Es gibt Vereinshymnen, es gibt Nationalhymnen – und es gibt eine Naturgewalt neueren Typs: Firmenhymnen. Lieder, die den Glanz von Marken, Unternehmen und Belegschaften besingen. Lieder, die Mut machen, bevor der Außendienstler wieder den Musterkoffer zur Hand nimmt und den Schlüssel für den Audi ergreift. Lieder, die Kräfte freisetzen, wo vorher Verzagtheit war.
Wer zum Beispiel gerade einen neuen CEO, eine neue Strategie, neue Abteilungsleiter, neue Reisekostenabrechnungsrichtlinien und noch härtere Restrukturierungsmaßnahmen vor den Latz geknallt bekommen hat, dessen Wunden heilt die Musik. Firmenhymnen schaffen frischen Teamgeist, motivieren, schweißen zusammen, machen unschlagbar und verschaffen ein marktkonformes Lebensgefühl. So zumindest die Theorie.
In einigen Fällen entwickeln sie sich aber sogar zum Kult, wie die berühmte Firmenhymne von AirBerlin: „Die Nase im Wind, den Kunden im Sinn, und ein Lächeln stets mit drin.“ Sehen Sie selbst – und achten Sie auf die Extase der anwesenden Mitarbeiter:
Natürlich wurde „Im Blut Kerosin“ zunächst verspottet, war vermeintlich ein weiches Ziel für Schadenfreude – und wurde dann ein triumphaler, viraler Underground-Erfolg bei YouTube und anderswo. Und warum? Weil man sich als Geistes- und Kopfmensch erst einmal sehr, sehr gehen lassen muss, um in den Bewusstseitszustand zu geraten, den diese Lieder anstreben, aber dann. Aber dann. LSD oder, wie das AirBerlin-Video nahelegt, Koks ist nichts dagegen.
Die pychedelische Wirkung dieses Liedguts verströmt auch dieses Promo-Video eines Komponisten und Produzenten von Firmenhymnen. Eine der schönsten Kostproben von Hymnen auf dieser Website ist der Song für ein Unternehmen, das man vorher gar nicht mit der rockigen Textzeile „let’s break free“ in Zusammenhang gebracht hätte. Aber es geht: „Let’s break free with Südkemie“. Das ist keine der Leukämie verwandte Krankheit, sondern ein Chemieunternehmen mit bayerischem K statt des norddeutschen CH.
Auch Lehnwörter aus anderen Sprachen, etwa dem Französischen, lassen sich in diesem dem Deutschen ähnelndem Idiom problemlos erden sowie reimen, was der bodenständigen Kreissparkasse München Starnberg einen charmanten Refrain verleiht: „Der Erfolg ist oft so nah – mit Ideen und Angaschmah“ (geschrieben: Engagement). Und der Endreim wird sowieso grob überschätzt, wie im Fall der AHA! Einrichtungen GmbH aus Gersthofen: „Wenn Sie mal ’ne Einrichtung planen (A-HA!), sollten Sie AHA vorher fragen.“
Nicht zuletzt erbringen Firmenhymnen den Beweis, dass sich selbst die in unseren Zeiten vermeintlich absolut Unbesingbaren besingen lassen: Banken und Versicherungen. Das heißt, nicht Eingeweihten erschließt es sich vermutlich zunächst gar nicht, dass es im folgenden Song um einen Lebensversicherer geht. Es ist aber ja auch eine Hymne auf den Teamgeist der Belegschaft, also ein reines Insider-Ding: „LV 1871 heißt Know-how mit Tradition, Wachstum und Erfolg ist unsere Zukunftsvision“. LV 1871, das ist die Lebensversicherung von 1871 a.G. aus München. So etwas muss man erst mal schmissig intoniert bekommen.
Eine Hymne auf die HypoVereinsbank vertont interessanterweise die Frage, die viele von uns bei der Lektüre des Wirtschaftsteils inzwischen wahrscheinlich auch gerne beantwortet bekämen: „Are you ready for adventure, are you ready for something strange?“ Die Belegschaft, die das Wort für Wort mitgrölen kann, ist es jedenfalls.
Im Abspann seines Eigenwerbung-Videos auf der Homepage macht der Firmenhymnenkomponist ein schwer abzulehnendes Angebot: „Wir kommen auch zu Ihnen.“ Ich persönlich wäre auf der Ergebnis eines Hausbesuchs bei Heckler & Koch gespannt.
Zwei Jahre sind vergangen, doch es wird munter weiter gesungen…
http://www.openmindfestival.at/?p=451
Firmenhymnen! Eine unterschätzte Musiksparte. Danke für diese Quelle! Als Gegengift empfehle ich den CON-Dental-Song (»unser Job, das sind die Lücken / um sie mit Zähnen zu bestücken«), der allerdings woanders herzukommen scheint.