Das Hamburger Abendblatt, die einzige “Qualitäts”-Tageszeitung für die zweitgrößte Stadt Deutschlands, ist jetzt 70 Jahre alt. Auf endlosen Seiten feiert sich das Blatt in seiner Wochenendausgabe dementsprechend erst mal selbst, bevor die eigentliche Zeitung losgeht. Dabei gibt es – jenseits von Nostalgie – nichts zu feiern. Und es bedarf schon viel Phantasie sich vorzustellen, dass im Jahr 2028 der 80. Geburtstag noch erreicht wird.

Man könnte tausend Gründe nennen, warum das Abendblatt den Niedergang der deutschen Mainstream- und insbesondere der tagesaktuellen Newsmedien auf den Punkt bringt wie kaum eine andere Zeitung.

Man könnte über die Kaputtspar-Mentalität schreiben, die in den späten Neunzigerjahren schon in den Ursprungsverlag Axel Springer Einzug hielt (der es heute allerdings schafft, seine “Welt” wieder ziemlich flottzumachen). Über die Praktikantisierung und Prekarisierung aller originär journalistischen Aufgaben. Über den immergleichen, bräsigen Stiefel, den das Abendblatt seit Jahrzehnten daherschreibt über die immergleichen Themen, die immer weniger Abonnenten ausschließlich in den wohlhabenden Hamburger Stadtteilen interessieren. Über das Buckeln vor der Macht in Senat, Werbewirtschaft und Hafen. Über die Denk- und Schreibverbote, die bleischwer und unausgesprochen auf der Redaktion lasten.

Man könnte über den 2014 vollzogenen Verkauf an die Funke-Mediengruppe (ehemals WAZ-Gruppe) sprechen, wodurch dem zombiehaften Nachrichtenmedium indes nicht ein Funke neuen Lebens eingehaucht wurde. Sondern im Gegenteil: Das Blatt dümpelte strategielos weiter dahin – bis auf die Strategie, insgeheim noch mehr am Journalismus zu sparen (was eigentlich gar nicht mehr möglich war). Während sich Geschäftsführer und Executives in Essen die Taschen füllten und bis heute füllen.

Man könnte über die Abendblatt-App schreiben, die immer noch wirkt wie ein Produkt von 1998, oder über die 2018 geplante “Online-Offensive”, die nur eines ans Licht bringen wird: dass man bei Funke keinen Schimmer hat, wie “Online” im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert aussieht (keinesfalls so wie die furchtbare WAZ-Homepage). Oder wie man es erfolgreich “monetarisieren” könnte. Nämlich in Form, Vielfalt und Funkion mindestens ein wenig angelehnt an Zeitungen wie den britischen Guardian oder die New York Times.

Apropos Times: Dort, 5000 Kilometer weit weg, berichtet man informativer über den Hamburger Osten als im Zentrum des hansestädtischen Qualtitätsmedienbetriebs. Der Schritt über die Alster scheint vom Hudson aus nicht ganz so mühsam zu sein.

Aber all das ist oft genug beschrieben worden, teilweise mit bitterem Galgenhumor, nicht zuletzt in diesem Blog.

Daher zum runden Geburtstag des Frühvergreisten stattdessen an dieser Stelle nur noch ein kurzer Blick auf das, was laut Hamburger Abendblatt von heute außer dem Hamburger Abendblatt sonst noch in aller Welt stattgefunden hat. Auf Seite 48 nämlich, unter “Aus aller Welt”, berichtet die Printausgabe der Zeitung an diesem 13. Oktober 2018 über ein Feuer im ICE auf der Strecke Köln-Frankfurt (die verläuft bekanntlich in aller Welt). Ein vierspaltiger Artikel mit zwei Bildern und einer Grafik.

Und nicht ein Wort über die Brandursache. Nicht nur, dass man sie nicht nennt (das wäre verständlich, weil sie noch nicht endgültig feststand). Nein, man wirft nicht einmal die Frage nach der Ursache auf. Was die Leser dieses Beitrags selbstverständlich tun, noch bevor sie ein Wort gelesen haben. Ein ICE ist ausgebrannt, hey, das kann passieren, aber alle sind wohlauf. Die Journalisten stellen die Warum-Frage im Artikel einfach nicht, das kommt ihnen nicht in den Sinn.

Qualitätsjournalismus Ende 2018: Sie sagen höchstens noch, was ist (respektive im Politikteil, was sein sollte). Warum es ist, wie es ist, wollen sie nicht mehr wissen. Sie recherchieren und analysieren nichts mehr bezüglich irgendwelcher Ursachen. Aber die Gefühle, die das, was ist, bei den davon Betroffenen auslöst, die werden immerhin ausgiebig abgefragt und niedergeschrieben. Denn Gefühle, hat der Praktikant gelernt, erzählen die Geschichte so schön “am Menschen entlang”.

Solch ein Hilfsschuljournalismus genügt Ihnen nicht? Dann schreiben Sie dem Abendblatt doch einen Leserbrief! So mit Briefmarke vorn drauf und ab zum Postamt. Vielleicht wird er dann sogar in einer der nächsten Print-Ausgaben veröffentlicht.

Denn mal eben online kommentieren können Sie beim Abendblatt leider nichts. Keinen Bericht, keine Glosse, keinen Leitartikel. Das würde alle viel zu nervös machen. Es würde die Welterklärer-Weisheit der Redakteure auf den Prüfstand des common sense stellen. Am Ende würden gar Debatten entstehen. Und Ihre unbotmäßige Meinung müsste man dann immer kostenaufwändig durch 450-Euro-Kräfte wegmoderieren lassen. Die letzte bürgerliche Großzeitung der zweitgrößten Stadt Deutschlands bittet daher um Verständnis. Und möchte jetzt nicht mehr beim Feiern gestört werden.