Doğan Akhanlı ist ein türkisch-deutscher Schriftsteller. Ich lernte ihn Mitte der Neunziger kennen, als wir beide in Köln lebten und dieselbe Busreise nach Irland gebucht hatten. Er kauerte – die Sitze in dem Bus des alternativen Reiseunternehmens waren zugunsten von Matratzen ausgebaut worden – selbst während der Fahrt an seinem Laptop und schrieb an seiner ersten Romantrilogie “Die verschwundenen Meere”, die ihn wenige Jahre später in der Türkei mit einem Schlag berühmt und berüchtigt machen sollte. Denn in deren dritten Teil geht es um den Vorwurf des Völkermords der Türken an den Armeniern 1915-17, bis heute nahezu ein Tabu in der Türkei.
Doğan war der erste, der dieses Tabu als Schriftsteller brach – weil er die Wahrheit suchte, und weil er selbst schwerstes Unrecht erlitten hatte: Von der Militärjunta in seinem Heimatland nach dem Putsch 1980 waren er und seine Frau – vor den Augen seines kleinen Sohnes! – gefoltert worden, weil er zum “revolutionären” kommunistischen Untergrund gehörte. Später gelang ihm und seiner Familie die Flucht ins Exil nach Köln. Er hatte sich längst von der “revolutionären kommunistischen Partei” und ihrem rigiden Totalitarismus losgesagt.
Nun ist Doğan Akhanlı nach 19 Jahren noch einmal in die Türkei gereist, um seinen todkranken Vater ein letztes Mal zu besuchen. Er wusste um das Risiko, dass das türkische Militär und die ihm ergebene Justiz trotz der Demokratisierung und Öffnung seines Landes nach Westen noch eine Rechnung mit ihm offen hatten. Er ging das Risiko ein. Noch bei der Einreise wurde er verhaftet, weil er 1989 an einem Raubüberfall auf eine Wechselstube teilgenommen haben soll. Nur, dass die Zeugenaussagen damals ebenfalls unter Folter erpresst wurden, damit man dem politisch Unbequemen auch ein richtiges Verbrechen vorwerfen konnte. Das war Usus damals in der Türkei.
Der Doğan Akhanlı, den ich kennengelernt habe, ist kein Verbrecher. Er ist ein vom Leben und vom Kampf um Wahrhaftigkeit gezeichneter, leiser, eindringlich argumentierender Mann, der im berüchtigten Kölner Nazi-Gefängnis ElDe-Haus Führungen in türkischer Sprache veranstaltete. Er wies dabei seine Landsleute auf die gemeinsamen Wurzeln alles Totalitären hin – oft hörten sie diese Zusammenhänge aus seinem Mund zum ersten Mal und waren schockiert, aber auch inspiriert. Doğan Akhanlı ist eine personifizierte Immun-Kur gegen Extremismus jeder Art. In Gefängnismauern desselben Staates, der ihn einst folterte, ist er eine Anklage gegen die Weigerung mancher in der Türkei, das 21. Jahrhundert zu betreten.
Prüfen wir, bevor wir den nächsten Türkei-Urlaub buchen, ob Doğan Akhanlı freigelassen worden ist!