Fliesen, Kutschen, Zusatzstoffe – die Außenposten der deutschen Museumslandschaft jenseits von Bismarck, Beuys und Benz brauchen unsere Aufmerksamkeit. Diesmal: Deutsches Zusatzstoffmuseum, Großmarkt, 20097 Hamburg

Die Museumsinsel in Berlin ist nichts dagegen: Standort Großmarkt, Hamburger Hafenrand
(Foto: Mef.ellingen, Wikipedia)

Das ist eine Museums-Garderobe unter Platzmangelbedingungen. Sie verdeckt teilweise eine Vitrine mit Haushaltstechnik aus vergangenen Epochen, die vermutlich am traurigsten postierte Vitrine der gesamten deutschen Museumslandschaft. Bei meinem Eintritt ins Deutsche Zusatzstoffmuseum platzte ich mitten in den kundigen Vortrag der Kassiererin (Masterstudium Biologie), die gerade eine Gruppe von sieben Gästen mit interessanten Fakten über Zusatzstoffe unterhielt. Sie schickte mich zunächst hierher, zur Garderobe, die ich erst auf erneute Nachfrage in einer Ecke nahe der Damentoilette fand. „Wir können das mit dem Eintrittsgeld nachher machen,“ bot sie mir nichtsdestotrotz an.

Ein erfreulich lässiger Umgang mit der rüden Störung durch mein Erscheinen, das nur einem Zufall zu verdanken war. Durch diesen Zufall nämlich hatte ich nach einer Komplettumrundung das richtige von drei Eingangstoren im Gitterzaun um das Hamburger Großmarktgelände gefunden, das nicht dauerhaft abgeschlossene. Die Schranke dort bewachte ein leibhaftiger Pförtner, dem ich arglos mitteilte: „Moin, ich möchte zum Deutschen Zusatzstoffmuseum!“ Er sah mich an, als ob mit mir was nicht richtig wäre, drückte aber trotzdem den Knopf, der die Sperre entfernte.

Das ist eine Vitrine im Aufbau. Davon gibt es im Museum einige, jedesmal gekennzeichnet durch selbiges Schild. Was genau da aufgebaut wird, erschloss sich mir nicht. Eigentlich waren alle Vitrinen bereits hinreichend mit Dingen und Informationen gefüllt. Hier zum Beispiel mit exotischen Importlebensmitteldosen, von denen man lieber gar nicht wissen möchte, welche Zusatzstoffe darin herumplantschen. Manchmal schadet Bildung nur dem Nervenkostüm.

Das ist einfach nur skurril. Raumdüfte aus der Spraydose, damit der prekär gefranchisete Backshop nach echter Meisterbäckerei duftet. Gar nicht auszudenken: die Geruchsnote „Chicken Soup“ – und die Frage wäre auch, für welche Geschäftsräume dieser Duft gedacht ist. Der Eisladen scheidet hoffentlich aus. Andererseits ist man fast dankbar für solche Quatsch-mit-Soße-Exponate, die einem das Zusatzstoffwesen mal richtig plastisch und mit all seinen Absurditäten vor Augen führen.

Denn seien wir ehrlich: Das Thema dieses Museums ist ein hoch abstraktes, ein Horror für jeden Museumspädagogen. Ich meine, in Wirklichkeit sieht man ja nichts! Der Zusatzstoff als solcher mag vielleicht unter dem Elektronenmikroskop erkennbar werden, oder meinethalben als chemische Formel, aber ist das vielleicht Infotainment? Natürlich nicht. Hoch lebe also die Bäckerei-Spraydose!

Das ist Museumspädagogik am Abgrund: Klapptafeln mit kleingedruckten Texten vor vergilbter Fototapete. Das Problem, auf das sie keine sinnlich erfahrbare Antwort liefern: siehe oben. Man wünscht sich schlagartig mehr Vitrinen; viel, viel mehr Vitrinen. Wenn dafür die verdammten Klapptafeln verschwänden! Aber Geduld: Es wird besser. Die vergilbten Fototapeten zum Beispiel sollen einen Supermarkt symbolisieren. Und in diesem imaginären Supermarkt kann der Besucher mit einem blauen Einkaufskorb in der Hand shoppen gehen. Zum Beispiel hier:

Das ist eine Supermarkt-Tiefkühltruhe mit Tiefkühlpizza. Man entnehme der Truhe das kreisrunde Pizza-Symbol, scanne an der „Kasse“ den Barcode, und schon kommt ein „Kassenbon“ aus dem Schlitz in der Wand, der einem säuberlich ausgedruckt auflistet, welche Zusatzstoffe die Pizza – oder das Landbrot, oder der Joghurt – enthält. In meinem Fall waren es „1 x Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe, 1 x Emulgatoren, 2 x Antioxidantien, 1 x Konservierungsstoffe“. Mahlzeit! Aber wieso die Antioxidantien gleich zweimal? Das hätte ich gerne die kundige Museumskassiererin gefragt, die aber noch mit ihrem Vortrag beschäftigt war. Und sie ein weiteres Mal unterbrechen? Nur das nicht!

Das ist Margerine, wie Gott sie erschaffen hat. Für meinen Geschmack jetzt auch nicht unappetitlicher als das gelbliche Zeug, das wir irgendwelchen unnatürlichen Zusatzstoffen zu verdanken haben. Ich habe nicht so genau aufgepasst, aber ich glaube nicht, dass hier der Farbstoff zum Einsatz kommt, der aus Schildläusen gewonnen wird. Nein, das ist eher bei Marmelade der Fall. Wegen Scharlachrot.

Das ist auch ein Zusatzstoff, den Sie in ihrem Billig-Joghurt vom Discounter finden: „der fruchtige Geschmack aus Sägespänen“. Der bisweilen fast rotzig-rebellische Tonfall ist überhaupt das Überraschendste an dieser Ausstellung. Und ich hatte gedacht, im Deutschen Zusatzstoffmuseum würden einem die globalisierten Lebensmittelkonzerne von Nestlé bis Unilever mal schön aufs Brot schmieren, wie sinnvoll und verbraucherfreundlich Zusatzstoffe im Essen sind. Aber dann wäre dies ja wohl ein Glaspalast in bester Lage, pompös gestylt und repräsentativ gegreenwasht. Hier aber riecht es nicht nach dem großen Geld, sondern nach Eintrittspreisen von 3,50 Euro, ermäßig 2 Euro. Hier, im Museum am vergitterten Hintern vom Hamburg, wird subtil an den mündigen Verbraucher appelliert, der mit seiner gut informierten Kaufentscheidung Märkte zum Besseren verändern könnte.

Wenn Ihnen dieses Motiv heute schon fast etwas aus der Zeit gefallen vorkommt, bitte, das liegt wahrscheinlich auch am Ursprung dieses Museums: Bezahlt wird es von Lebensmittelfirmen und ihren Stiftungen, die mehr so aus dem „biodynamischen“ und organischen Bereich kommen. Mitbegründer war der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, Jahrgang 1954, Autor zahlreicher populärer Sachbücher über die Schattenseiten der Lebensmittelindustrie. Er ist halt von der alten alternativen Schule und offenbar immer noch quicklebendig. Es hat mich gefreut zu sehen, dass er fanatischen Vegetarismus und erst recht Veganismus trotzdem ablehnt. Bravo! So sieht unabhängiges Denken aus, das sich von keiner ideologischen Heilslehre vereinnahmen lässt. Vielleicht sollte er aber mal wieder in seinem in die Jahre gekommenen Museum vorbeischauen, um z. B. die „Vitrinen im Aufbau“ zu unterstützen, oder um dies hier zu optimieren:

Das ist ein Video über eine Salzmühle. Es läuft in Endlosschleife an einer der Fototapetenwände. Sein im Grunde informativer Inhalt: Tafelsalz würde im Lauf der Zeit durch die Luftfeuchtigkeit Klumpen bilden – etwa solche, wie sie die Arbeiterin in der Salzmühle hier in mühsamer Handarbeit aufbricht und aufs Fließband befördert. Damit sie nicht zu Ihnen nach Hause kommen muss, werden Ihrem Speisesalz künstliche Trennmittel zugesetzt, also auch wieder Zusatzstoffe. Leider läuft das Video in Endlosschleife mit Endloston, und zwar dem endlosen, nervtötenden Geschrabbel des Salzmühlenförderbandes – auch während des Vortrags unserer kompetenten Kleingruppenführerin.

Das sind Aromen in Flaschen. Im Museum darf man dran riechen, jedoch: „Diese Aromen werden in einer 1:000 Verdünnung eingesetzt, also Vorsicht.“ Versteh ich jetzt nicht ganz. Wäre es denn weniger gefährlich, sie wären nur 1:10 verdünnt oder gar unverdünnt? 1:1000 klingt mir doch fast schon nach Globuli, also nahezu wirkstofffrei. Allerdings: Es riecht schon noch stark. Geradezu nasebetäubend. Und nach der dritten oder vierten Geruchsprobe duftete für mich alles nach einer Mischung aus Spinat und Vanille – sogar „Cheddar“ und „Banane“. Nicht unbedingt ein Aroma wie bei Oma. Ich lernte noch, dass viele Aromen von Schimmelpilzen produziert werden, aber das war dann auch schon egal.

Auf der Rückfahrt mit dem Fahrrad hängte ich mich an einen 30-Tonner-Lkw dran, der so wie ich das Großmarktgelände verlassen wollte. Dabei wäre die Schranke nach dem unübersichtlichen Ungetüm beinahe über mir heruntergekracht. Ging aber noch mal gut. Munter zog ich quer durch die City eine Fahne von Hydroxycitronellaldiethylacetal hinter mir her.

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Aufenthaltsdauer im Museum: 46 Minuten, 31 Sekunden
Highlight: Aroma-Geruchsprobe „Sekt Brut“
Lowlight: die traurigste Vitrine der Welt
Crackerpoints: 6/10

P.S.: Wenn Sie ein irgendwie randständiges Museum mit dazu passendem Thema kennen, das in dieser Reihe unbedingt mal vorgestellt werden müsste, bitte ich um Mitteilung.