen Höhlen der Altsteinzeit wurde die Kunst geboren – aus Frauenhand. Bisher hat alle Welt geglaubt, Männer hätten die ersten Gemälde der Menschheitsgeschichte geschaffen. Doch nun hat ein Forschendenteam die vielen Handabdrücke neu unter die Lupe genommen, die als Künstlersignatur gelten: Stammen diese tatsächlich alle von Männern? Nein. Seit investigative Forscherinnen ihre eigenen Hände abgedruckt und mit den steinzeitlichen Handabdrücken verglichen haben, muss die Geschichte der Kunst neu erzählt werden. Denn es waren hochbegabte Frauenhände, die vor Jahrtausenden Höhlenwände mit Tierszenen bemalten. Die Geburt der Malerei ist weiblich.

… und gingen auf Mammutjagd …

Malen konnten die Frauen jene Tiere am besten, die sie eigenhändig erlegt hatten. „Von wegen Heimchen am Herd: Neueste Studien über Frauen als Jägerinnen in der Steinzeit enthüllen eine faszinierende Geschichte der Stärke und Geschicklichkeit“. Nach der anstrengenden Shoppingtour durch die paläolithische Luxuslädenmeile mit allerhand Edelboutiquen gönnt sich die per Computeranimation äußerst lebensnah rekonstruierte Lady einen Entspannungstrip zur Nahrungsbeschaffung.

Was soll ein Mammut auch einer Jägerin anhaben, die ihm als fesche Maid, ausgestattet mit Cape von Louis Vuitton, Leggins von Armani, Stulpen von Gucci entgegentritt – bewaffnet mit einem Langspeer aus dem Hause Strack-Schlimmermann. Diese Forschungsergebnisse zeugen – so urteilen kluge Redakteurinnen in der Münchner Elle-Redaktion – von „female empowerment“ in der Altsteinzeit: Frauen waren immer schon genauso stark und wichtig fürs Gemeinwohl wie Ricarda Lang.

Nicht ahnen konnten wir Archäologiestudenten vor 30 Jahren, dass bald eine Zeit anbrechen würde, wo unsere Orchideenfach-Simpeleien in einer glamourösen Modezeitschrift einem breiten Lifestylepublikum präsentiert würden. Wenn das kein Fortschritt ist!

… während Männer bestenfalls Kartoffeln aufspießten

„Steinzeitmenschen jagten vor allem Kartoffeln“ – vor 9000 Jahren lebten die Menschen in einer von Frauen gelenkten Welt bereits ihre Leidenschaft für den klimaschonenden Veganismus und verschmähten Fleisch ebenso wie Cem Özdemir. Dieses Wissen kann auch der Laie mühelos dem Fachmagazin Spektrum entnehmen – zertifiziert mit dem Gütesiegel diewissenschaftTM.

Um zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis vorzustoßen, mussten sich die Forscher durch ein Dickicht an Falschbehauptungen kämpfen, dessen Rodung ihnen aber schließlich gelang. Denn lange Zeit glaubte die männerdominierte Altertumskunde an die Verschwörungstheorie, Speerspitzen im Fundmaterial wären untrügliche Zeugnisse für die Jagd auf Tiere. Doch mitnichten: „Speerspitzen und andere Jagdwerkzeuge, die an vielen Fundstellen häufig sind, vermitteln ein verzerrtes Bild.“

Nun endlich wurde stattdessen die Wahrheit ans Tageslicht gezerrt: „Es scheint“, „anscheinend“, „womög­lich“, „relativ“ – so objektiv und präzise wird die Forschungs-Revolution beschrieben. Anhand der Knochen von „24 untersuchten Individuen“ aus dem peruanischen Hochland hat sich herausgestellt: Diese Menschen nahmen überwiegend pflanzliche Nahrung zu sich.

Zwar fand man „auch Projektilspitzen und Knochen großer Säugetiere wie Vicuñas – eindeutige Hinweise auf Fleisch als wichtigen Nahrungs­bestandteil“. Aber das lässt sich leicht dadurch wegerklären, dass pflanzliche Nahrungsreste im Gegensatz zu Tierknochen nicht erhalten bleiben. Damit sind zwar, so könnte beckmesserisch eingewandt werden, die vorhandenen Belege für Fleischverzehr nicht verschwunden. Aber so ewiggestrig argumentiert nur jemand, der schon lange nicht mehr in den Genuss akademischer Archäologie kam.

Bahnbrechend bleibt die heldenhafte Verallgemeinerung des lokal begrenzten Befundes. Derdiedas Lesende erfährt, „dass die Rolle von Fleischkonsum und Jagd bei frühen Menschen­gruppen deutlich überschätzt wird – in den Anden, aber womöglich auch anderswo“. Von heroischer Kühnheit ist diese Verabsolutierung insofern, als dieexpertenTM nicht einmal die Andenregion in Gänze oder wenigstens in repräsentati­ven Ausschnitten untersucht haben. Sie beforschten nur Knochen von ein paar Menschen, die an einem ganz bestimmten Ort dort lebten. Das hindert die Spektrum-Redaktion zum Glück nicht daran, aus 24 Individuen in einem peruani­schen Hochtal „Steinzeitmenschen“ ohne jede Einschränkung zu machen: Logischerweise gilt ein regional isolierter Befund, gewonnen an einer winzigen Gruppe, grundsätzlich für die ganze Welt.

Und so können wir uns am Bild eines durchs Unterholz pirschenden Stein­zeitjägers ergötzen, der mit seinem Speer in Abwurfhaltung drauf und dran ist, eine der scheuen Anden-Kartoffeln aufzuspießen, die sein Röntgenauge unter dem Wald­boden geortet hat.

Held, Heldin, Heldens? Wer weiß das schon, selbst wenn die Bartpartie erhalten geblieben wäre.

Frauen kultivierten hinterwäldlerische Männerbündler

Für alle antiken Kulturen muss eine andauernde Krise der Maskulinität konstatiert werden. So etwa in der Welt des Alten Orients: „Der Verlust männlicher Sexualbegierde im Alten Mesopotamien“ lautet der aus dem Englischen übersetzte Titel einer Dissertationsarbeit am Institut für Assyrologie der Universität München aus dem Jahr 2018. Demgegenüber konnte eine elfköpfige Forschendengemeinschaft auf nur sechs Seiten eines Fachmaga­zins nachweisen, dass sich immer wieder Frauen aufgemacht haben, den Männern bei ihrer Identitätsfindung beizustehen und sie in die Gemeinschaft der Vielfalt und der Vielen zu integrieren. (Auch die Beteiligung einer maximalen Anzahl von Forschenden an einer minimalen Anzahl von Publikationsseiten ist ein großer Schritt in eine bessere Welt.)

Unter dem Titel „Female Exogamy and Gene Pool Diversification at the Transition from the Final Neolithic to the Early Bronze Age in Central Europe” verbirgt sich ein einzigartiger Blick in erfolgreiche Migrations- und Integrationsgeschichten in der europäischen Jungsteinzeit: „We present DNA analysis for 84 radiocarbon-dated skeletons from seven archaeological sites of the Late Neolithic from the Lech River valley in southern Bavaria, Germany. […] The isotope ratios disclosed the majority of the females to be nonlocal, while this is the case for only a few males and subadults. Most nonlocal females arrived in the study area as adults.” Was schließt die vielköpfige Forschergruppe daraus? „The results attest to female mobility as a driving force for regional and supraregional communication and exchange at the dawn of the European metal ages.”

In korrektes Deutsch von heute übertragen offenbart der Text Erschreckendes: Um 2000 vor Christus haben im Augsburger Lechtal unbeweibte Männerhorden in ewiggestriger Umnachtung gehaust, möglicherweise sogar den neolithischen Staat durch mentale Grenzverschiebungen delegitimiert. Das endete erst, als sich progressive Frauenvereinigungen in der ungarischen Tiefebene per WhatsApp Neolith darauf verständigten, ins Notstandsgebiet einzuwandern, um diesen bedauernswerten Männergesellschaften das Licht der Erkenntnis zu bringen und sie an die große Weltgemeinschaft anzuschließen.

Wikingerfrauen waren die faireren Kriegerinnen …

Aber auch im Hohen Norden war lange vor unserer Zeit schon die Zukunft zuhause:  „Nicht-binäre Wikinger:innen“ entdeckte unter Zuhilfenahme allerlei halluzinogener Substanzen ein investigatives Rechercheteam der Berliner taz, das sich dem Ver­nehmen nach auch von „Correctiv – Recherchen für die Gesellschaft“ beraten ließ. „Ein Wikingergrab in Schweden, darin ein Schwert, Lanzen, Schilder, Pfeil und Bogen, sogar zwei Pferde. Eine echte Kriegsausrüstung. Es ist das Grab einer Frau, doch seine Entdecker bestimmten im 19. Jahrhundert, dass das Skelett im Grab ein Mann gewesen sein muss.“

Wenn „Entdecker“, also Männer, aus einem Befund Schlüsse ziehen, kann es ja nur schiefgehen. Nun haben Frauen sich denselben Befund noch mal angesehen und festgestellt, dass der bestattete Mann, dem Männer ein männliches Geschlecht „zugewiesen“ haben (so wie idiotischerweise auch Ärzte einem Neugeborenen auf Grund seiner Geschlechtsmerkmale ein Geschlecht zuweisen), natürlich eine Frau war. Schon zur Wikingerzeit betrieb sie eine genauso segensreiche feministische Außenpolitik wie Annalena B.

Im bereits gewürdigten ZDF-Faktencheck von Terra X History wird die alte und falsche Hypothese, dass im fraglichen Wikingergrab ein Krieger (Mann!) bestattet war, mit besten Argumenten zurückgewiesen: „Reine Interpretation“, also etwas, das Wissenschaftler „propagierten“, bevor die DNA-Analyse der Knochen ins Spiel kam. Und siehe da: Aus dem Krieger wurde eine Kriegerin. Schuld an dem Irrtum: „das Gesellschaftsbild des 19. Jahrhunderts – der Mann an der Spitze, die Frau in der zweiten Reihe mit Kindern“.

Nicht irritieren darf bei diesem Faktencheck, dass die Fotografie, die diese These im Fakten-TV illustriert, etwas ganz anderes zeigt, als der Kommentar behauptet: Mann und Frau auf gleicher Höhe nebeneinander. Ebenfalls nicht stören sollte die naheliegende Frage, was eine Familienfotografie des 19. Jahrhunderts mit dem Geschlecht eines wikingerzeitlichen Kriegers zu tun hat. Denn dieexpertenTM des ZDF wissen Rat: „Grabbeigaben wurden lange Zeit falsch gedeutet, von Männern für Männer.“ Nun aber deuten Frauen: „Die Bandbreite ist vielfältig. Darunter kann dann auch fallen, dass sie [die Wikingerfrau] in der Oberschicht als Kriegerin unterwegs war. Wieso nicht?“ Ein überzeugendes Argument.

… und integrierten migrierende Sizilianer ins Nordland

Dass es in einer Welt von Wikingerkriegerinnen keine rassistischen Ghettos von Völkern und Nationen gab, sondern grenzenlose Buntheit und Vielfalt, versteht sich. So hat uns eine multilaterale Forschendengruppe dieses Geschenk gemacht: „Rund 300 Knochenreste zeigen: Die Wikinger stammten nicht alle aus Skandinavien – man konnte auch ohne Wikingergene eine Nordfrau oder ein Nordmann sein.“ Der Gen­fluss kam mit Migrationshintergrund aus Südeuropa und Asien in den Norden, der nun so bunt wurde wie so manche spätdeutsche Stadt: „Die Identität der Wikinger war nicht begrenzt auf Menschen skandinavischer Herkunft“ – so wie Deutschsein auch nicht begrenzt sein darf auf Menschen aus aller Welt, sondern ein Gentransfer von Saturn oder Beteigeuze sicherlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken würde und ganz nebenbei den Fachkräftemangel beseitigen könnte.

Menschin und Maschine – ein Traumpaar

Beeindruckende neue Erkenntnisse also für alle, die immer schon wissen wollten, wieviel feministischer und damit gerechter, als es uns Männer bisher weismachen wollten, es in längst vergangenen Zeiten zuging in der One World. Schon hat die Google-KI Gemini auf die neuen Erkenntnisse reagiert. Eine inzwischen leicht überarbeitete Version entwarf in bunten Schau­bildern eine Welt voll schwarzer, chinesischer und indianischer Wikinger, gestützt auf alternativlose Ergebnisse von diewissenschaftTM.

Was Gemini selbst den klügsten dieexpertenTM noch voraushat, ist das Wissen um Indianerhäuptlinge und luftig gewandete Latinas, die als Philosophinnen dafür sorgten, dass die antike Welt in Griechenland einen Quantensprung des Denkens vollführen konnte. Künstliche Intelligenz kann dem Mängelwesen Mensch noch vieles offenbaren, was bislang außerhalb seines beschränkten Horizonts liegt. Man sollte nur darauf achten, dass die KI mit dem Wissen der Frauen gefüttert wird.

Postskriptum

Schon vor der von Archäologinnen entdeckten Menschwerdung gab es Diskrimininerung: Reptil-Rassismus und Sexismus gegen weibliche Geschöpfe. Das wurde von einer Paläobiologin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg aufgedeckt. Ihre Studie ergab: 89 Dinosaurier-Namen sind „problematisch“ bis „anstößig“. Besonders verwerflich: 87 Prozent der Saurier sind männlich. Höchste Zeit, weibliche Dinos sichtbar zu machen. Und die fossile LGBTQIA+-Community nicht vergessen!

Weiblichkeit pur: seltener Fund eines vollständigen Allosaura-Skeletts