In ihrer aktuellen, bundesweit allgegenwärtigen Werbekampagne stellt uns die Suchmaschine Google etwa 20 bedenkenswerte Fragen – etwa, was eigentlich Freiheit ist. Also googeln wir doch einfach die Antworten. Denn „jede Suche bringt dich weiter“.
Ein geniales Konzept: Die Summe aller korrekten Antworten auf alle korrekten Google-Fragen dieser Welt ergibt die korrekte Lösung, in was für einer Welt wir in Deutschland im Jahr 2021 eigentlich leben. Beziehungsweise leben sollen, wenn es nach dem monsterwoken Webcontent- und Zensurkonzern Alphabet Inc. geht, dessen bekannteste Marke Google immer noch ist. Die Megacorporation aus dem Silicon Valley, die irgendwann mal mit dem damals schon verlogenen Motto „Don’t be evil“ angetreten ist (2018 gecancelt), hat ihre Tabus von vorgestern längst überwunden. Als keinen Grenzen mehr unterworfener US-Globalkonzern mit dem Budget einer mittleren Industrienation (Profit 2020: 40,3 Mrd. Dollar) regiert Google mittlerweile unser Leben.
Deshalb darf es nicht nur die Antworten bestimmen, sondern auch, wie die Fragen dazu lauten. Erst dann wird Denken ja vollständig kontrolliert. Um ganz sicher zu gehen, hat die Amsterdamer Kreativagentur 72 And Sunny bei dieser Kampagne mit „prominenten deutschen Influencern“ zusammengearbeitet, um auf „bedenkenswerte“ Fragen zu kommen. Lassen Sie übrigens mal die Bildmotive auf sich wirken, das klärt auch ungefragt schon einiges. Vielleicht nicht ganz mein Alltag, der sich da spiegelt, aber kann ja dank angeleiteter Internetsuche noch werden. Googeln wir!
Das heißt, ich google. Meine Ergebnisse weichen aber von Ihren ab, schon klar, oder? Liegt am Algorithmus, wo jeder mit muss. Mir persönlich werden zum Beispiel viel mehr Nadsi-Seiten angeboten als Ihnen, weil der Suchmaschinen-Algorithmus lernfähig ist und mich inzwischen ganz gut kennt. Aber auch Ihre Ergebnisse dürften interessant sein. Selbst, wenn Sie sich im Netz nur von tagesschau.de und Redaktionsnetzwerk Deutschland ernähren … nein, dann nicht. Egal. Los jetzt:
wie zeige ich toleranz
Noch während ich obige Zeile Wort für Wort exakt so in die Suchmaske eingebe wie in Googles Werbevorlage (Fragezeichen sind überbewertet), poppt als auto-vervollständigte Frage auf: „wie zeige ich jemanden an“. Hmmm, je länger ich darüber nachdenke, desto zielführender erscheint mir diese Variante. Toleranz zeigt man heute nämlich, indem man Intolerante anzeigt. Jahaa, da jetzt mal drüber nachdenken! Mich selbst quält immer öfter der Gedanke: Warum zeige ich Toleranz – aus Blödheit, Faulheit oder Feigheit?
Aber wir wollen ja keine neuen Fragen, sondern Antworten, also bitte: Immerhin auf Platz fünf meiner Google-Vorschlagsliste mit „ca. 13.200.000“ potenziell hilfreichen Webseiten erscheint ein Artikel der FAZ: LGBTQ-Marketing: Das Geschäft mit der Toleranz. Ups! Ich sag ja: Nadsi-Seiten. Google, bitte zensier dich selbst! Du weißt, du willst es! Wenn Sie übrigens meine persönliche, selbstgehirnte Antwort auf Googles Frage möchten: Wer eine seelenlose KI bemühen muss, um Hinweise zu erhalten, wie er wohl Toleranz zeigen könnte, ist bei den Amis wirklich in den richtigen Händen. Schau halt aufs Plakat und häng die Regenbogenflagge raus, Idiot!
was bedeutet inklusive sprache
An dieser Stelle könnte ich mich jetzt kurzfassen und antworten: genau das. Dieses Fragment von progressiver Gen-Y-Sprech, das entfernte Ähnlichkeit mit einer sogenannten Frage hat, ist gerade richtig behindert, um sprachlich alle*n und jede*n mitzunehmen bzw. abzuholen oder jedenfalls nicht am Wegesrand zurückzulassen. Nicht so degeneriert, um völlig unverständliches Kauderwelsch abzugeben, aber weitaus verkorkster als alles, was noch vor wenigen Jahren Drittklässler in der Deutscharbeit hätten zustandebringen müssen. Heute reicht’s zum Fachabitur (w/m/d).
Schon gut, nicht ich war gefragt, sondern Google. Und Google spuckt mir – wenn auch erst auf Platz 19 – folgenden Pressebeitrag aus: Mehr als zwei Drittel wollen keine Zuhörer:innen. Ja, um Himmelswillen, ist denn der Tagesspiegel jetzt auch Nadsi? Und doch, und doch: Der Artikel aus Berlin ist im Vergleich zu den 18 genderverwirrten Seiten zum Teil bekannter Universitäten davor immer noch ein Lichtblick, glauben Sie mir. Wir lernen daraus, dass es lohnen kann, sich nicht aus Blödheit, Faulheit oder Toleranz (siehe oben) nur die obersten drei Suchergebnisse durchzulesen.
regenbogenfamilie erfahrungen
Ja, sehen Sie, man kann sich auch komplett ohne Frageform auf eine Google-Suche machen. also wozu stammeldeutsch vorige inklusionsprache frage. Peinlich, dass ich als Angehöriger der normsexuellen Minderheit erst mal „Regenbogenfamilie“ googeln musste. Aber das ist doch gerade das Schöne, wenn man Toleranz gegenüber sich selbst zeigt und mal über den Schatten seiner Komfortzone springt. Yo, bundesbürger*innenmensch von jahr 2021, mach dich locker und chill die base, digga, kannssu neue experience googeln auf provider sein nacken, alder! Ich hör schon auf.
Hier lieber eine weiterführende Google-Auskunft zu den von vielfältigen, bunten und toleranten Mitmenschen gemachten Erfahrungen in, unter oder trotz Regenbogenfamilien: „Ich fände es seltsam, wenn mein Vater eine Freundin hätte.“ Und weißt du was, LGBTQI+-Kind: Genau dasselbe würden meine Kinder auch über mich sagen! Ist das nicht merkwürdig? Bin ich jetzt eigentlich trans? Ich kenn mich halt nicht so aus in der glücklichen Google-Welt von 2021. Gelernt aber: Wenn das eine die Partnerin der anderen dem Partner von das dritte die Freundin sein Typ ausspannt, dann Stress.
was bedeutet freiheit
Oha. Seid ihr sicher, Google und prominente deutsche Influencer, dass ihr uns das fragen wollt? Die Frage aller Fragen in dieses überhitzte kleine Land posaunen? Womöglich auf einem dieser digitalen Werbedisplays im Stadtbild, an dem gerade eine Mini-Demo für die seit 18 Monaten ausgesetzten Grundrechte vorbeizieht und schon an der nächsten Ecke zusammengeknüppelt wird? Könnte das nicht schlechte Pressefotos geben?
Aber nein, ihr seid euch eurer Sache so gottverdammt sicher, dass ihr auch gleich noch selbst Auskunft gebt. Denn Google, nicht blöd, hat zu allen Musterfragen der Kampagne gleich die Antworten formuliert. Für den Fall, dass ein Anti-Influencer wie ich es mal ausprobiert. Sie stehen jeweils auf Platz 1 der Ergebnisse, ohne Quellenangabe, ohne Link, einfach als absolutes Wahrheitshäppchen. Und im Fall der Freiheit lautet die Wahrheit Wort für Wort so:
1.[ohne Plural] Zustand, in dem jemand frei von bestimmten persönlichen oder gesellschaftlichen, als Zwang oder Last empfundenen Bindungen oder Verpflichtungen, unabhängig ist und sich in seinen Entscheidungen o. Ä. nicht eingeschränkt fühlt;“die politische Freiheit“. 2.[ohne Plural] Möglichkeit, sich frei und ungehindert zu bewegen; „den Gefangenen, einem Tier die Freiheit schenken, geben“.
Was soll ich sagen, Google, außer: stimmt alles aufs Haar und bedeutet demnach das Gegenteil deiner woken Wunschwelt. Eine andere Definition von Freiheit wäre nämlich: „Die Abwesenheit einer digitalen Gedankenkontrollinstanz.“ Oder auch: „Freiheit ist, wenn mir keiner politisch korrekte Fragen vorschreibt.“ Oder: „Freiheit ist, wenn Google und YouTube keine missliebigen Informationen unterdrücken.“ Aber was rede ich, wenn deine Zielgruppe Fragen wie jene in dich reintippt, die ich hier als letzte aus deiner Werbekampagne zitiere:
wann ist man erwachsen
Ahnen Sie die Antwort? Wenn nicht, lassen Sie die Finger von der Tastatur! Denn wenn Sie in dieser Hinsicht trotz Ihres fortgeschrittenen Alters von 29 (Frauen) oder gar 41 (Männer) so hoffnungslos beratungsbedürftig und haltlos sind, dass Sie sich heimlich an einen Computer setzen, um sich durch Eintippen obiger Frage zu entwürdigen, macht Google die Sache nur schlimmer. Das ist wie Darmblutungen zu haben und deshalb eine Internet-Diagnose einzuholen. Sie fühlen sich danach nicht besser. Also bleiben Sie besser für immer halbwüchsig in dieser quietschbunt betreuten Google-Welt des Jahres 2021.
TWASBO liebt Debatten. Zum Posten Ihrer Meinung und Ihrer Ergänzungen steht Ihnen das Kommentarfeld unter diesem Text offen. Ihr themenbezogener Beitrag wird freigeschaltet, ob pro oder contra, solange er nicht gegen Gesetze oder akzeptable Umgangsformen verstößt. Vielen Dank.