Ginge es nach den Hamburg-Touristen, bräuchte man eigentlich die Elbfähren gar nicht. Denn Hamburg endet für 90 Prozent aller Besucher am Nordufer des Stroms, bei den Landungsbrücken, am St.Pauli-Fischmarkt oder in Blankenese. Diese innere Landkarte teilen sie übrigens mit vielen „echten“ Hamburgern, wenn sie von ihrer „schönsten Stadt der Welt“ schwärmen: Drüben, auf der anderen Seite der Elbe, muss auch irgendwas sein, aber das sieht bedrückend nach Arbeit oder „einfachen Verhältnissen“ aus. Man erinnert sich an ruckelnde Schwarzweißfilme der 1920er Jahre, Menschen mit Schiebermützen schufteten damals auf Werften und Docks.
Immer noch sind dort drüben, auf Europas größter Flussinsel mitten in der Elbe, Hafenanlagen. Aber was da geschieht, weiß man nicht so recht und will es auch gar nicht wissen. Irgendwas mit Containern. (Natürlich sind die Elbfähren trotzdem eine Attraktion und an Wochenenden überfüllt – aber sie schaukeln die Touris im Wesentlichen nur an drei oder vier Haltepunkten des malerischen Nordufers entlang. Von wo sie aus sicherer Entfernung den Blick auf Kräne und Containerterminals genießen. Es ist aber eigentlich gar nicht Sinn und Zweck einer Fähre, auf der einen Seite zu bleiben.)
Manche müssen rüber
Allerdings gibt es Menschen, die mit den Fähren sogar täglich übersetzen. Zwecks Broterwerb, zum Airbuswerk beispielsweise, denn Luftfahrtindustrie ist ja auch noch in Hamburg. Und neuerdings gibt es aufgrund eines heiß umstrittenen Behördenbeschlusses sogar Hunderte, die als Verwaltungskräfte auf die Wilhelmsburger Elbinsel müssen. Denn dort wurde der Political Correctness wegen der Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt platziert. Man will ja Wilhelmsburg endlich salonfähig machen.
War das ein Trara, als man auf diese Weise stolze Hamburger des Nordens zwang, sich wochentäglich zu den Schmuddelkindern auf die Insel bemühen zu müssen, wo es Migranten gibt und „soziale Brennpunkte“ und Hafenarbeiter, die eine Aura von Schweröl verströmen! Es kam dann so wie mit dem Rauchverbot: Irgendwann wurde es hingenommen, zähneknirschend.
Nur mit der Fähre können sie nicht dorthin. Zwar fährt die Linie 73 ab Landungsbrücken bis zur Ernst-August-Schleuse, womit man schon den Boden der doch recht weitläufigen Terra Incognita erreicht. Dort aber ist Schluss, Ende, Aus. Bis in die Wilhelsburger City müsste man sich jetzt mit einem selten verkehrenden Bus quälen – unzumutbar, natürlich.
Jetzt aber gab es für kurze Zeit etwas Neues. Studenten des „Urban Design“ haben im Rahmen eines Uni-Projekts eine Anschlussverbindung auf Wasserwegen hergestellt, von besagter Schleuse bis ins Herz Wilhelmsburgs, zum Bürgerhaus. Gar nicht weit weg von S-Bahn und BSU-Neubau. Dazu geht es insgesamt etwa drei Kilometer weit über den Ernst-August-Kanal und dann, scharfe Linkskehre, den Assmannkanal. Das dauert etwa 15 Minuten und man staunt, denn selbst mit dem Fahrrad wäre man nicht sehr viel schneller da.
Pionierin mit 91 Jahren
Eigentlich sollte es diese Verbindung inzwischen sogar als feste Größe im Netz des HVV geben, so war es zumindest anlässlich von Internationaler Bauausstellung und Gartenschau geplant gewesen. Doch aus Angst vor Unterauslastung forderten die Fährbetreiber städtische Garantien, die Stadt weigerte sich, und folgerichtig geschah nichts – bis sich jetzt die Studenten ans Forschen machten: Könnte es gehen? Würde es sich lohnen?
Eine Woche lang konnten sie dank großzügigem Sponsoring ein sehr charmantes Bötchen samt Kapitän für ihren Pendeldienst nutzen: die 1922 erbaute Barkasse „Togo“. Sie war tatsächlich schon mal in den afrikanischen Staat verschlagen worden, aber auf verschlungenen Wegen zurückgekehrt und ist dank der Arbeit eines gemeinnützigen Vereins erhalten geblieben. Ich bin einmal mitgetuckert mit der „Togo“, einige bewegte Impressionen können Sie am Schluss dieses Beitrags sehen und hören. Spaß hat’s gemacht, diese Wasserwelten auf der Elbinsel zu entdecken und ganz neue Perspektiven von Hamburg geboten zu bekommen.
Und? Würde es funktionieren? An guten Tagen zählten die Studenten 50 bis 100 Fahrgäste, immerhin. Und das, obwohl kaum jemand von den Verbindungen wusste. Allerdings waren die Fahrten kostenlos. Wie es bei einer Fahrpreispflicht aussähe, bleibt offen. Ich jedenfalls würde gern wieder an Bord gehen. Allein das Gudda-gudda-gudda-gudda des 70-PS-Dreizylinder-Schiffsdiesels ist es wert.