Die Erkenntnis überfällt mich im Kärntener Urlaub, im malerischen Berggarten der Ferienwohnung mit Blick auf die Karawanken-Kette. Die Einsicht, dass die freie Sicht auf bewaldete Hänge und einen in der Ferne quecksilberfarben schimmernden See nurmehr die Illusion von unbegrenzten Möglichkeiten des Fortgehens und Verweilens ist. Komme ich ihnen näher, diesen Idyllen, dann stehen dort, wo es hingehenswert ist, Verbotsschilder und Zäune. Dann wehrt sich die Phalanx des Privaten gegen mein Eindringen, erst mit Warnungen, dann mit Alarmen, schließlich mit abgestuft weiter eskalierenden Zwangsmitteln. So ist es überall geworden, nicht nur am Fuß der Kärntener Berge.

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Du willst hier Zeit verbringen, Fremder, willst einige Augenblicke  genießen? Aber sicher, wir sind gastfreundlich! Zur Kasse geht es dort entlang. Wir akzeptieren Visa, Mastercard und Diners Club. Wahlweise ist der Eintritt kostennlos, doch der Konsumzwang vor Ort durchformatiert und auf Effizienz getrimmt.

Du willst angeln, bedürfnislos und still aufs sich kräuselnde Wasser blicken wie Generationen von Fischern vor dir? Bitte, wir können über alles reden, aber wo ist die Fischereisteuerkarte, der Berechtigunsausweis, der Tagespass bis 18 Uhr, abzulösen durch das Nachtangelticket ab 18.01 Uhr, zusammen für 19 Euro an der Rezeption erhältlich? Nein? Nun, tut uns leid, es ist nichts Persönliches. Wobei es sehr wohl etwas Persönliches, nämlich Besitzergreifendes ist.

Die Bergwälder: alle in Privathand, meist Grafen, Fürsten, dem Adel gehörend.  Wander- und Reitwege sind als Transit-Schneisen für Habenichtse vorhanden, theoretisch, doch unbenutzbar, denn der klamme Staat hat schon seit Jahren keine Subventionen mehr überwiesen. Und beim besten Willen kann der Waldherr sich nicht um den Erhalt dieses kostenträchtigen Allgemeinguts kümmern, wir sind ja nicht bei Ludwig II.  Bedaure die Unannehmlichkeiten, habe die Ehre.

Wann hat das angefangen, dass alle Landschaft ungeschriebene Preisschilder trug? Es begann, als das Reich der Erwartungen zum Bauerwartungsland wurde. Das arglos-verträumte Erwartungsland hingegen: abgebrannt. War nicht, als wir Kinder waren, der Weg in die Natur noch vielfach unverbaut, unbeschrankt und unverzollt? Konnten wir nicht  durch Brombeergebüsche streifen und zerkratzt, aber sonnen- und beerensatt daraus hervorbrechen?

Dort war das Niemandsland, dem man nach Blüten und Staub schmeckende Namen hätte geben mögen wie Patagonien oder Arkansas. Dort gab es wild überwucherte Brachen, geheimnisvoll, gefährlich, bereit, erobert zu werden oder verloren gegangene Kinder sich einzuverleiben für immer und ewig. Oder war all das schon immer bloß Phantasterei?

Wir wollen zufrieden sein mit dem, was sie uns lassen. Mit der Höhe der Wolkentürme, jener unfassbaren, unkalkulierbaren Irgendorte. Mit dem Wind, der noch unversteuert weht und wie die noch immer nicht taxierte Sonne auf unserer Haut daran erinnert, was zuerst da war. Was ältere Rechte hat als die Eigentümer der exklusiven All-Inclusive-Naturkonsum-Experience.  Mit dem Sommerregen, den sie noch nicht nach Millilitern pro Quaratmeter benetzter Hautfläche in Rechnung stellen. Und mit dem alles bedeckenden Meer, so tief und alle Ansprüche einebnend, dass es Zuteilungen größtenteils noch widersteht.

Wir wollen zufrieden sein, aber im selben Moment legt sich eine Schicht über dieses Bemühen, etwas anderes, Bleiernes.

(Dieser Text ist eine Variation über das elfte Wort – Schwermut – im Projekt *.txt von Dominik Leitner.)