Da draußen gibt es Einnahmequellen, die wir im 21. Jahrhundert nicht mehr auf der Rechnung hatten. Aber sie sprudeln trotzdem immer weiter. TWASBO besucht längst totgesagte Märkte, die vermutlich ewig leben.

Wer in Deutschland einen Minigolfplatz betritt, findet sich in einer relativistischen Zeitblase wieder: Während in der Außenwelt ganze Epochen vergangen sind, in denen Königreiche erobert und Revolutionen zum Sieg geführt wurden, sich Gebirge aufschichteten und verwitterten, steht die Uhr auf dem Platz still. Alles ist noch genauso wie 1970. Aber nicht als ironische Retro-Lifestyle-Installation, sondern weil sich einfach nichts verändert hat.

Ich kann das eindrucksvoll beweisen. Denn ich werde hier ausführlich meinen eigenen Blogtext zitieren, den ich im Jahr 2010 verfasst habe. Jawohl, vor 15 Jahren. Damals allerdings nicht mit Blick auf das Geschäftsmodell, das untoter nicht sein könnte und daher in dieser Serie längst hätte gewürdigt werden müssen. Sondern, weil ich damals gerade eine Runde Minigolf mit kleinen Kindern gespielt hatte. Mit meinen kleinen Kindern. Die heute erwachsen sind. Und damals schrieb ich bereits rückblickend: „Das Tolle daran ist, dass die 18 Bahnen auf jedem, aber auch jedem Minigolfplatz noch genau die sind, die schon heruntergekommen wirkten, als ich selbst vier Jahre alt war und mit meinem Vater zum Minigolf ging.“

Da sehen Sie mal, wie Qualitätsjournalismus über anderthalb Jahrzehnte das Niveau hält: Als unbestechlichem Beobachter der Zeitläufte (oder eben Stillstände) entgingen mir schon damals nicht diese kleinen Details, die auch heute noch jeden Bericht über Minigolf zieren können: „Die Farbe“, schrieb ich, „ist genauso abgeblättert, die Oberflächen sind genauso verschraddelt und mit wahlweise Pfützen, welkem Laub oder Tannennadeln übersät, sodass der Ball einen Zentimeter vor dem Loch plötzlich eine ganz unerwartete Wendung nimmt und im rechten Winkel über die Leitplanke das Weite sucht. In den Buden sitzen immer noch genau die wettergegerbten, etwa 60-jährigen Ex-Jugoslawen und reichen mit der Kippe im Mund die Schläger über die Theke.“

In your face, Turbokapitalismus! Aber wie, verdammt noch mal, sieht nun dieses unkaputtbare Geschäftsmodell aus, das sich geradezu einen Spaß daraus macht, sämtliche Überlebensgebote wie Innovation, Agilität, Dynamik, Zeitgeistprostitution und Insta-TikTok-Idiotenmarketing mit Füßen zu treten?

Nun, zumindest die beiden Bullshitbingo-Buzzwords „Klimafreundlichkeit“ und „Nachhaltigkeit“ werden ja hier aufs Schönste bedient: Vermutlich verwandelt sich jeder Minigolfplatz nach drei Jahrhunderten der Dauernutzung einfach rückstandslos in Kompost, sodass auf dem alten Acker neue Bahnen sprießen, aber natürlich wieder mit exakt denselben Hindernissen wie 1970. Außerdem: Eine einzige Kleinigkeit hat sich doch geändert. Eine, die in unserer ehemaligen Marktwirtschaft und selbst im entstehenden NeoSoz nicht ganz unwichtig ist. Schrieb ich 2015 noch etwas von „acht Euro“ für eine Platzrunde à zwei Erwachsenen und zwei Kindern, habe ich dieser Tage nur in Begleitung des nun 19-Jährigen einen schlanken Zehner hingeblättert. Auf demselben Platz mit denselben verrottenden Bahnen, versteht sich. Ein Bier übrigens vier Euro, Prost.

Aber zum Markenkern und Unsterblichkeits-Geheimnis von Minigolf zählt das alles nicht. Da zählt nur eines: Stillstand. Es soll sich bitte an diesem Spiel und am Look & Feel des Platz-Layouts nichts ändern, niemals, never ever. Es darf nicht passieren, dass ich Ihnen im Jahr 2040 meine Lieblingsbahn beschreibe (die mit der Rampe und dem Fangnetz, wo man zum Schrecken der Umstehenden so herrlich weit ausholen muss), und Sie als Gelegenheitsminigolfer haben nicht sofort das Bild dazu vor Augen. Das wäre so, als ob ich heute jemandem aus dem Jahr 1970 schilderte, was ich hier gerade am Computer treibe, und derjenige wäre völlig ahnungslos. Es wäre der berüchtigte Riss im Raumzeit-Kontinuum, tödlich für unsere gesamte Zivilisation.

Und ganz wichtig, nochmals: Es darf sich um keine ironische Brechung handeln. Das würde sofort bemerkt und mit Boykott bestraft. Also nicht, dass irgendwelche arg verspäteten Männerdutt-Träger nach dem Scheitern ihrer drei vorigen Businesspläne Ramen-Butze, Burger-Braterei und Craftbeer-Manufaktur auf die Idee kommen: Bro, jetzt machen wir einfach voll auf Siebzigerjahre, alles in Orange und Lila und Pink koloriert, dazu Disco-Playlist, Schlaghosen- und Hawaiihemdenpflicht auf dem Platz, und dann geht das hier ab wie Schmitz‘ Katze! Gar nichts geht. Peinlichkeit und Anbiederung stinken 100 Meter gegen den Wind. Nein, es muss der Ex-Jugoslawe sein, der eh nie was anderes vorhatte und – Achtung, unglaublich! – nicht nur in seinem Bretterverschlag für die Schläger-Ausgabe, sondern auch sonst ein genügsamer Mensch ist. Dann geht das ab. Nur dann.

Nur dann funktionieren nämlich auch diese kleinen Zeitreise-Gimmicks, die glücklich machen und von einem besseren Vorgestern träumen lassen. So wie dieser Zettel, den man auf dem Rundweg über den Platz immer ausfüllt: „Die Spielbögen zum Eintragen der Punkte“, reportierte ich 2015, „sind immer noch die Formularvordrucke von 1970.“ Wahrscheinlich gibt es heute irgendwo in Vietnam ganze Druckereien, in denen Kinderscharen nur vom Herstellen dieser Formulare mit Kleingedrucktem leben („Miniaturgolf – Der Ausgleichssport für jedermann. Ohne Vorkenntnisse zu spielen.‘) Darauf findet sich auch in winzig kleiner Schrift der Zusatz: „Nachweis durch Deutsche Miniatur-Golf“. Hä?

Allein die Vorstellung, dass es irgendwo, vielleicht in 78050 Villingen-Schwenningen, eine „Deutsche Miniatur-Golf AG“ geben könnte … Dort hängt im Büro des Direktors eine große Deutschlandkarte, gespickt mit Stecknadeln für alle Plätze der Republik — herrlich! Die DMG AG produziert vermutlich streng genormte Minigolfplatz-Anlagenkomponenten, die bereits ab Werk diesen unnachahmlich kaputten Look haben. Entworfen von einem seit drei Jahrzehnten pensionierten Designer mit Wischnewski-Gedächtnisbrille.

Und die Sekretärin dort meldet sich am Fernsprecher mit knarrender Wochenschau-Stimme: „Hier Deutsche Miniatur-Golf, Vorzimmer Generaldirektor Dr. Bogenlampe – bedaure, der Herr Generaldirektor ist heute auf dem internationalen Miniaturgolf-Kongress in Bad Bevensen. Er hält das Hauptreferat und nimmt anschließend die goldene Ehrennadel des Verbandes ehemaliger Miniaturgolfmeister Nordostwestfalens entgegen.“

Plopp, ausgeträumt. Hallo, triste Realität: neues iPhone-Update, neue Plastik-Sneakers, neues Einkaufszentrum, neuer Streaming-Dienst, neuer Marvel-Superheldenfilm. Ich will zurück auf den Platz, auf dem ich zeitlos glücklich war!

Und das macht es so unwiderstehlich, das untote Geschäftsmodell Minigolf.

Ach, eines noch, bevor Sie als Ex-Jugoslawe sich jetzt europaweit auf die Suche machen nach einem Pachtgelände für Ihr zukünftiges, stets bescheidenen Profit abwerfendes Spielerparadies: Die Traummaschine Minigolfplatz funktioniert so natürlich nur in Deutschland, dem Land des Stillstands und Rückschritts. Anderswo auf der Welt laufen derweil die Uhren weiter. Die können ja nicht bloß uns zuliebe dem Fortschritt abschwören.

Beispielsweise in Lagos an der portugiesischen Algarve-Küste, die Sie bei TWASBO neulich schon kennengelernt haben. Dort sind in den vergangenen Jahren in Windeseile Wohn- und Urlaubsquartiere für besserverdienende Nordeuropäer hochgezogen worden. Was durfte nicht fehlen? Ein Minigolfplatz. Aber eben einer für das 21. Jahrhundert. Das Ergebnis ist nicht für Sie und nicht für Ex-Jugoslawen gedacht oder geeignet. Doch so sieht die Gegenwart aus. Anderswo auf der Welt.

Aber nun vergessen Sie das schnell wieder! Versuchen Sie Ihr Unternehmerglück lieber in Ratzeburg (siehe Fotos oben). Dort brauchen Sie nur die Tannennadeln von den verlassenen Bahnen zu fegen – und fertig ist das Geschäftsmodell.