Mittagspause. Ich laufe durch die Straßen auf der Suche nach etwas Abwechslung von der üblichen Essens-Routine, von Lokalen, deren Tagesgerichtekarte ich bereits auswendig kenne. Heute dürfte es mal was Arabisches sein, denke ich, und ganz bestimmt denke ich nicht an Pommes und Currywurst.

Während ich an einer Schaufensterscheibe entlanglaufe, klopft jemand von innen an das Glas. Ich drehe mich um und erfasse das Geschäft hinter dem Schaufenster: eine Pommes- und Currywurstbude. Der Meister selbst, von erwartbar stattlicher Gestalt, winkt mich von hinter seiner Fritteuse herein, als sei ich ein Stammkunde oder doch ein alter Bekannter. Bin ich aber nicht. Nie gesehen, den Mann. Normalerweise würde an dieser Stelle mein Fluchtinstinkt einsetzen. Aber die Neugier überwiegt.

Außer mir gibt es keinen Kunden im Laden. „Geh nicht nach nebenan!“, weist mich der Frittenchef an, als ob ich das vorgehabt hätte, und redet weiter engagiert auf mich ein, ohne dass ich groß zu Wort käme. Dann drückt er mir eine vorbereitete, laminierte Texttafel in die Hand, die er ansonsten im Schaufenster stehen hat.

Aus gleichzeitigem Wortschwall und Querlesen der Story ziehe ich die Quintessenz: Nebenan, Tür an Tür, ist noch eine kleinere Pommesbude, aber die ist irgendwie nicht ganz in Ordnung oder jedenfalls der direkte Konkurrent oder aber auch gleichzeitig der Vermieter, mit dem der Frittenchef gerade Krieg führt („Nicht ich mit ihm, der mit mir“) und der ihm irgendwie das Wasser abgräbt oder jedenfalls übel mitgespielt hat oder was weiß ich, ich will ja auch bloß was essen.

Ich will doch bloß was essen

„Du willst bestimmt Pommes mit Currywurst“, wagt der Frittenchef ansatzlos eine ungewöhnliche Vermutung, denn was können Leute schon wollen, die eine Fritten- und Currywurstbude betreten haben, obwohl sie es gar nicht vorhatten.

Gebannt vom Redeschwall und unter dem Schock, von einem Frittenchef schanghait worden zu sein, willige ich ein, wage aber mit dem letzten Rest von Autonomie, statt Currywurst einen Schaschlik zu bestellen. Übergangslos tönt es weiter: „Schaschlik hab ich auch, ganz frisch, die Pommes auch, wir wechseln täglich das Fett, für unsere Pommes haben wir den Soundso-Preis gewonnen, was trinken auch?“

Ja, sage ich in Trance und bestelle giftgrüne Melonenlimonade und weniger giftgrünen Gurkensalat. Das habe ich noch nie getan und werde es sicher auch nie wieder tun, aber heute bin ich unter die Piraten gefallen. „Und Ketchup und Majo? Ist gar keine Majo, ist holländische Frittensoße, viel besser als Majo!“ Geht klar, Chef. „Na, jetzt hab ich dich schon infiziert, was, mit meinen Pommes!“ Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Aber es klingt mehr wie ein Mantra.

„Na, jetzt hab ich dich schon infiziert, was?“

Der Frittenchef macht sich ans Werk und erzählt – mehr sich selber – inzwischen von Großmutter und großer Tradition (seit 1945) und fünf oder sieben Umzügen, was die Schwarzweißfotos an der Wand neben mir belegen, „und alles immer noch deutsch“. Da steht auch was von Kult an der Wand. Der Laden ist, von uns beiden abgesehen, weiterhin leer.

Wieso ist der Laden leer, frage ich, ist doch eigentlich Rush Hour. „Ja, montags, weißt du, und der Erste ist schon lange vorbei, und die Leute haben alle kein Geld mehr, aber gerade erst war ein ganzer Schwall Bauarbeiter da …“ Zwei Jungs in Kapuzenpullis betreten den Laden, lassen sich Geld wechseln und gehen. Wir sind wieder allein.

Inzwischen ist das Essen da. Der Schaschlik ist zäh. Die Pommes sind Pommes, aber die rote Ketchupmasse ist pures Höllenfeuer, da hilft auch die holländische Soße nicht, viel besser als Majo. Die Melonenlimonade schmeckt genau so, wie ich es nicht anders verdient habe. Nur die Gurken, die sind wirklich, wirklich … och, naja, Gurken.

„Und, jetzt hab ich dich infiziert mit meinen Pommes, was?“

Zahlen, bitte. 9,60 Euro macht das dann. Zehn, bitte, sage ich, weil der nunmehr zweistellige Betrag den Bann hoffentlich von mir nehmen wird. Ich gehe zur Tür, vorbei an der Wand mit der Kult-Berichterstattung, und muss unterwegs niemandem ausweichen. Dann habe ich die Tür durchschritten, der Bann fällt von mir ab, und ich sehe das oben abgebildete Ladenschild und denke, wieso „Treffs“, wieso verdammt noch mal Plural.