Ja, schon gut, die Überschrift ist „fake news“. Das macht die gar nicht, die New York Times. Aber lassen Sie mich etwas ausholen. Hier sehen Sie zunächst eine Hamburg-Geschichte aus der Times von gestern (nicht fake, sondern real news):

Darin wird detailliert beschrieben, wie in Billstedt im armen Hamburger Osten eine öffentliche Kantine zum sozialen Biotop für Ältere geworden ist, aber im Juni geschlossen werden soll – gerade wegen der vielen Rentner, die hierher kommen. Denn die produzieren nicht genügend Umsatz, um die aufwändige Renovierung zu finanzieren.

Der ausführliche Artikel analysiert, wie das soziale Umfeld in Billstedt so aussieht, vor allem auch im Unterschied zu den reichen Vierteln der Stadt. Es werden „einfache Leute“ gefragt, was ihnen dieser Ort bedeutet und was es heißen würde, wenn sie ihn nicht mehr hätten. Das Problem wird von allen Seiten fair und ausführlich beleuchtet, nicht zuletzt gibt es stimmungsvolle und aussagekräftige Bilder dazu. Und am Ende hat man das Gefühl, einiges darüber gelernt zu haben, wie die eigene Stadt so tickt. Mit anderen Worten: Eine einzelne Korrespondentin macht ihren Job.

Eben echten Hamburger Lokaljournalismus. Qualitätsjournalismus, wie wir Medienmenschen so gerne sagen.

Die New York Times sitzt etwa 5000 Kilometer von Hamburg entfernt. Das Abendblatt sitzt mitten in Hamburg. Aber kümmert sich das Hamburger Abendblatt um solche Geschichten? Does it fuck!  Pustekuchen! Die Geschichte spielt doch in Billstedt. Sozialer Brennpunkt. Nicht unsere Zielgruppe. Unsere Abonnenten in Winterhude und Othmarschen haben ganz andere Sorgen. Und erst recht unsere Werbetreibenden. Die wollen solche Bilder gar nicht, das zieht doch das ganze Werbeumfeld runter!

Elphi olé, Queen Mary ahoi!

Nein, in der schönsten Stadt der Welt drucken wir lieber „Rankings“, die zeigen, dass Hamburg als schönste Stadt der Welt jetzt schon wieder zwei Plätze geklettert ist im internationalen Vergleich der schönsten Städte der Welt. Und dass die Elbphilharmonie wirklich ein sehr gelungenes Gebäude geworden ist. Übrigens, bald kommt auch die „Queen Mary“ wieder in die Stadt gefahren, tut-tuuut, ein ganz wunderbares Kreuzfahrtschiff, das auch viel Geld in unsere schönste Stadt der Welt bringt, und an Bord sind dann auch ganz viele Tagestouristen aus aller Welt, die sich die Elbphilharmonie ansehen und Hamburg die schönste Stadt der Welt finden.

Stadtteilredakteure? Wir brauchen doch keine Stadtteilredakteure in der Hochleistungswelt des Hamburger Qualitätsjournalismus! Die haben wir längst alle wegrationalisiert. Aber unsere Praktikanten, die den Lokalteil jetzt machen, die schicken wir gerne auf das Aussichtsdeck der Elbphilharmonie, um sie eine Reportage über die wunderbare Aussicht schreiben zu lassen, die man von dort über Hamburg und seinen wirklich sehr gediegenen Hafen hat. Während im Westen die Sonne untergeht und die nächste Ausgabe der New York Times gedruckt wird, aus der man hoffentlich etwas Substanzielles über große Teile unserer Stadt erfährt.

Weltpresse überholt Lokalmatador

Aber dann, heute, vor drei Stunden, bringt die Online-Ausgabe des Hamburger Abendblattes das hier: „Warum eine Billstedter Kantine die Weltpresse beschäftigt.“ Danke, Funke Mediengruppe, für diesen packenden Hintergrundbericht! In dem die New York Times gleich die „Weltpresse“ verkörpern muss. Zu der dein Hamburger Abendblatt ganz offensichtlich nicht gehört, denn sonst hätte es diese Story ja wohl mal als erste ausgegraben und dabei, wer weiß, vielleicht noch Le Monde überholt. Aber jetzt, in Panik, schnell einen raushauen. Und dabei Sätze wie diese produzieren:

Nun guckt die Welt – naja, zumindest New York – sogar auf die Kantine des früheren Ortsamts in Billstedt. Worüber bislang nur regional berichtet wurde, war der New York Times einen langen Artikel wert.

Ja klar, „nur regional berichtet wurde“. Wo denn? Nicht im Abendblatt jedenfalls, bis auf irgendeine versteckte Mini-Meldung möglicherweise. Und hübsch ist übrigens auch das verräterische Wörtchen „sogar“. Ja, wer hätte damit rechnen können, dass ausländische Journalisten von richtigen Zeitungen „sogar“ in die auf Stadtplänen nicht ausgewiesene Zone im Osten gehen zum Recherchieren. Da ist jetzt aber ein Aufruhr in der zentral zentralisierten Zentralredaktion!

Oh Gott, ich wollte, es wäre wahr und die New York Times eröffnete eine Hamburg-Ausgabe. Und machte unserem komatösen, einäugigen, kaputtgesparten Zeitungs-Platzhirsch mal richtig Dampf unter dem Hintern. In der schönsten Stadt der Welt.