Die deutsche Einheit in schweren Zeiten zu Gast in Hamburg: 33 (!) Jahre nach dem Urknall bereitet die AfD die Machtübernahme vor, das Land tanzt den Mussolini – doch nicht einmal vom Schietwetter lässt sich eine Hansestadt die liberale Feierlaune verderben. Bildreportage vom tollen Tag der Teutschen in Tschentscher-Town.

Schon im Vorfeld tickerten die Qualitätsjournalisten und Schlagzeilenschamanen von T-Online Meldungen, wonach zum zentralen deutschen Einheitstag 2023 in Hamburg mehr als nur einige, nämlich wörtlich „etliche“, mithin mindestens 30 bis 50 Besucher erwartet wurden. Selbst das war zu pessimistisch: Die Zahl wurde am Ende sogar noch übertroffen. Die unbeachteten Straßen jenseits der Fernsehkameras waren unterdessen leergefegt.

Für ungewohnte Leere in der Migrationsmetropole sorgten auch etliche Polizisten, die alle Sperrgebiete weiträumig mit Flatterband abriegelten. Trotz des stark auffrischenden Südwestwinds gelang es den Beamten, die Absperrfolie gleichmäßig abzurollen und sicher zu befestigen. Dennoch waren die flatternden Nerven an den Nahtstellen der Hochsicherheitszonen mit Händen zu greifen. Eine vibrierende Spannung lag über der ganzen Stadt.

Schließlich aber das erste Highlight: Nach einer kleinen Krönungsmesse im Michel führte der Weg des Bundeskanzlers und seiner wichtigsten Verbündeten geradewegs in die vom Einheits-Flaggenschmuck umkränzte Elbphilharmonie, um einer HipHop-Teufelsaustreibung unter Kent Nagano beizuwohnen. Überraschend reagierte der Kanzler jedoch selbst im Hochgefühl des Musikgenusses nicht auf in den Wind gerufene TWASBO-Fragen nach den neuesten Entwicklungen im größten deutschen Steuerbetrug aller Zeiten. Kein Kommentar auch zu den als „geheim“ eingestuften Ergebnissen der regierungsinternen Untersuchung, welche Weltmacht dem wiedervereinigten Deutschland wohl die Gasversorgung weggesprengt haben könnte.

Entlang der Route, die der Tross aus lebenswichtigen Verfassungsorganen, übrigen Regierungseingeweiden sowie akkreditierter journalistischer Darmflora durch die ebenso verzauberte wie ausgestorbene HafenCity nahm, belebten immer wieder bunte Vielfaltsfahnen das Straßenbild. Sie ergänzten fröhlich das blaue Blitzen der Lichter auf den Autodächern.

Der für die Hansestadt typische Lichterglanz („Hamburg leuchtet“) wurde funktional zweigeteilt: Um das Rathaus für die ortsfremden Besucher leicht erkennbar von der kriminellen und übel beleumundeten Rotlicht-Meile der Reeperbahn abzuheben, richteten die Organisatoren am Regierungsgebäude eine Blaulicht-Meile ein. Hier durften Führer ihre Fahrzeuge mit Sonderrechten präsentieren, Bürger das Tuch diverser Uniformen befühlen und alle Beteiligten gegenseitige Vorurteile abbauen.

Die Streitkräfte stellten auf der Blaulicht-Meile neue Tarnmustertrends für den kommenden Kriegssommer ’24 vor. Zugleich warb die Bundeswehr für Toleranz und Meinungsfreiheit, wobei man vor Selbstironie nicht zurückschreckte.

Neue Wege der Selbstvermarktung ging auch das oft zu Unrecht übersehene Rheinland-Pfalz auf der „Straße der Bundesländer“: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte es sich nicht nehmen lassen, das nur knapp 20.000 Quadratkilometer umfassende Flächenland in die „wahrscheinlich“ größte Weinkiste der Welt zu transformieren. Beim kleinen Mann auf der Straße stieß die Initiative auf breite bis hackebreite Zustimmung.

Allerdings – einziger Wermutstropfen des Tages – entweihte das zunehmend alkoholisierte Rheinland-Pfalz das Staatsziel des Klimaschutzes, indem es den grünen Klima-Gebetsteppich in der Baerbockschen Dorfstraße („Wir alle für 1,5 Grad C“) respektlos zur begehbaren Weinkarte umwidmete. Fadenscheinige Rechtfertigung: Die kreisförmig gestaltete Preisliste („Aperol Spritz 6 €“) habe perfekt in die Rundung des Buchstabens C für „Celsius“ gepasst. Diese hochprozentige Klima-Delegitimierung muss ein Nachspiel haben!

Dennoch zogen die Verantwortlichen am Abend eine versöhnliche Bilanz des Hamburger Festtages der Demokratie: Für Fressen und Saufen war trotz kleinkarierten Krisengeschreis verlässlich gesorgt. So konnte das vom Weltgeschehen geschundene Volk einmal mehr unter einem identitätsstiftenden Banner zusammenfinden.

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Nachtrag, 4.10.:
Die knallharten Fragen an den Kanzler („Wie fühlen Sie sich heute?“) durften dann anstelle von TWASBO 150 handgefilterte und hintergrundgecheckte Leser des Hamburger Abendblatts stellen. Im Gegenzug feierte die Zeitung das volkstümliche Beisammensein mit einem selbst für Hamburger Qualitätspresseverhältnisse neuen Niveau von Untertänigkeitsberichterstattung. Mehrmals wurde Scholz dabei wörtlich „Lockerheit“ bescheinigt; er sei sogar „ohne Krawatte“ auf die Bürger zugegangen, geradezu „auf Augenhöhe“.