Social-Media-Plattformen hatten sie zensiert, Nachrichtensender und Zeitungen ignoriert. Doch drei Jahre nach dem Eindringen von Trump-Wählern ins Kapitol erhalten Zweifel am vorherrschenden Narrativ neue Nahrung. Ein Dokumentarfilm fragt: Welche Rolle spielten Provokateure? Und warum neutralisierte sich die Ordnungsmacht selbst?
Der Präsident konnte stolze Zahlen vermelden: „Mehr als 1.200 Menschen sind wegen des Angriffs auf das Capitol angeklagt worden“, brüstete sich Joe Biden am 5. Januar bei seiner Rede zum Auftakt des Präsidentschafts-Wahljahres in Valley Forge, Pennsylvania. „Und fast 900 von ihnen sind inzwischen verurteilt oder haben sich schuldig bekannt. Zusammengenommen wurden ihnen bis heute mehr als 840 Jahre Gefängnis verabreicht!“ Da brandete Jubel bei seinen Democrats auf: Wie schön, dass am Vorabend des dritten Jahrestags von „J6″schon so viele Trump-Republikaner nachhaltig hinter Gittern sitzen!
„J6″ist die inzwischen landläufige Kurzformel für das historische Datum des 6. Januar 2021. Kein Ereignis der US-amerikanischen Geschichte wurde von mehr Kameras in bewegten Bildern festgehalten als das chaotische Eindringen der Trumpisten ins Kapitol von Washington. Nicht die Landung in der Normandie, nicht der Aufbruch zum Mond, nicht der 11. September 2001. Nahezu jeder der Tausenden von Protestierern, die teils über alle Sperrlinien hinweg auf den Capitol Hill in Washington vorgerückt waren, hatte ein filmbereites Smartphone dabei. Jeder Polizist, jeder Nationalgardist führte eine „Bodycam“ am Mann. Hunderte Journalisten waren vor Ort, um die gemeinsame Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus zur offiziellen Zertifizierung des vielfach bezweifelten Wahlergebnisses pro Biden und contra Trump ins Bild zu setzen.
Kein Ereignis auch wurde wie J6 von der Demokratischen Partei der USA instrumentiert, um ein Schreckensbild Trumps und seiner Anhänger zu malen: Kriminelle, Chauvinisten, Rassisten, „White Suprematists“, gewaltbereite Diktatur-Junkies und bewaffnete Aufständische – für all das müssen die Washingtoner Ereignisse zwischen sieben Uhr morgens und 20 Uhr am Abend als Beweis herhalten. Ein von Democrats initiiertes und ausschließlich von ihnen kontrolliertes „J6-Komitee“ verhandelte nach Art eines öffentlichen Schauprozesses gegen Trump und die Protagonisten des 6. Januar, als ob es ein unabhängiger Akt der Rechtsprechung wäre – mit erwartbar vernichtendem Ergebnis. Linkslastige und woke Medienorganisationen wie die New York Times und CNBC flankierten das Narrativ dieses Tages mit aufwändigen „Timelines“.
Doch wie immer, wenn es eine für die Herrschenden nützliche Agenda unters Volk zu bringen gilt: Gegenteilige Darstellungen, entlastende Indizien, Zweifel und Fragen wurden auf breiter Front unterdrückt. Kein amerikanisches (oder europäisches) Mainstream-Medium gab ihren Verfechtern Sendezeit oder Print-Kolumnen. Die Social-Media-Plattformen der amerikanischen Digital-Konzerne wie Google, Facebook oder Twitter löschten und zensierten entsprechende Äußerungen ebenso systematisch wie die Argumente von Maßnahmengegnern zu Coronazeiten – oder belegten sie mit „shadow bans“, unsichtbaren technischen Tricks zur Begrenzung der Reichweite. Viele Videobeweise sind bis heute nicht freigegeben worden.
Seit wenigen Tagen allerdings gibt es eine weitere „Zeitleiste“ zu den Ereignissen in Washington. Die gut einstündige Video-Dokumentation „January 6th – A True Timeline“ von Regisseur Paul Escandon verwendet Material, das bislang nirgendwo zu sehen war, und setzt ausschließlich aus Live-Bildern von damals eine Rekonstruktion der Abläufe zusammen, die der gängigen Erzählung eine gehörige Portion an Widersprüchlichkeiten und Merkwürdigkeiten entgegenstellt. Zwar postete das fünfköpfige Produzententeam seine Doku auch versuchsweise auf YouTube, jedoch unter dem halb-ironischen Absender „CancelProof TV“. Für den Fall der erwartbaren Zensur nämlich gönnten sie ihrem Film zusätzlich eine eigene, frei abrufbare Seite:
„A True Timeline“ ist eine gut investierte Stunde Aufmerksamkeit für politisch und zeitgeschichtlich Interessierte. Daran ändert auch die hollywoodmäßig bombastische und entnervend penetrante Musikuntermalung nichts. Dem erklärten Anspruch der Wahrheitssuche wird der Film insofern gerecht, als er nicht mit manipulativen Interviews oder Expertenmeinungen arbeitet, sondern ausschließlich mit Bild- und Tonmaterial vom Ereignis selbst – aus Dutzenden verschiedener Quellen und Perspektiven. Auch der Off-Kommentar stellt keine „Verschwörungstheorien“ auf, sondern erläutert lediglich, was zu sehen oder zu hören ist. Und er weist auf bisweilen bizarre Umstände hin.
So erscheint die Eskalation eines zunächst ganz zivilen Protests als Mischung aus Inkompetenz und Nachlässigkeit der Sicherheitsbehörden, wachsender Wut republikanisch gesinnter Durchschnittsbürger, Informationsmangel – kaum jemand bekam optische oder akustische Anweisungen mit – und systematischer Aufwiegelung durch freilich dubiose Scharfmacher. Auch das wechselseitige Aufschaukeln von Gewaltbereitschaft zwischen Polizei und Demonstranten kann bis ins Detail nachvollzogen werden. Ein Uhrwerk scheint abzulaufen, das zielsicher ins destruktive Chaos führt.
Ausgerechnet das „less lethal team“ einer angesichts der Brisanz des Tages zahlenmäßig auffällig schwach aufgstellten Ordnungsmacht wirft in der Doku durch sein Handeln Fragen auf. Diese Einheit, die mit wörtlich „weniger tödlichen“ Kampfmitteln wie Gummigeschossen und CS-Gas ausgerüstet war, ballerte vor dem Kapitol planlos und ohne Vorwarnung in die dadurch immer weiter aufgeheizte Menge. Das führte zu einer Handvoll Todesfällen unter den Protestierern, die aus nächster Nähe von Munition getroffen wurden oder in ausweglosem Gedränge zu Tode kamen. Und immer waren Kameras dabei, während sie zu Boden stürzten und ihre letzten Atemzüge taten. Es sind grausame Bilder.
Auch sind Polizisten zu sehen, die durch inkompetent abgefeuerte Reizgas-Munition selbst für die Aufgabe von bis dahin erfolgreich verteidigten Stellungen sorgen: Die eigenen Kollegen, ohne Atemschutz angetreten, werden vom gasgesättigten Gegenwind schachmatt gesetzt und müssen fliehen. Aufschlussreich ist zudem die Tonspur, in der Officers an vorderster Front untereinander darüber fluchen, dass ihre Führung sie „verschaukelt“ habe: kaum Ausrüstung, kaum Verstärkung, Kommunikations-Chaos und fehlende Strategie – „Wir hätten das hier niemals gewinnen können“, ruft einer frustriert.
Doch die verstörendste Figur im ganzen Film ist kein Ordnungshüter, sondern ein vermeintlicher Trumpist: ein „Militär-Veteran“ (Wikipedia) namens Ray Epps. Dieser Agitator, der waffennärrischen Gruppierung „Oath Keepers“ zugerechnet, taucht im Film immer wieder auf – und stets in vorderster Linie, wenn es die nächste Absperrung zu überwinden gilt. Andererseits plaudert er nebenbei mit Polizisten und sogar einem Staatsanwalt. Epps wurde von Teilnehmern der Proteste und von Analysten aus dem konservativen Lager immer wieder als Brandstifter und „Agent Provocateur“ verdächtigt. Schon als er am Vorabend die Masse aufwiegelt, man müsse gemeinsam „ins Kapitol hinein“ gehen, schallt ihm aus ihren Reihen Misstrauen entgegen: „Fed! Fed! Fed!“ So die Abkürzung für einen Federal Agent oder Bundesagenten, der eine Gruppierung geheimdienstlich unterwandert.
Zu Epps merkwürdigem Treiben haben die Filmemacher auf ihrer Webseite eine eigene Mini-Doku hinterlegt. Interessanterweise erhielt er trotz der vielen Videobeweise gegen ihn nur eine Bewährungsstrafe – ganz im Gegensatz etwa zu dem als „Q-Schamanen“ bekannt gewordenen J6-Protagonisten Jacob Chansley. Der Mann mit nacktem Oberkörper und gehörntem Kopfschmuck im Medizinmann-Stil fläzte sich auf dem Chefsessel des Plenarsaals und hinterließ auf dem Pult eine Notiz an den scheidenden Vizepräsidenten Mike Pence, den rechtmäßigen Inhaber des Platzes: „Justice will come“. Chansley, der sich während der Räumung des Capitols höflich bei den Polizisten für deren Geduld bedankte, wurde zu 41 Monaten Gefängnis verurteilt.
Und Trump selbst, das personifizierte Böse? Am Nachmittag um 16 Uhr 17 Washingtoner Ortszeit setzte der Noch-Präsident vom Ort des Geschehens seine letzte Videobotschaft bei Twitter ab: „Wir müssen Frieden haben, wir müssen Recht und Gesetz haben … Ich weiß, wie ihr euch fühlt, aber geht nach Hause und geht in Frieden nach Hause!“ Diesen Tweet versah das später durch Elon Musks Übernahme entthronte, eng mit den Biden-Democrats verfilzte Betreiberkonsortium der Plattform sogleich mit einem Warnhinweis: „Wegen des Gewalt-Risikos kann dieser Tweet nicht beantwortet, weiterverbreitet oder favorisiert werden.“ Wenige Minuten später löschte Twitter den Deeskalationsversuch eines noch amtierenden US-Präsidenten ganz.