Vergessen Sie die alberne „Respektrente“. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat bei ihrer Wahl ein Wort übersehen, das mich am Ende doch noch ein wenig mit 2019 versöhnen konnte. Eines, das nie das Licht der Welt hätte erblicken sollen. Hat es aber, dank der SPD.

Manchmal, wenn die Lage der Nation mich ein ganz klein wenig wehmütig macht, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. In diesem Jahr kam es spät, aber im Nachhinein akkurat zur rechten Zeit – am Volkstrauertag im trüben November. Es kam in Form eines Kranzes mit roter Schleife, und auf der stand:

Ein Wort war geboren, und das Wort hieß: Verschissmuss. Mit zweimal „ss“. Es wurde uns geschenkt von der SPD in Mülheim an der Ruhr, und ich danke den Genossen dafür. Denn Verschissmuss ist, mit einigem Abstand vor „Waldbaden“ und „Klimaleugner“, das TWASBO-Wort des Jahres 2019.

Dabei hatte es kurz den Anschein, es sei von der AfD oder noch schlimmeren Feinden der Demokratie als Trojanisches Pferd in die Sprachlandschaft eingeschleust worden. Dann hätte ich es natürlich zum Unwort des Jahres erklären müssen. Die Mülheimer SPD hatte sogar schon einen Anwalt eingeschaltet, wegen Sabotage oder Verunglimpfung oder was. Denn solch ein Wort kann ja niemand ohne böse Hintergedanken ins Spiel bringen, und erst recht nicht die ehrwürdigen Antiverschissten der Sozialdemokratie.

Doch nein: Der wackere Kranzschleifendrucker konnte mit einem Fax belegen, dass man ihm SPD-seitig den letzten Gruß genau so übermittelt hatte. Oder genauer: Die Floristin, die von der SPD mit dem Kranzgebinde beauftragt worden war, hatte ihm den von der SPD übermittelten Auftrag so übermittelt. Gedacht hatte sich natürlich jedes Mal niemand etwas beim Übermitteln, denn es ging ja um das leerste aller Rituale, die Totenehrung wg. „Verschissmuss“ bzw. eben „Faschismus“. In der Zeit, in der sie dieses Ritual 74 Jahre nach Kriegsende abwickeln bzw. die Abwicklung vorbereiten, denken sie an alles mögliche, nur nicht an Verschissmuss.

Außerdem: Im Ruhrgebiet mit seinen rund 5,8 Millionen Einwohnern gibt es heute noch genau 17 ältere Menschen, die Grundzüge der deutschen Rechtschreibung beherrschen. Dazu gehörten leider nicht die Diensthabenden vom SPD-Unterbezirk, ebensowenig wie die Blumenladenfrau, die sogar dem Vernehmen nach ihren Job verlor oder kündigte, als der Skandal ruchbar wurde. Und der Blumengebindedrucker wurde letzten Endes auch nicht fürs kritische Nachhaken bezahlt. Das störte aber niemanden, denn es entspricht genau dem Bildungsniveau, das die SPD für alle in Deutschland Lebenden als maximal erreichbar festgelegt hat.

„Faschismus“ ist aber auch ein schwieriges Wort. Selbst, wenn man es richtig schreibt, ist es immer noch falsch, denn – surprise! – in Deutschland herrschte damals überhaupt kein Faschismus. Das millionenfach hergebetete Wort ist nur eine Begriffs-Ergreifung durch unsere hiesigen „Antifaschisten“ (eigentlich „Anti-Nationalsozialisten“). Sie wollten halt nicht gleich schon am Namen ablesbar machen, dass ihr geliebter Sozialismus in totalitärer und manch anderer Hinsicht eben doch recht artverwandt mit dessen nationaler Variante war und ist.

Der Faschismus wiederum war unter Mussolini die italienische Spielart des Nationalsozialismus, dessen Opfer die SPD Mülheim eigentlich in erster Linie ehren wollte. Faschinen oder lat. Fasces sind gebündelte Weidenruten, Sinbild einer in Einigkeit starken Vielzahl, zurückreichend als Machtsymbol bis ins alte Rom … aber sei’s drum. So etwas wissen heute nur noch Historiker. Geschichte wird an den Schulen höchstens zwei Doppelstunden im Jahr als Neigungsfach vermittelt, und das auch nur im Wechsel mit Mandala-Malen, freitags in der 7./8. Stunde nach Sport, hinter dem Schulklo, wenn da nicht geraucht wird. Auch das ist natürlich der SPD zu verdanken.

Die griff übrigens schnell zur Schere, um den Schaden zu begrenzen, und schnitt von der Kranzschleife das inkriminierte Stück einfach ab. Sodass da nur noch stand: „Den Opfern von Krieg“. Diesen tatsächlich fehlerfreien Minimalkonsens konnte ja nun wirklich niemand mehr bemäkeln: Den Opfern von Krieg gilt unser aller rückhaltloses Beileid. Ebenso wie den Opfern von Zensur. Und den Opfern von SPD, etwa der nunmehr arbeitslosen Blumenfrau. Die örtliche Parteileitung ermunterte sie, doch gerne wieder auf ihre alte Stelle zurückzukehren. Man wolle auch mal eine versöhnliche Tasse Kaffee mit ihr trinken. Die SPD ist ja kein Unmensch.

Das Wort Verschissmuss aber, es war nun mal in der Welt. Das ewig pubertierende Internet machte sich sogleich seinen eigenen Reim darauf. So, wie es sich zuvor schon seinen Reim auf die Wortschöpfung „covfefe“ des US-Präsidentendarstellers gemacht hatte. Wenn die virtuelle Schwarmintelligenz für eine Sache gut ist, dann zum Entzaubern abgedroschener Worthülsen, sinnfreier Sinnsprüche und aufgeplusterter Weltenretter:

Dabei konnte doch die Partei nix dafür, die nun zum Schaden auch noch den Spott hatte. Denn: Fehler passieren! Alles nur menschlich! So sah das jedenfalls die Mülheimer SPD, als es nicht mehr anders ging. Und fast wäre ich geneigt gewesen, ihr zuzustimmen.

Doch das Leben schlug noch eine letzte Volte. Ein aufmerksamer Zeitgenosse erinnerte sich, ein ganz ähnliches Foto von einer Kranzniederlegung des SPD-Unterbezirks und der Ratsfraktion Mülheim an der Ruhr bereits im Jahr 2018 gesehen zu haben. Damals, so der Zeitzeuge, habe niemand Anstoß genommen – und wie denn auch:

Es war 2018 ja vergleichsweise fast alles richtig gelaufen. Kein „ss“ am Schluss! Nur die allerempfindlichsten Sprachfeinschmecker hätten hier aufgejault, und die waren gerade anderswo mit antiverschisstischen Aktionen beschäftigt.

Ich für meinen Teil werde nun mein Lebtag lang nicht mehr anders können, als in jedem weihevoll durch die Straßen getragenen Antifa-Banner eine machtvolle Demonstration gegen den Verschissmuss zu sehen. Ach was, ich werde selbst gegen den Verschissmuss kämpfen, mit Wort und Werk, mit Herz und Hand! Gegen den Verschissmuss in den Behörden, am Berliner Flughafen, bei meinem Internetprovider, in der Krankenversicherung, in den deutschen Medien, bei der Bundeswehr, im Asylsystem und bei der Wettervorhersage.

Und so rufe ich Euch und Ihnen zu: Allen TWASBO-Lesern ein antiverschisstisches neues Jahr! Vorwärts zum Volkstrauertag 2020 in Mülheim an der Ruhr!