Interessantes über ein Provinznest, dessen Name leider nirgends schlüssig erklärt wird und das auf meinen Fotos aus gutem Grund nur aus Schildern zu bestehen scheint.
Sich treiben lassen. Die Seele baumeln lassen. Den Tag pflücken. Den Horizont erweitern. Wenn Sie derlei Impulsen nachgeben, die uns eine heimtückische Werbeindustrie häufig als Ausweis genussaktiven Lebenszeitkonsums suggeriert, könnten Sie als in Büchsenschinken enden. So wie ich gestern.
Ich musste dringend mal raus aus unserer Innenstadtwohnung, zweiter Stock Genossenschaftssiedlung, um mir von unseren geschätzten Nachbarn wenigstens für kurze Zeit nicht länger auf meinen Nerven herumtrampeln zu lassen. Ah, Sonne! Ah, lauer Wind! Ah, Frühlingserwachen! Ah, eine Fahrradtour! Einfach losradeln, auf das nächstbeste Ziel zu. Nur mein stummer Drahtesel und ich, herrlich!
Ich also das Navi im Smartphone gecheckt, „nächstbestes Ziel“ eingegeben, taucht da zufällig das Wort „Büchsenschinken“ auf. Auf einer Straßenkarte! Als Örtlichkeit! Jo, da musst du hin. Das ist dein Tagesziel, an einem Sonntag wie diesem. Büchsenschinken. Nur 15 Kilometer weit weg, und trotzdem noch nie davon gehört? Das werden wir änden!
Gut, niemand hätte gewettet, dass es sich bei Büchsenschinken um eine vollwertige Ortschaft mit Dorfschulzen und Gendarm handelt. Vielmehr gehört Büchsenschinken zu einem von Literatur befallenen Städtchen, das einen Brummbär namens Harry Rowohlt beherbergt hat. Fast erwartet man, ihn hier gleich um die Ecke brummen zu hören. Allerdings gibt es keine Ecken. Büchsenschinken besteht aus einem Stück schnurgerader Straße, etwa einen Kilometer lang.
Was also, wenn nicht Harry, mag es hier für Attraktionen geben?
Oh, eine Bushaltestelle! Hätte ich also auch ohne Anstrengung herkommen können. Lustigerweise sogar noch mit meiner HVV-Monatskarte: „Einmal Büchsenschinken, bitte!“ – „Junger Mann, seh ich vielleicht aus wie ’ne Metzgerei auf Rädern? Das iss’n Bus hier!“ (Bäng, Tür zugeknallt, vor der Nase weggefahren.) Vielleicht doch besser, das mit dem Fahrrad.
Aber was gibt’s denn hier nun Schönes? Gibt’s denn hier Schönes?
Natürlich gibt es das! Überall gibt es Schönes! Den Hof Büchsenschinken zum Beispiel. Den Reiterhof Büchsenschinken, um genau zu sein. In Reiterkreisen ein Begriff! (Hab ich dann gegoogelt.) Und das Tolle ist: „Der Hof hat durch seine besondere Lage und sein gepflegtes Erscheinungsbild eine wohltuende Wirkung auf Reiter und Pferd.“ So steht es auf der Website. Jetzt aber weiter die Straße entlang.
Oh, was ist das? Eine Miniaturwindmühle! Und ein Schild, das Hunde zu Disziplin und Höflichkeit auffordert! Das ist interessant, weil: Von schräg gegenüber kläfft mich die ganze Zeit ein hochnervöser Büchsenschinkener Hofhund an. Zum Glück hinter einem Gittertor. So lange, bis Frauchen rauskommt und misstrauisch nach dem Rechten sieht.
Überhaupt haben die Büchsenschinkener nicht unbedingt viel Herzlichkeit und Liebe für Fremde wie mich übrig, die dumm rumstehen und Büchsenschinken fotografieren. Vorhin auch schon, die Pferdetrainerinnen vom Hof Büchsenschinken. Ich so: Klick, klick! Die so: Sparsam kuck! Ich so: Pfeifend weiterfahr’…
Wir sind halt auf dem Land, in Schleswig-Holstein, da ist sich jeder selbst der Nächste. Geschossen wird erst, gefragt später. Klar, auf die Polizei könnte man ja ewig warten.
Ach, kuck mal an.
Es ist nämlich möglicherweise so, dass in Büchsenschinken die Emmelheinz Natursteinwerk GmbH (keine Abbildung) gar nicht der größte Arbeitgeber am Platz ist, wie ich dachte. Als ich da vorbeigekommen bin. Emmelheinz hat ein imposantes Firmenschild aus poliertem Naturstein (keine Abbildung, es standen Nachbarinnen beim Nachbarschaftsschwatz zusammen) und wirkt schon relativ potent, so von der vermuteten Wirtschaftsleistung her gesehen.
Nun aber dies hier: die Transportbeton Nord! Riesengelände, endloses Entrée! Außerdem: Beton und Naturstein fast Tür an Tür? Da wird ja ein Muster erkennbar! Eine ganze Branchenwelt tut sich da auf in Büchsenschinken: die Welt der massiven Baumaterialien! Jo ho ho, und ’ne Buddel Asphalt!
„… möchte ich mich auf Ihre Ausschreibung als stellvertretender Betonwart bei der Transportbeton Nord bewerben; derzeit übe ich eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitanstellung als Oberflächenpolier beim Emmelheinz Natursteinwerk aus.“ Wie viele Fachkräfte man sich in Büchsenschinken wohl schon auf diese und ähnliche Weise gegenseitig abgeworben hat?
Mich dies und jenes fragend, neue Eindrücke im Herzen tragend, schwinge ich mich froh in den Sattel. Zuhause mag der Terror weitergehen, aber bevor ich sterbe, habe ich dies gesehen. Büchsenschinken, mon amour!
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Nachtrag, 2. Mai:
Wie mir ein gewöhnlich gut informierter Busfahrer soeben mitteilt, gibt es sogar noch ein zweites Büchsenschinken in der Gegend: In Lauenburg an der Elbe, kaum 40 Autokilometer von Reinbek-Büchsenschinken entfernt, heißt eine Stichstraße so. Und die zugehörige Bushaltestelle auch. Ja, es sieht sogar nach einer Buswendestelle aus, was Büchsenschinken da sackgassenmäßig zu bieten hat:
Jetzt schlägt’s 13! Schleswig-Holsteiner, was ist los mit euch? Zwei Örtlichkeiten unabhängig voneinander Büchsenschinken nennen und keine Erklärung dazu liefern? Es womöglich selbst nicht verstehen, wie ihr das tun konntet? Und jetzt hoffen, niemand findet das raus und keiner stellt Fragen? Falsch gehofft, Schleswig-Holsteiner!
Niederdeutsch Büx = Hose. Umgangssprachlich Schinken = Gesäß. Vielleicht wird so ein Po, nein, Schuh draus?
Dann wäre ich aber für die konsequent hochdeutsche Version. Warum sollte es nach dem Muster \“Rothenburg an der Wümme\“ nicht auch einen Ort namens \“Hintern in der Hose\“ geben?
Büchsenschinken gibt`s sogar ein zweites beim HVV…in Lauenburg. Das sind dann aber schon 3 Ringe…
Gruss Der Busfahrer
Vielleicht wissen die ja woher der Name kommt…!?
[…] ➔ Stiller Tag in Büchsenschinken […]
Come to where the flavour is… Büchsenschinken.
Harry, ein Reiterhof und Weltklasse Beton – was kann man noch wünschen?
Eine Antwort auf die Frage, warum Büchsenschinken Büchsenschinken heißt?
Nope.
Weisst du\’s?