Wie sind wir an die Schwelle der Katastrophe gelangt? Ein Rückblick auf zeitgeschichtliche Ereignisse, die unser Leben erschüttert haben – und bis in die heutige Krise ausstrahlen. Die historische Timeline zu „Frei von Hoffnung leben“

Im ersten Teil dieses Beitrags habe ich dargestellt, dass drei „Disruptionen“ der jüngeren Geschichte folgenreich genug waren, um zu unserem gerade beginnenden Desaster der kombinierten Grundversorgungs- und Inflationskrise bei anhaltend akuter Weltkriegsgefahr beizutragen. Ich beschrieb die Wiedervereinigung Deutschlands von 1990 (keine Krise per se, aber aus geostrategischen Gründen brisant), die terroristischen Attacken des 11. September 2001 und die verheerende Nullzinspolitik, die 2008 von den USA ausging.

Doch es sollten sich noch drei weitere Erschütterungen von mindestens demselben Kaliber zutragen, auf die vor allem in Deutschland politisch entweder fahrlässig naiv oder sogar absichtsvoll destruktiv reagiert wurde. Die Tragweite dieser Reaktionen, in zeitlich schon viel größerer Nähe und dichterer Folge, zahlte umso mehr auf den sich heute abzeichnenden Notstand des Landes ein. Im zweiten Teil betrache ich nun diese drei Ereignisse in ihrer chronologischen Reihenfolge, bevor ich einige Schlussfolgerungen aus der Analyse aller erwähnten historischen Wegmarken ziehe.

Wegpunkt #4
Datum: 12.3.2011
Fukushima
Zeit seit vorigem Wegpunkt: 2 Jahre, 6 Monate
Schadensbericht: 20.000 Todesopfer (durch Tsunami, nicht durch Radioaktivität), deutsche Energiewende

Es waren nach den Anschlägen des 11. September die wohl verstörendsten Bilder, die uns im frühen 21. Jahrhundert erreichten: eine durch Seebeben am 11.3.2011 ausgelöste Flutwelle, auf der brennende Häuser, Schiffe und Autos über Quadratkilometer landeinwärts trieben, alles mit sich reißend, alles niederwalzend. Der Tsunami traf auch das unmittelbar am Pazifik gelegene japanische Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi. In den drei Tagen nach dem Beben, zwischen dem 12. und 14. März 2011, kam es zu Kernschmelzen und Explosionen, Strahlung trat aus. Über 160.000 Menschen mussten evakuiert werden. Rund 2.000 Todesfälle werden indirekt mit dem AKW-Unglück in Zusammenhang gebracht. Doch an den Folgen der Strahlungsexposition starb laut Enzyclopedia Britannica nur ein einziger Mensch.

Während die Japaner mit bewundernswert stoischer Fassung und pragmatischen Anstrengungen beim Wiederaufbau der Infrastruktur sowie der Sicherung des zerstörten Kernkraftwerks reagierten, löste der Super-GAU von Fukushima im 8.750 Kilometer entfernten Berlin gleich den nächsten aus: die deutsche „Energiewende“. Kanzlerin Merkel cancelte nur einen Tag später die eben erst mit der Energiewirtschaft ausgehandelte Laufzeitenverlängerung der deutschen Atomkraftwerke, die ausdrücklich dem Ziel hatte dienen sollen, CO2-Emissionen zu mindern. Von den damals noch 19 deutschen Kernkraftwerksblöcken, teils nagelneu und überwiegend hochmodern, wurden bis heute 16 abgeschaltet und teilweise bereits „zurückgebaut“.

Gleichzeitig präsidierte Merkel damals schon seit sechs Jahren über die stufenweise Rückführung des deutschen Steinkohlenbergbaus auf Null, stets in enger Abstimmung mit allen maßgeblichen Parteien. Ende 2018 konnte man ihr Vollzug melden. Die letzten Schächte werden derzeit mit Beton verfüllt, nachdem alle Fördertechnik aus der Tiefe geborgen ist. Die im Untergrund lagernden Reserven für 300 Jahre sind damit für immer unzugänglich. Natürlich benötigt die deutsche Wirtschaft noch auf Jahre hinaus Steinkohle, die jedoch nun aus Ländern wie Kolumbien importiert wird, wo man sie unter weit gefahrvolleren und umweltbelastenderen Umständen gewinnt. Auch der Ausstieg aus der deutschen Braunkohle ist weit gediehen; hier trieben zunehmend extremistische Protestierer und Aktivistinnen die ewige Kanzlerin vor sich her. Der Rückbau von Kohlekraftwerken ist in vollem Gange, bis spätestens 2038 soll die Kohleverstromung beendet sein.

Einmal im Rausch des Abschaffens, wurde unter Merkel auch noch das Ende des Kraftstoff-Verbrenners als Automotor beschlossen und die deutsche Automobilindustrie mittelfristig auf den Elektroantrieb mit Ökostrom verpflichtet. Von dieser Art Strom (sie steht auch nach einem Jahrzehnt der Energiewende für weniger als ein Fünftel der in Deutschland insgesamt benötigten Energie) wissen wir bis heute nicht, wie wir ihn für windstille bzw. sonnenarme Zeiten speichern oder auch nur in entfernte Landesteile transportieren sollen. Oder wann die notwendige Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität das Bundesgebiet ausreichend abdecken könnte. Oder warum ein Automobil mit hochgiftigen Schwermetallbatterien überhaupt umweltfreundlicher sein sollte als ein moderner Verbrenner-Pkw.

All das schien gar kein Problem für eine Industriegesellschaft, die nach Fukushima einen recht gut eingespielten Energieträger-Mix einfach weggeworfen hatte. Denn es gab ja Herrn Putin, zu dem nicht nur Merkel über hervorragende Drähte verfügte (DDR-erprobt: sie sprach bei Treffen Russisch, er als Ex-Spionagechef Deutsch), sondern auch ihr SPD-Vorgänger im Amt. Schröder, der Gazprom-Lobbyist, tat das Seine fürs gemeinsame Megaprojekt, der Russengas-Pipeline Nord Stream 2. Dass diese letzte Hoffnung für die Gewährleistung der energetischen „Grundlast“ uns in eine fatale Abhängigkeit vom Moskauer Regime der Menschenfreunde führen würde, war hier niemandem ein Dorn im Auge, einer ausländischen Großmacht aber schon. Weshalb kürzlich amerikanische außerirdische Sonderkommandos einem Land von 83 Millionen Einwohnern einfach mal die Rest-Energieversorgung in die Luft sprengten – ohne, dass dessen Außenministerin das auch nur kommentierenswert fand. Dann kaufen wir halt zukünftig den sündteuren Fracking-Dreck von Bidens Buddies aus den USA. Das heißt, wenn wir in etwa zehn Jahren die Übergabe-Terminals samt Pipelines dafür in unsere küstennahen Naturschutzgebiete geprügelt haben werden.

[Nachtrag, 8. Februar 2023: Der renommierte ehemalige New-York-Times-Journalist und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh hat jetzt eine detaillierte Recherche vorgelegt, wonach die Spregnung von Nord Stream auf direkten Befehl von US-Präsident Biden erfolgte und von Spezialkräften der US Navy durchgeführt wurde. Das betretene Schweigen in deutschen Regierungskreisen dazu könnte lauter nicht sein.]

Aber Putin hin, Biden her – wir machen jetzt erst mal mit dem innerdeutschen Gemetzel weiter: Auch der drittletzte Atomkraftwerksblock, das KKW Emsland in Niedersachsen, wird ungerührt von der schwersten deutschen Energiekrise seit Kriegsende an Silvester planmäßig sein Leben aushauchen. Nur die beiden Blöcke Isar/Ohu 2 in Bayern und Neckarwestheim II in Baden-Württemberg sollen – so die aktuelle Bestattungsordnung der Habeckschen Klimakirche – nach fristgerechter Abschaltung am 31.12. noch eine Gnadenfrist als Standby-Stromquellen bis April 2023 erhalten. Aber nur, hihi, für den „Notfall“.

Dann ist das Atomzeitalter, dieses Hochplateau menschlicher Zivilisationsgeschichte, in Deutschland zu Ende. Wie vieles andere vermutlich auch. Unterdessen empfiehlt die EU Atomenergie als klimafreundlich, weltweit werden neue Kernkraftwerke gebaut. In China beispielsweise sogar frühe Vorläufer wirtschaftlich rentabler Fusionsreaktoren, die ihren Gesellschaften ewigen Wohlstand bringen könnten. Das aber ist ohne Zweifel ein weiterer Super-GAU im Weltbild irrer deutscher Klima-Ideologen, die – auf jeder Station des Weges beklatscht von ihren Gesinnungsgenossen in den Medien – die blauäugigste und verantwortungsloseste energiepolitische Strategie aller Zeiten und Nationen zu verantworten haben.

Wegpunkt #5
Datum: 5.9.2015
Merkels Grenzöffnung
Zeit seit vorigem Wegpunkt: 4 Jahre, 6 Monate
Schadensbericht: Überlastung der Sozialsysteme, Parallelgesellschaften, Schleuserkriminalität

Die vorbehaltlose Grenzöffnung durch die deutsche Bundeskanzlerin vom 5. September 2015, der Freibrief für syrische Flüchtlinge und solche, die sich dafür ausgaben, war erst wenige Tage alt. Unkontrolliert und unregistriert strömten täglich Zehntausende überwiegend junger, wehrfähiger Männer aus einem demokratiefernen, kriegsverwüsteten Kulturkreis ins Land – mit Zügen oder auf anderen Wegen. Im Deutschlandfunk war ein freiwilliger Helfer interviewt worden, der am Hamburger Hauptbahnhof Wasserflaschen und Proviant an die Neuankömmlinge verteilte. Nach seinen Motiven befragt, hatte er geantwortet: „Ich hoffe, sie werden uns helfen, bessere Menschen zu werden.“ BILD hatte geschlagzeilt: „Die ganze Welt feiert uns Deutsche.“

Und nun formulierte Katrin Göring-Eckardt, zu der Zeit Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, im ARD-Morgenmagazin eine Frage, die sich noch während des Sprechvorgangs in einen kategorischen Imperativ verwandelte: „Sind wir ein Land, was für Migrantinnen und Migranten offen ist, was Leute anzieht, die wir übrigens dringend brauchen, nicht nur die Fachkräfte, sondern weil wir auch Menschen hier brauchen, die in unseren Sozialsystemen zuhause sind und sich auch zuhause fühlen.“

In diesen wenigen wirren Tagen und Zitaten steckt rückblickend schon der Schlüssel zum Verständnis – soweit das rational möglich ist – für die weitere Entwicklung der deutschen Migrationspolitik seit 2015. Da flackert psychologisch die Abarbeitung gleich mehrerer Nachkriegsgenerationen an einem erlernten Schuldkomplex auf: freie Einreise für alle als imaginierte Sühne für kollektive deutsche Sünden. Da zeigt sich im selben Moment die gefühlte Grandiosität der Sühnenden, die sich von aller Welt „gefeiert“ sehen. Da äußert sich bereits die unentwirrbare Vermengung der Sachverhalte „zeitweiliges Asyl“ aufgrund von Flucht vor Krieg oder Verfolgung und „Einwanderung“, also dauerhafter Niederlassung in der Aufnahmegesellschaft bis hin zur Einbürgerung.

Die kaum noch erfolgende Unterscheidung zwischen Asylantragstellern, zeitweilig Asylberechtigten, Geduldeten, Ausreisepflichtigen, dauerhaft Zugewanderten und Familiennachzüglern läuft in der Logik von #wirhabenplatz auf einen sich selbst legitimierenden Migrantenstatus hinaus: Wer sich als „zufluchtsuchend“ vor welcher Unbill auch immer definiert, darf unsere Grenzen passieren. Wer unsere Grenzen passiert hat, darf bleiben. Das hat seit 2015 System und war so gewollt. Etwas später, in der Coronakrise, sollte sich ja zeigen, dass die fatalistische Rauten-Merkel („Nun sind sie halt da“) über Nacht zur energischen Bewacherin eines eisernen Grenzregimes mutieren konnte. Auf den Kontext und die Zielgruppe der Durchlässigkeit kam es halt an.

An der politischen Figur Göring-Eckardt zeigt sich aber auch, dass den Befürwortern der zutrittsoffenen Gesellschaft jegliche ökonomische Erwägung nicht nur fremd ist, sodass ein „Zuhausesein in unseren Sozialsystemen“ als etwas Positives angeboten wird. Nein, die Frage der Finanzierbarkeit und Verkraftbarkeit ganzer Völkerwanderungen für die Aufnahmegesellschaft läuft in ihren Überlegungen geradezu auf Häresie hinaus: Wer wird denn angesichts von Schicksalen nach Geld fragen? Die Gegenfrage, wer denn angesichts der Schicksale der Aufnehmenden nicht nach Geld oder Vernunft fragen würde, wäre für so Denkende schlicht unmenschlich.

Im Fall der abgebrochenen Theologin Göring-Eckardt, die höchste Laienämter in der Evangelischen Kirche Deutschlands bekleidet hat, kommt noch die moraltheologische Freude am religiösen Bekenntnis hinzu – gleich, welches und wessen Bekenntnis das ist. Als die heutige Bundestags-Vizepräsidentin im November 2015 vor einer grünen Wand ihr berühmtes Credo „Deutschland wird sich radikal verändern, und ich freue mich darauf“ sprach, wurde ein kleiner rhetorischer Einschub meist nicht mitzitiert: „Wahrscheinlich wird es auch religiöser werden.“

Und damit hat sie völlig Recht behalten. Weit über zwei Millionen ganz überwiegend muslimische Einwanderer seit 2015, nicht wenige davon aus fundamentalistischen bis fanatischen Sekten, stehen dafür. In der Aufnahmegesellschaft liefen seitdem umgekehrt Hunderttausende ihren evangelischen und katholischen Gemeinden davon, aber die Migration hat so gesehen für eine Renaissance des Religiösen gesorgt. Das Problem ist nur: Eine in Communities, Clans und Cliquen zerlegte Gesellschaft ohne gemeinsame Sprache und Werte kann sich nun kaum noch auf den Strang verständigen, an dem in der Not immer noch alle gemeinsam ziehen müssen. 

Wegpunkt #6
Datum: 22.3.2020
Erster bundesweiter Corona-Lockdown
Zeit seit vorigem Wegpunkt: 4 Jahre, 7 Monate
Schadensbericht:
Grassierende Soziopathie, entfesselte Exekutive, Demontage der Grundrechte

Wenn es überhaupt noch eine neue, halbwegs originelle Erkenntnis zum Corona-Komplex gibt, dann vielleicht diese: Die Mutter aller Maßnahmen, die Verkündung des ersten deutschen Lockdowns durch die Bundeskanzlerin am 22. März 2020, musste sich in Windeseile zu einer Geröllhalde der Lügen und Halbwahrheiten und Fehldeutungen und vorgetäuschten Alternativlosigkeiten ausweiten. Die prekäre Rutschgefahr und der ständig drohende Abgang dieser Geröllhalde in einer Lawine offengelegter Falschheiten sorgte von Anfang an für jene fatale Eigendynamik von immer mehr Manipulationen zur Abstützung des amtlichen Narrativs, unter der wir bis heute leiden. Die dramatische Schieflage zwischen der offiziellen Angst-Erzählung und belastbaren Fakten erzeugte den Druck, zentrale Statistiken zu verbiegen und zu verbergen, die Rückverfolgbarkeit der Kausalketten und Verantwortungen zu verhindern, mediale Sprachregelungen und -verbote durchzupeitschen, unbequeme Fragen zu übertönen.

So gut wie nichts wurde bewiesen oder hielt einer Überprüfung stand. Nicht die Herkunft des Virus von einem Wochenmarkt. Nicht die bundesweite Überlastung der Intensivstationen. Nicht die medizinische Brauchbarkeit des PCR-Tests. Nicht der Nutzeffekt von Masken, wie sie sonst in der Bauwirtschaft Verwendung finden. Nicht die Notwendigkeit zur Impfung von Kindern und Jugendlichen. Nicht die amtlichen Buchführungsmethoden, wonach Hunderttausende an statt mit Corona starben. Nicht die Unbedenklichkeit der ohne die übliche Erprobung in den Markt gedrückten Gen-Impfstoffe. Nicht die Beteuerung, Geimpfte seien vor Erkrankung sicher oder würden das Virus nicht auf andere übertragen. Und insbesondere nicht die Idee, eine Gesellschaft könne gesund bleiben, wenn sie nur konsequent aufhöre damit, einander als Menschen zu behandeln und sich als Menschen in schwerem Leid ganz körperlich und unmittelbar zu stützen.

Nahezu jede tragende Rolle in dieser Horrorshow einer entfesselten Exekutive wurde besetzt durch Leute, die der Verantwortung ihrer Positionen entweder nicht gewachsen waren oder sie gleich zur persönlichen Bereicherung missbrauchten. Es traten und treten wahrhaft furchteinflößende Soziopathen vor die Kameras, deren psychologische Behandlungsbedürftigkeit nur noch von ihrer Therapieunfähigkeit übertroffen wird. Und ausgerechnet sie dürfen Titel vor sich hertragen, die sie als Behandler und Diener des Gesundheitswesens ausweisen. Schon wenn nur die Legitimität dieser Titel hinterfragt wurde, geriet mancher in arge Bedrängnis.

Die gesellschaftliche Bilanz der Corona-Katastrophe – ein bezüglich des katastrophalen Sachverhalts völlig irreführender Begriff – ist in Deutschland mehr noch als anderen Ländern verheerender als alles, was seit dem Krieg zu bewältigen war. Das Schlimmste ist nicht einmal die gefühlte Billiarde aus der Luft geschöpfter Euro, die für widersprüchliche, chaotische, menschenfeindliche und letztlich weitgehend nutzlose Maßnahmen verschleudert wurde und für sich allein ausreichte, die Staatsfinanzen langfristig zu ruinieren. Das Schlimmste ist der Rückfall in Thomas Hobbes‘ resignatives „homo homini lupus“.

Wir Menschen als staatenbildende Vernunfttiere wurden amtlich dazu degradiert, wie in vorhistorischer Zeit als Wölfe jeden anderen Wolf zu reißen, den Nachbarn, den besten Freund, selbst das Kind, als Feind und Todbringer zu denunzieren. Davon wird das Land sich lange Jahre nicht erholen. Eine Gesellschaft von Vereinzelten aber, derartig in ihrer sozialen Kompetenz geschwächt, ist waidwund und reif für den Fangschuss, den jeder neue Angreifer aus anderer Richtung abgeben kann. Und es ist immer noch nicht vorbei.

Wegpunkt #7
Datum: 24.2.2022
Russische Invasion der Ukraine, westliche Embargopolitik
Zeit seit vorigem Wegpunkt: 1 Jahr, 11 Monate
Schadensbericht (bislang): galoppierende Inflation, Energienotstand, Kriegskredite

Da stehen wir nun, falls wir uns noch aufrappeln konnten, auf freier Strecke. Herausgeschleudert aus unserem entgleisten Zug in Richtung nirgendwo, von einer Wand aus selbst errichteten Betonquadern abgebremst auf Nullkommanull. Wir schütteln uns den Staub aus den Haaren und zerrissenen Kleidern, betrachten Kratzer und Schnittwunden, stehen im Schock vor einem sich entfaltenden Panorama der großflächigen Zerstörung. Es wetterleuchtet im Osten. Dumpf nehmen wir Preissprünge zur Kenntnis, wie sie zuletzt unsere Vorfahren vor fast genau einem Jahrhundert und dem Beginn der Hyperinflation von 1923 trafen. Wir sehen leere Warenregale, lesen von gerissenen Lieferketten, sollen nicht mehr warm duschen und besser dicke Pullover tragen, statt zu heizen. Die Weihnachtsbeleuchtung soll uns verboten werden. Ein Unternehmen nach dem anderen macht dicht. Das Leben kommt im selben Takt zum Erliegen, in dem der Jahreskreis sich schließt. Und nun steigt auch noch wie zum Hohn ein Teppich ungenutzt zerplatzender Gasblasen aus der Ostsee auf. Ob „Freund“ oder Feind: Diesmal meinen sie es ernst mit dem Morgenthau-Plan.

Es tobt in Europa bereits ein Krieg, in den hineingezogen zu werden wir als souveräne Nation hätten verhindern können (und mit verwegener Anstrengung immer noch könnten). Stattdessen gieren unsere grünen Spitzenpolitiker und Meinungsführer geradezu danach, nicht vorhandene Bündnisverpflichtungen zu erfüllen, nachdem dieselbe Partei sich einst pazifistisch gebärdete und damit ihren unseligen Aufstieg nahm. Wenn nun die Ukraine mithilfe deutscher Angriffswaffen neu annektierte „russische“ Gebiete attackiert, dann sind wir auf dem grünen Ticket bei deren Gegenschlägen voll dabei. Und als ob das alles nicht genug sei, schwadroniert ein fliegetragender Hysteriker in Berlin von neuen Viruswellen, die ihm große Sorgen machten und all unsere Wehrhaftigkeit verlangten. Ein gleichzeitig vergreisendes und infantilisiertes Volk scheint ihm mehrheitlich dankbar für alles.

Dieser Mann ist das personifizierte Nachbeben einer der sechs historischen Disruptionen, die ich beschrieben habe. Aber er ist nicht das einzige, was immer noch erschüttert, wie ich versucht habe zu zeigen. Das Epizentrum vieler dieser alten und neuen Beben liegt nicht einmal in unserer zunehmend dysfunktionalen Hauptstadt, sondern vielmehr in den USA, deren way of life and death Generationen in Deutschland offenbar schon an der Wiege bis ins Grab zu imitieren beschlossen haben. Als ob wir ein Abo auf todessüchtigen Amerikanismus hätten: Nullzins, Migration, Corona – was dort an Torheiten vorgebetet wurde, galt hier im Handumdrehen als Gospel. Und so nun eben auch im Ukraine-Krieg: Die Transatlantiker, die Joschka Fischers und ihre politischen Think Tanks, die globalisierten Davos-Pilger im Bann der größten US-Konzerne – sie alle beten auf ihre Art wieder, was der große Bruder Washington an Freund- und Feindbildern, an Tabus und To Dos vorformuliert. Unvorstellbar für sie, immer noch, dass ein großer Bruder nicht zwangsläufig ein guter Freund sein muss.

Aber auch hier gilt: Die USA sind nicht an allem schuld. Wir hier machen es jedem Angreifer, gleich aus welcher Richtung, unendlich leicht mit unserer German Angst, unserer German Naivety, unserer German Inexperience in Macht- und Selbstbehauptungsfragen. Unbeschadet der einzigen Konstante unserer Politik seit Kaisers Zeiten: Am deutschen Wesen soll die Welt (und ihr Klima) genesen. Die Feminisierung der Politik hat dem noch ein spezifisch weibliches Helfersyndrom hinzugefügt. Gefühligkeit regiert statt Realpolitik, und hinterher wird mit Milliarden-Hilfspaketen geworfen. Bizarr, dass ich als alter Kriegsdienstverweigerer dies schreiben muss, aber wenn ich unserer Bundesverteidigungsministerin bei der Arbeit zusehe, möchte ich eher sie beschützen, zur Not auch mit der Knallerbsenpistole in der Hand.

Wir haben nun wohl die Wahl, welcher der sieben biblischen Plagen wir gerne erliegen möchten – oder wir mogeln uns mit unendlich viel Glück noch ein letztes Mal unter der untersten Niveau-Limbostange durch. Doch das einzige, was die Deutschen bei einer vielleicht noch rechtzeitig vor dem finalen Doppelwumms vorgezogenen Neuwahl aus der hoffnungsfreien Lage folgern würden, wäre: bei diesem Urnengang vielleicht mal wieder die CDU ankreuzen. Der Friedrich Merz, der trägt doch immer so schöne Krawatten.


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