Man sucht eine Jacke. Eine für den Frühling, der jetzt hoffentlich kommt, weil man das olle dicke Winterzeug endgültig nicht mehr ertragen kann. Man durchstreift erst fasziniert die büronahe Hamburger Karolinenstraße, obwohl man da zielgruppenmäßig als fast 45-jähriger Familienvater mit Bauchansatz echt nichts mehr zu suchen hat (aber eine wirklich tolle Jacke beinahe, beinahe gekauft hätte, wenn sie denn nur …).

Dann folgt man der vermeintlichen Stimme der Vernunft und ergibt sich dem Mainstream: Karstadt an der Mö, dann Wormland in der noch sterileren Europa-Passage. Bei Karstadt dominiert Rentner-Beige. Bei Wormland wummert ein Mainstream-Elektroverschnitt aus den Boxen, der einen aber nicht in die gewünschte Konsum-Trance versetzt, sondern in Richtung Ausgang treibt, nachdem man außerdem die Preisschilder von Boss-Lederjacken zur Kenntnis genommen hat und die Einheitsjugendlichen mit Mainstreamtechnowummerjeans, in denen das Gemächt in Kniehöhe und der Hintern in den zugehörigen Kehlen zu baumeln scheint.

Und dann, schon fast verzweifelt, folgt man der Empfehlung eines Herrn Buddenbohm. Und geht zu Policke. Hinterm Bahnhof. Gegründet 1931. Anzüge, Hosen, Jacken. Insgesamt schlappe 30.000 Teile. Nur für Herren, also wirklich: Herren, nicht Jüngelchen. Ein Universum für sich.

Da wird man im Parterre von einem von drei Dutzend zur Auswahl stehenden Verkaufshanseaten mit oder ohne Bauchansatz forsch mit „Moin“ statt dem grenzdebilen Standard-„Hallo“ empfangen. Keine Musik. Keine. Null. Das hält schon mal alle Menschen unter 25 zuverlässig aus dem Laden, fein. Dann erklimmt man zunehmend atemlos das aberwitzig steile, graue Sechziger-Jahre-Linoleum-Treppenhaus. Ganz nach oben sind es 176 Stufen, aber die Jacken gibt es im 2. Stock.

In Gängen, die an die Universitätsbücherei von Marburg 1967 erinnern, vor Ausbruch der Studentenunruhen, nur eben ohne Bücher, erschlägt einen der Anblick der endlosen, bis zur Altbaudecke reichenden Reihen von Kleiderbügeln. Jackets, Anzügen, Hosen – vorzugsweise in Hanseatendunkelblau, wie es zunächst scheint. Aber Policke kann auch anders. Oh ja, sie haben auch Rot im Programm und wahrscheinlich, wenn einer der Verkaufshanseaten einen in den drittletzten Winkel von hinten links führen würde, auch Gold oder wenigstens Mauve mit großen Karos.

Aber wir sind ja vernünftig. Also … ähm … irgendwas mit braun.

Da hat der Verkaufshanseatenkollege aus dem zweiten Stock, der einen mit genau mit der richtigen Mischung aus Kennerschaft, Fürsorge, Dezenz und Mutterwitz unter seine Fittiche genommen hat, aber immer noch gefühlte 218 verschiedene Modelle in der genau passenden Größe zur Auswahl. Wobei er manchmal auf diese abenteuerliche Roll-Leiter steigt, um von der Kleiderstangenreihe acht oder zehn direkt unter der Decke eine Jacke herunter zu fischen.

Und dabei schiebt er mal hier, mal da, einen Hanseatenschnack ein („Nehmen Sie doch einfach beide, wir haben große Tüten!“), korrigiert Ärmellängen, kommentiert Verarbeitungsdetails, benutzt Hamburger Dialektwendungen, die man nie gehört hat und die einem dennoch allein durch ihren Klang davon in Kenntnis setzen, dass diese eine Jacke doch nicht so 100-prozentig passt, und unweigerlich gerät man nun, da alles schon so weit gediehen ist, in selige Kaufbereitschaft – und kauft die andere, die von vorhin („Das ist doch’n Wort!“).

Und die ist ja auch gar nicht mal zu teuer, und dann gibt es einen Händedruck, und dabei springt ein elektrostatischer Funke über, und er kommentiert das mit „Sie sind geladen – ich hoffe, das liegt nicht an meinem Verkaufsgespräch“. Und man verneint aus tiefstem Herzen und hat eine neue Jacke.

Und der Frühling ist da.