Trotz aktueller Umfrage-Hochs für regierungskritische Positionen: Unter den herrschenden Verhältnissen schaffen Extremisten Fakten, die normale Menschen in die Verzweiflung treiben – auch Autoren und Publizisten. Die Erschöpfung beim Anschwimmen gegen einen entfesselten Mainstream beschreibt TWASBO-Gründer Oliver Driesen im Interview*.

Oliver, ich weiß, dass du das öffentliche „Du“ als Ausdruck einer grassierenden Distanzlosigkeit und Gleichmacherei verabscheust. Aber wir kennen uns lange und intensiv, wir könnten einander nichts vormachen. Außerdem soll es unter anderem um seelische, also ausgesprochen private Vorgänge gehen. Da wir uns häufig sozusagen mit kritischer Sympathie gegenüberstehen – wollen wir für dieses Interview beim Du bleiben?

OD: Klar, in diesem Fall mache ich eine Ausnahme. Du darfst Herr Redakteur zu mir sagen!

Ah ja, der sogenannte Driesensche Humor.

OD: Galgenhumor!

Lass uns vielleicht zügig auf weniger spaßbetonte Themen kommen. Du bist 57 Jahre alt und hast vor fast 30 Jahren mal als Journalist angefangen, den man sicher „linksliberal“ nennen durfte. Jedenfalls hast du für Medien wie den WDR, „Die Woche“ und ein- oder zweimal sogar für den „Spiegel“ gearbeitet. Seit der Erfindung von TWASBO aber siehst du dich selbst als konservativen Magazinmacher …

OD: Ist das jetzt schon der unerfreuliche Teil?

Weil ich dich, wie gesagt, gut kenne, werde ich jetzt nicht in deine Falle tappen und zu deinem diebischen Vergnügen „Ich stelle hier die Fragen!“ rufen. Aber ich stelle hier tatsächlich die Fragen, also: Wie kam es überhaupt zu dieser persönlichen Neupositionierung, die ja in der Branche eher unüblich ist und bei früheren beruflichen Weggefährten vermutlich einiges Stirnrunzeln ausgelöst hat?

OD: Stirnrunzeln und Häme, Ausgrenzung, Aggression. Aber ich weiß gar nicht, ob diese Umkehr so selten ist. Alternative Medien wie Tichy, Wallasch, Rubikon oder die Achse haben in den letzten Jahren gute Autoren angezogen – trotz all der Widerstände und Verleumnungen, denen diese Kollegen dann von Seiten des linksliberalen Establishments als „Abtrünnige“ ausgesetzt waren. Ich bin viel zu unbedeutend und inkonsequent, um mich hier als Dissidenten stilisieren zu wollen. Aber wer heute ein denkender, fühlender Mensch ist und dazu noch über eine gewisse Lebenserfahrung verfügt, kann doch gar nicht anders, als aus Sicht des Mainstreams zum gesellschaftspolitischen Geisterfahrer zu werden. Die Gründe sind so zahlreich, dass wir sie in diesem Gespräch gar nicht alle ansprechen können. Fest steht: Die Corona-Jahre waren der Katalysator, ganz klar.

In wiefern?

OD: Das werte ich mal als rhetorische Frage, denn die Antwort liegt auf der Hand: weil in diesen knapp drei Jahren wieder aufbrach, was lange Zeit im Keller der Geschichte verbuddelt schien. Kohorten-Gehorsam, Jagdlust im Wolfspack auf Sündenböcke, das Aussetzen des kritischen Verstandes zugunsten von Autoritätshörigkeit, die Lust am Knechten und am Verbot, eine Perversion des Begriffs „Wissenschaft“ als Staatsdoktrin – und nicht zuletzt, nach dem Offensichtlichwerden all dieser Irrwege, eine fast vollständig fehlende Übernahme der Verantwortung durch die Verantwortlichen. War was? Nein! Ich hab da jedenfalls nicht mitgemacht! Das haben Außerirdische angerichtet, aber die sind in ihren UFOs wieder weggeflogen! Außerdem hat man das ja alles nicht wissen können! So haben wir Deutschen das zuletzt im 20. Jahrhundert zweimal durchgezogen. Dass dieselben Mechanismen im 21. dann so schnell wieder funktionieren würden, hätte ich mir niemals albträumen lassen. Und willfährige Medien haben bei alledem eine Schlüsselrolle gespielt.

„Wer heute ein denkender, fühlender Mensch ist und vielleicht noch über Lebenserfahrung verfügt, kann doch gar nicht anders, als aus Sicht des Mainstreams zum Geisterfahrer zu werden.“

Nun ist Corona vorbei, man könnte also zumindest insofern aufatmen. Auch die Wahlumfragen ändern sich drastisch. Dessen ungeachtet behauptest du, unter konservativen und jedenfalls nicht linken Bloggern gebe es derzeit so eine Art Mini-Epidemie der Depression. Irgendwelche Belege?

OD: Drei sind ein Trend, sagt ein Gesetz des faulen Journalismus. Ich kenne aus dem Stand sogar vier Blogger und Autoren aus dem alternativen Lager, die derzeit alle Symptome tiefer Verzweiflung zeigen – gut möglich, dass ich einer davon bin. Mancher bekennt öffentlich eine depressive Arbeitsunfähigkeit, mancher ist plötzlich kommentarlos weg, weshalb ich die Dunkelziffer einer tatsächlich klinischen Depression sehr viel höher einschätze. Blogs werden vernachlässigt und veröden. Letzte Wortmeldungen sind fatalistisch im Ton. Die individuellen Krisen haben unterschiedliche Wurzeln, was sie aber alle zumindest verstärkt, sind Tempo und Umfassenheit des Niedergangs um uns herum. Dieses Abgleiten, oder sollte man besser sagen: Ableiten in ein ganz anderes Gesellschaftssystem.

Was deine „depressiven Konservativen“ für einen Niedergang halten, scheint für viele andere eher eine Weiterentwicklung zu sein, oder neutral ausgedrückt einfach der Wandel der Zeit. Kann es nicht sein, dass die Depression von der eigenen Unfähigkeit herrührt, das Vergangene loszulassen und sich dem Neuen zu öffnen?

OD: „… und der Zukunft zugewandt“ hieß es ja schon im Text der DDR-Hymne, der dann aus anderen Gründen schnell gecancelt wurde. Ja, so mögen Marxisten sich das vorstellen: dem Fortschritt nie im Wege stehen, denn er folgt dem Evolutionsgesetz der Menschheitsgeschichte von der Sklavenhaltergesellschaft über den Kapitalismus und den Sozialismus bis zum paradiesischen Kommunismus. Bullshit, natürlich. Sicher kann nie alles beim Alten bleiben. In normalen Zeiten ändern sich Dinge sukzessive, das Bessere setzt sich häufig von selbst durch, und die Menschen passen ihr Leben Schritt für Schritt an. Doch was die Einpeitscher des NeoSoz von heute angeht, halten sie sich nicht lange mit vermeintlicher Evolution auf. Ihre Uhr steht immer auf eine Minute nach zwölf, sie glauben nichts weniger als eine Revolution vom Zaun brechen zu müssen, einen Putsch der Progressivisten. Da so etwas nur mit Zwang und sozialer Zerstörung geht, reißen sie Millionen ganz normaler Menschen wie mir den Boden unter den Füßen weg. Da kann man schon mal depressiv werden.

Ein wenig dramatisierst du jetzt aber die Lage. Wo sind zum Beispiel Zwang und Zerstörung?

OD: Wo soll ich anfangen, selbst unter Ausblendung der Corona-Jahre? Da ich ein Mann des geschriebenen Wortes bin, vielleicht am besten bei der Sprache, denn sie verrät unfreiwillig am meisten über den unbedingten Willen zur missionarischen Gewalt, der von den Umstürzlern heute ansonsten noch notdürftig getarnt wird. Nicht vergessen: Die Sprache ist unser geistiges Lebenselexier und heißt nicht umsonst Muttersprache. Darum war sie das erste Schlachtfeld dieses Culture War. Sie wird auch sein letztes sein, wenn es am Ende für die Täter darum geht, ihre Spuren zu verwischen. Außer der Atemluft und der Familie gibt es wenig, das unsereinem so kostbar ist wie Worte, und die Extremisten haben das gewachsene Sprachgebäude bereits auf breiter Front erschüttert. Dass sie den Grundkonsens über die Verwendung unserer gemeinsamen Sprache überhaupt in heilloser Arroganz aufkündigen, sagt schon alles. Sie haben Sprachgebote und -verbote durchgepeitscht, die tiefen Einblick in ihre absurden Denkmuster geben …

… die Gender-Regelungen mit ihren Sternchen, Klicklauten und Pronomen?

OD: Nicht einmal in erster Linie, nein. Obwohl das Gendern eine artifizielle Pest ist: grammatikalisch dysfunktional, von atemberaubender Hässlichkeit, ein Ausweis von Selbstdressur und Unterwürfigkeit, schon als bloße Ausgeburt ein Grund zur Dauerdepression – und umso mehr durch den Zwang, es anzuwenden, der schon auf einen großen Teil der Menschen deutscher Sprache ausgeübt wird. Nein, ich meine die extremistische Umdeutung und Aufladung zentraler und ursprünglich unstrittiger Begriffe. „Nazi“ ist ja nur der offensichtlichste Fall. Niemand hat diese verkehrte Welt besser auf den Punkt gebracht als Michael Klonovsky: „Es gibt Rassismus, aber keine Rassen, es gibt Volksverhetzung, aber kein Volk, es gibt Sexismus, aber Geschlechter sind konstruiert, und es gibt selbstverständlich auch Kolonialismus ohne Kolonien.“ Die ganze Brutalität, zu der die Umstürzler unserer Gesellschaftsordnung fähig sind, lässt sich an dieser neuen Dialektik ablesen. Es wird längst nicht nur der Sprache Gewalt angetan, sonst könnte „Vielfalt“ heute nicht für das Erzwingen einer Einheits-Ideologie statt echten Pluralismus stehen, eigentlich also für Einfalt. Und dann geht eine Tagesschau-Redaktion noch hin und ersetzt das nahezu heilige Wort „Mutter“ durch „gebärende Person“, um Trans-Personen nicht zu diskriminieren. Der Abstieg dieser Medienmarke ist unfassbar.

Wie sieht es mit dem Begriff der Freiheit aus, der für dein Leben als freier Autor so zentral ist?

OD: Der wird erst recht völlig entkernt, umprogrammiert und bewusst missbraucht. Am besten erkennt man das am Adjektiv „liberal“. Hierzulande steht es heute höchstens noch für „feige“. Wer insgeheim schlicht vor der Anstrengung zurückscheut, anderen überhaupt irgendwelche Grenzen zu setzen, nennt sich beschönigend liberal. Er schafft damit paradoxerweise ein Höchstmaß an Unfreiheit, nämlich die Tyrannei der Skrupellosen und der Eiferer, oder hält ihr zumindest den Steigbügel. Hingegen wird der unzweideutige und nicht relativierbare Begriff der politischen Freiheit heute in Medien und Politik entweder schamvoll vermieden oder gleich als „rechts“ markiert. Die neue Freiheit heißt Verbot. Verrückt: Ehemals tatsächlich liberale Medien wie die „Zeit“ haben hier Maßstäbe gesetzt.

Warum Liberalität Unfreiheit erzeugt, ist noch nicht wirklich klar, glaube ich.

OD: Wem? Dir, mir, uns oder den vierzehn Lesern dieses Interviews? Man muss verstehen, dass heute unter dem Banner der quasireligiösen „Wokeness“-Ideologie ein nur auf den ersten Blick scheinbar unmögliches Bündnis zum Zweck der „Transformation“ der westlichen Welt besteht: ein Bündnis zwischen Neo-Marxisten und hauptsächlich US-amerikanischen Multimilliardären, also einigen der mächtigsten Kapitalisten der Welt. Was diese selbstermächtigten und keiner demokratischen Kontrolle unterworfenen Transformatoren „liberal“ nennen, ist die Freiheit von kulturell und historisch hinterlegten Nationalstaatsgrenzen. Es soll also deren rechtliche und soziale Schranken nicht mehr geben – für globale Konzerne ebensowenig wie für Armutsmigranten, Sozialtransfers und die umfassende digitale Bewirtschaftung des Individuums. Da treffen sich die Bedürfnisse von Corporations und Neo-Linken. Denn wer Menschen- und Finanzströme schrankenlos kontrollieren und lenken kann, der bricht in Windeseile die Abwehrkraft gewachsener Gesellschaften gegenüber zwei fast gleichrangig extremistischen Ideologien: Wildwest-Kapitalismus und Neomarxismus. Die haben übrigens im heutigen Nationalsozialismus Chinas schon aufs Schlagkräftigste zusammengefunden, man teilt sich dort die Beute zwischen der Business- und der Parteibonzenkaste auf.

China mit seiner weitgehenden ethnischen Homogenität ist aber ein ganz anderer Tummelplatz für Totalitarismus als zum Beispiel Europa. Wo droht für dich im Westen die Abschaffung des demokratischen Systems?

OD: Sie droht zum Beispiel in der Aufrüstung der WHO zu einer Welthgyienepolizei, die in ehemals souveränen Nationalstaaten unter „Pandemie“-Vorwand unmittelbar freiheitsbeschränkende Autorität entfalten soll. Sie droht mit der totalen Digitalisierung des Geldes und mit dem aus China importierten System der Social-Score-Ampeln. Jeder wird sie, ähnlich dem Corona-Impfausweis, auf seinem Handy haben. Und sie schalten auf Rot, wenn der Besitzer des Punktekontos als Systemkritiker ertappt wurde: Fort sind die Reisefreiheit oder der Zugang zum Bankkonto. Aber ganz besonders droht das Ende des demokratischen Wohlfahrts- und Rechtsstaats mit der Auflösung der Kulturen des Westens durch geförderte Masseneinwanderung aus kulturell antagonistischen Regionen.

„Es soll keine Schranken mehr geben – für globale Konzerne ebensowenig wie für Armutsmigranten. Da treffen sich die Bedürfnisse von Corporations und Neo-Linken.“

Dieses Gespräch musste wohl zwangsläufig auf das Migrationsthema kommen. Vermute ich richtig, dass es besonders depressionsfördernd auf Konservative wirkt?

OD: Was mich angeht, unbedingt. Es ist die unangefochtene Nummer 1 auf meiner Liste des derzeitigen politischen Wahnsinns – aufgrund der schieren, gesellschaftssprengenden Zahlen. Das im Kern vernünftige Asylrecht des Grundgesetzes wurde ja noch von Merkel de facto durch etwas anderes ersetzt: offene Grenzen; wer bleiben will, bleibt und wird versorgt! Wir erleben eine weiterhin ungebremste und vielleicht sogar noch beschleunigte Massen-Immigration, die Deutschland innerhalb eines Jahrzehnts einen Einwohnerzuwachs von offiziell rund vier Millionen gebracht hat, mehr als die Einwohnerzahl Berlins! Und das trotz des gleichzeitigen massiven Abschmelzens der Alt-Bevölkerung. Die meisten immigrieren paradoxerweise aus Regionen und Kulturen, die der westlichen Lebensart ablehnend bis feindlich gegenüberstehen. Diese Menschen, oft ohne auch nur ansatzweise ausreichende Grundbildung für die Hightech-Gesellschaften des Westens, sind bei restlos überforderten Schulsystemen von Anfang an ohne Chance auf „Teilhabe“ oder gar „Inklusion“, außer in den ebenfalls vom Kollaps bedrohten Sozialsystemen. Ihnen bleiben nur ihre Parallelgesellschaften. Das Rezept für den perfekten Sturm, siehe Frankreich dieser Tage. Da das aber einfach nicht wahr sein darf, haben unsere Narrativmacher sich sofort auf den Konsens geeinigt, die Franzosen hätten es ihren Einwanderern halt nicht schön genug gemacht. Schuld-Umkehr, wie so oft.

Allein über diesen Komplex müssten wir viel ausführlicher sprechen, als das hier möglich ist. Aber Ausgangspunkt war ja, dass du eine Verzweiflung konservativer Blogger und Magazinmacher wahrnimmst, die sich offenbar aus vielen Quellen speist. Ich nehme an, es gibt noch mehr davon.

OD: Richtig, wir haben ja noch gar nicht vom „Klimaschutz“ geredet, von der „Energiewende“ ohne Atomenergie, vom Ukraine-Militarismus als Staatsräson oder der angeblich frei „definierbaren“ Geschlechtlichkeit. Alle vier Konstrukte werden natürlich, wie all die anderen grellroten Elefanten im Raum, von den Transformatoren mit strengen Sprachtabus und Sanktionsandrohungen belegt – für den, der Kritik daran zu üben wagt. In einer angeblich demokratischen und vielfältigen Gesellschaft! Es ist unglaublich, dass sie damit schon größtenteils durchgekommen sind. Und umso weniger will es mir in den Kopf, als ja all die anderen Katastrophenthemen noch obendrauf kommen. Gleichzeitig! Wie soll ein über Jahrhunderte gewachsenes Gemeinwesen eine solche Schockbehandlung aushalten?

Vielleicht können wir uns hier darauf begrenzen, nur die grundlegenden Wirkmechanismen der Behandlung zu nennen, ähnlich wie auf einem Beipackzettel…

OD: … einem Beipackzettel für ein Depressivum, nicht für ein Antidepressivum. Allen Katastrophenthemen gemein ist, dass schon ihre Prämissen nicht offen debattiert werden dürfen, dass „die Wissenschaft“ nur für eine einzige erlaubte Deutung vereinnahmt wird und seriöse, nur eben entgegengesetzte Stimmen einfach stummgeschaltet werden. Erst recht gibt es tonnenweise Einzelbelege für fundierte Zweifel an den so begründeten Maßnahmen, an ihrer Angemessenheit und an ihrer Nützlichkeit. Teilweise reichen schon der gesunde Menschenverstand und das eigene Erfahrungswissen aus. Und doch wird der eingeschlagene radikale, ja extremistische Kurs zum Weg in die Zukunft erklärt und alles aus dem Weg geräumt, was sich entgegenzustellen versucht. Doch es stellt sich kaum noch jemand in den Weg, dem seine Karriere lieb ist, schon gar nicht in deutschen Universitäten oder eben Medien. Stattdessen gibt es einen vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Dummheit, wenn sie nur dreist und drohend genug auftritt – also in ihrer destruktivsten Form.

Was ist für dich das Belastendste an all diesen Entwicklungen?

OD: Es ist das Wissen, dass hier vor unseren Augen die Fundamente unseres Miteinanders irreparabel zerstört werden. Es ist die im Magen brennende Sorge, meine Wette auf eine Zukunft in diesem Land verloren zu haben, als ich Kinder in die Welt setzte. Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass nicht jeder Tag rosig werden würde – aber ein solches Debakel an politisch-gesellschaftlichen Entgleisungen konnte ich nicht vorhersehen. Ich habe meinen gerade erwachsen werdenden Kindern inzwischen in unsentimentaler Abwägung der Situation zum Auswandern geraten, was tragischerweise die größtmögliche Trennung von uns als Eltern einschlösse. Dass ich als Familienvater einmal dazu raten musste, werde ich den politischen Tätern niemals verzeihen. Darüber hinaus ist der intensive Hass der deutschen Linken einschließlich ihrer Politiker auf das Land und das Volk unserer gemeinsamen Herkunft enorm belastend, der in Wahrheit ein intensiver Selbsthass ist. Er treibt diejenigen, die ihn nicht teilen, noch weiter in die Isolierung. Die deutsche Politik war nie so meilenweit entfernt von den Positionen, die ich im Lauf meines Lebens als bewährte Basis des Zusammenlebens erfahren und übernommen habe, wie heute.

Du fühlst dich also bei vielen Themen gleichzeitig auf verlorenem Posten. Wie äußert sich die Isolierung in deinem Fall?

OD: Als ob du das nicht wüsstest!

Für die TWASBO-Leser wäre es sicher gut, wenn du es dennoch in Worte fassen würdest.

OD: Ohne hier auf die persönlichen Ausgrenzungs-Erfahrungen einzugehen, fühle ich mich auf einer allgemeineren Ebene vor allem kulturell zunehmend isoliert: Ich finde keinen Zugang mehr zum Großteil aktueller deutscher und angelsächsischer Bücher, Filme, Fernseh- und Bühnenproduktionen, denn ihr hohler Moralisierungs- und Umerziehungsfuror ist schlichtweg unerträglich. Na gut, da lernt man die Klassiker ganz neu schätzen. Aber selbst Museen werden schon problematisch, und von den früher noch konsumierbaren Medien sprach ich ja bereits. Ich habe mich heute in der Warteschlange vor der Supermarkt-Kasse dabei ertappt, im Presseregal die aktuelle Ausgabe des „Spiegel“ zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen. Es gab mir einen Stich bitterer Genugtuung festzustellen, wie hauchdünn sie war. So, als könne man daraus schließen, dass der Spuk bald ein Ende haben wird, weil kaum noch jemand bereit ist, diese Wirklichkeitsfiktion zu kaufen.

Da kommen wir dann zu den Silberstreifen am Horizont. Müsste für dich der Aufschwung der AfD nicht dazugehören?

OD: Nein, aber er erschreckt mich auch nicht. Ich halte die geradezu kultische Verteufelung der AfD durch das gesamte politische und kulturelle Establishment für die aberwitzigste all seiner Hysterien – ein völlig freidrehendes, sich aufschaukelndes Ritual der gegenseitigen Selbstvergewisserung. Dabei bewegt sich das Programm dieser eher neoliberalen Partei irgendwo zwischen Lambsdorff-FDP und Kohl-CDU, vielleicht ist es aus heutiger Sicht auch ebenso rückständig. In diesen beiden Strömungen hätte während der Bonner Republik aber niemand den Gottseibeiuns erkannt. Das allein zeigt, dass nicht die Opposition nach rechts, sondern der herrschende Mainstream ganz weit in die entgegengesetzte Richtung gerückt ist. Was man der AfD nicht verzeiht, ist ihr Markenkern als Agentin deutscher Interessen – im eigenen Land. Die Einheitsdemokraten werden ihr, ohne dass sie sich wie alle anderen völlig entkernt, keine Machtbeteiligung ermöglichen. Bei entsprechenden Wahlerfolgen wird das gesamte Establishment samt seiner vorgelagerten Torwächter der „Zivilgesellschaft“ sie zu neutralisieren wissen. Und diesen eminent antidemokratischen Akt werden sie „wehrhafte Demokratie“ nennen. Die Rückabwicklung der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen 2019 und die Landratswahl in Sonnenberg mit nachfolgendem „Demokratie-TÜV“ des AfD-Siegers haben die Muster vorgegeben. Das von Faeser angeregte Verbotsverfahren kommt hinzu. Nüchtern zusammengefasst: Ich glaube nicht an die AfD als realpolitisches Korrektiv.

Gegen den Blues des politischen Beobachters könnte es ein probates Mittel sein, sich mit den anderen „depressiven Konservativen“ zusammenzuschließen.

OD (lacht sarkastisch): Das scheint naheliegend, stimmt, als Selbsthilfegruppe. Nur sind wir eben Konservative, bürgerliche Intellektuelle, da gibt es eine Art genetische Sperre gegen Rudelbildung. Und viel gegenseitiges Misstrauen, besonders, wenn wir unter seelischem oder materiellen Existenzdruck stehen. Wir sind ja keine Linksextremisten, die im Rudel aufblühen und jede Beißhemmung verlieren. Sie schlagen vereint, wir sehen uns höchstens als Einzelkämpfer. Und wir glauben an Regeln, was uns Grenzen setzt, die für sie nicht existieren. Sie kennen eine verführerische „Solidarität“, wir meist nur Selbst-Hilfe aus eigener Kraft. Sie empfinden keine Scham, wir umso mehr. Wir werden, im Unterschied zu ihnen, von Selbstzweifeln geplagt – dabei hätten die Anhänger einer irren, fundamentalistischen Glaubenslehre Selbstzweifel tausendmal nötiger als wir. Und das isoliert uns zusätzlich, auch voneinander. Meine Ausbruchs- und Durchbruchsversuche diesbezüglich waren bisher von wenig Erfolg gekrönt.

„Es gab mir einen Stich bitterer Genugtuung festzustellen, wie hauchdünn die aktuelle Ausgabe des ‚Spiegel‘ zwischen Daumen und Zeigefinger war.“

Besteht unter diesen Umständen nicht auch die Gefahr, durch die Maschen des gesellschaftlichen Diskurses zu fallen, also in der Isolation nicht länger relevant zu sein – und nur noch Selbstgespräche zu führen?

OD: Ja … doch, die Gefahr besteht in meiner Welt offensichtlich ganz real. Dieses Blogmagazin hier zum Beispiel ist jetzt bei einem Viertel der Klicks, die es noch zu Corona-Zeiten hatte. Damals herrschte wegen des im Nachkriegsdeutschland historisch hohen Drucks auf „uns“ ein einziges Mal so eine Illusion des Zusammenhalts und der Gruppenidentität, in der sich sonst nur Linke sonnen dürfen. Ob sich diese Schimäre aufgelöst hat, weil der unmittelbare Druck der Maßnahmen weg war? Oder weil jetzt Sommer ist und die Biergärten locken? Oder wegen redaktioneller Fehler und Schwächen? Oder weil mit technischen Maßnahmen der Reichweitenkontrolle nachgeholfen wurde? Fakt ist: Bald schon könnte ich mich hier allein wiederfinden. Als meine eigene Blase.

Na ja, ein vertrauter Leser bleibt dir dann in jedem Fall noch …

OD: Ja, ein allzu vertrauter. Aber ich genieße unseren Monolog hier natürlich wirklich.

Dialog, wolltest du sagen.

OD: Hätte ich sagen wollen, aber ob man ein Interview mit seinem Alter Ego einen Dialog nennen kann …

Mit Verlaub, es wirkt schon recht traurig, als Journalist zu diesem Mittel greifen zu müssen.

OD: Es sollte hier um Isolation und Depression gehen. Niemand hat behauptet, dass ich in Partylaune bin.

Oliver, ich danke mir trotzdem für das Gespräch!

*) Dieses Interview erschien ursprünglich nicht in Die Welt, Süddeutsche Zeitung, FAZ, taz.


TWASBO liebt Debatten. Zum Posten Ihrer Meinung und Ihrer Ergänzungen steht Ihnen das Kommentarfeld unter diesem Text offen. Ihr themenbezogener Beitrag wird freigeschaltet, ob pro oder contra, solange er nicht gegen Gesetze oder akzeptable Umgangsformen verstößt. Vielen Dank.