Marketing-Horror unter der Dusche: Was man mir schon am frühen Morgen zumutet, schreit nach kreativer Notwehr.

In diesen ersten fünf Minuten ist der Tag noch großartig. Geschätzte 90 Prozent meines Inspirationsvorrats für die kommenden Stunden bis zum Feierabend entnehme ich diesem kurzen Zeitraum. Von warmem Wasser gekost und massiert, stehe ich unter der Dusche und – lese. Ja wirklich, nicht selten lese ich, was es so gibt, und unter einer Dusche gibt es in Reichweite und ohne Gefahr der totalen Ruinierung nun mal weder Zeitung noch iPhone, sondern nur: Duschartikellyrik. Auf wasserfeste Plastikklebefolie gedruckt, die wiederum auf mehr oder weniger handschmeichlerisch geformte Shampoo- oder Duschgelbehältnisse gebügelt wurde.

Die Isolation in der Dusche ist für mich in etwa das, was die Isolation von Bautzen für DDR-Häftlinge war, nur in angenehm: die totale Reduktion des Gedankenangebots und damit die grenzenlose Überhöhung jedes noch so kleinen Schriftsatzes vor meinem Aufmerksamkeitshorizont. Wo radikaler Entzug herrscht, erweckt jedes Wort die Hoffnung nahezu unendlicher Nahrhaftigkeit. Warum tausend Worte machen, wenn es auch ein einfaches Zeit-/Wirkungs-Kurvendiagramm wie aus den ersten Menschheitstagen tut: Gut Ding will Weile haben und viel hilft viel, das wusste schon der Homo Erectus. Im Grunde ersetzt es die Lektüre eines ganzen Wirtschaftsteils (außerhalb der Dusche).

Allerdings beginnt mit der geistigen Schlichtheit auch das Problem. Denn das Versprechen der totalen Konzentration auf die Quintessenz des Seins können Duschartikel selten einlösen. Die anfänglich lockende Zeile „Genießen Sie ein gepflegtes Hautgefühl mit Shea Butter, Ingwer Extrakt und geraspelten Hirschkäferdungbatzen“ reicht zwar knapp an Heinrich Heine heran, hinterlässt aber doch am Ende einen etwas schalen Beigeschmack. Auch mystisch wabernde Inhaltsstoffe wie Polyquarternium-7 oder Tetrasodium EDTA führen mich regelmäßig nur zu der unauflöslichen Grübelei, welche Sprache das eigentlich ist – Römerlager-Latein für Ausgestorbene?

Was mich aber immer wieder aufs Neue wahnsinnig macht, ist diese Aussage auf dem Antischuppenshampoobehältnis meines Vertrauens:

„Für zu Schuppen neigendem Haar“ Aaargh! Ich möchte sofort die Service-Hotline alarmieren, deren Telefonnummer man üblicherweise, getrennt für D / A / CH, auf der Packung findet („Mobilfunktarife können abweichen“). Allein: Was sollte ich da sagen? „Guten Morgen, Driesen hier, Sie müssen entschuldigen, das Rauschen ist meine Dusche und das Rascheln kommt von der Plastiktüte, in der mein Handy des Spritzwasserschutzes wegen steckt, es geht um folgendes: Neigendes, nicht neigendem. ‚Für‘ verlangt den Akkusativ und nicht den Dativ. Was? Sprechen Sie bitte lauter, es ist hier gerade sehr nass!“

Nein, ich würde es nicht wagen. Ich trockne mich stattdessen ab und mache des beste aus dem, was vom Tage übrig ist.


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