Eythar Gubara ist eine Pionierin: Die sudanesische Fotografin engagiert sich in ihrem vom Islam geprägten Land mit der Kamera für körperliche Selbstbestimmung der Frauen und Mädchen. Im Interview spricht Gubara über Bewegungsspielräume in einer männlich und religiös dominierten Kultur, die Frauenrechte vielfach ignoriert.

Geboren wurde die heute 30-jährige Eythar Gubara in der Hauptstadt Karthum. Zur Ausbildung ging sie für fünf Jahre nach Saudi-Arabien, um dort Informationstechnik zu studieren. Im Jahr 2002 kehrte sie in den Sudan zurück. Ihre Arbeiten wurden unter anderem am Goethe-Institut Sudan und im Französischen Kulturzentrum in Khartum ausgestellt. In der Hamburger Galerie Speckstraße werden ihre mit sudanesischen Frauen inszenierten Schwarzweiß-Aufnahmen im Rahmen der Ausstellung „A Sudanese Triangle“ gezeigt, gemeinsam mit Werken der beiden sudanesischen Fotografen Muhammed Salah Abdelaziz und Mohamed Altoum. Die Satelliten-Ausstellung zur Hamburger Fotografie-Triennale ist noch bis 17. Juni zu sehen, der Eintritt ist frei.

Oliver Driesen (OD): Warum haben Sie sich auf die Lage der Frauen und Mädchen im Sudan konzentriert?

Eythar Gubara: Von Anfang an habe ich nach den Geschichten der Menschen im Sudan gesucht. Und weil ich weiß, was die Geschichten und Wüsche der Frauen im Sudan sind, habe ich mich auf die Frauen konzentriert. Ich weiß, was meine Freundinnen und die Frauen im Allgemeinen durchmachen, und das motiviert mich zu meiner Arbeit, die sie in den Mittelpunkt stellt. Nicht alle können ihre Geschichten selbst erzählen, also gebe ich ihnen diese Chance.

OD: In Hamburg zeigen Sie Fotos, die Besitzansprüche auf den weiblichen Körper anprangern. Wo begegneten Sie solchen Besitzansprüchen zuerst?

Gubara: „Besitz“ ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber die Frauen erlauben es anderen, Kontrolle über ihre Körper auszuüben. Es ist, als ob dein Körper nicht dein Körper wäre. Deine Eltern oder Großeltern können über die Verstümmelung deiner Geschlechtsteile (Female Genital Mutilation, FGM) bestimmen. Das machen viele Mädchen durch, vor allem außerhalb der Hauptstadt. Oder nehmen Sie die Männer auf der Straße, die es sich herausnehmen, Frauen sexuell zu belästigen. Oder die Eltern, die ihre Mädchen mit elf Jahren verheiraten: Du darfst nicht selbst entscheiden, was du willst. Auch ich habe sexuelle Belästigung erlebt, wie jedes Mädchen im Sudan.

OD: Wie haben Sie für Aufnahmen, bei denen Sie Frauen symbolisch nackt in Ketten inszeniert haben, die Modelle gewonnen?

Gubara: Deren Geschichten kenne ich persönlich. Ich habe viel über sie recherchiert. Weil ich nicht meine eigenen Freundinnen oder Bekannten auf diese Weise fotografieren konnte, habe ich lange und intensiv nach diesen Frauen gesucht. Man findet sie aber in unserer Gesellschaft, denn Mädchen reden untereinander viel über diese sexuelle Fremdbestimmung. Das ist kein Tabu. Viele wollen diese Erfahrungen mitteilen. Dann habe ich sie gefragt, und sie haben zugestimmt. Aber unter der Bedingung, dass sie nicht identifizierbar sind.

OD: Fühlen die Frauen, die Sie fotografieren, sich überhaupt diskriminiert? Oder braucht es jemanden, der dieses Bewusstsein erst weckt?

Gubara: FGM und sexuelle Belästigung sind auch im Sudan nicht legal oder allgemein akzeptiert. Auch Männer würden sich dem entgegenstellen, wenn sie es beobachten. Allerdings führt das meist nicht zu Bestrafungen. Aber zumindest kann man heute zur Polizei gehen, wenn man von einem Fall von FGM erfährt. Manchmal hilft das.

Viele Mädchen wollen diese Erfahrungen mitteilen.

OD: Eines Ihrer Bilder in Hamburg trägt den Titel „Not Your Slave“. Wir im Westen denken bei „Sklave“ natürlich zunächst an die historische Versklavung durch Weiße. Auf wen zielen Sie ab?

Gubara: Es geht mir um jede Art von Versklavung in unserer Zeit, nicht um die klassische Sklavenhaltung. Ich wende mich gegen jeden, der sich das Recht herausnimmt, Menschen so zu behandeln. Gegen jeden, der sagt: Ich kann mit dir tun was ich will. Im Sudan und im Nahen Osten generell sind es die Frauen, die im Haus gehalten werden und sich dort um alles kümmern. Frauen sind die Haushälterinnen, und manche werden wie Sklavinnen behandelt.

OD: Wurden Sie wegen Ihrer Fotografien im Sudan oder im Nahen Osten bedroht oder bei Ihrer Arbeit behindert?

Gubara: Das kommt vor, aber das geht nicht nur Fotografinnen so, sondern auch männlichen Fotografen. Wenn man an bestimmten Orten auch in der Öffentlichkeit nicht Papiere hat, die das Arbeiten ausdrücklich erlauben, werden schnell unangenehme Fragen gestellt. In meinem Fall suche ich mir sichere Orte, um diese Art Fotos zu machen. Das geht nicht überall. Die Nacktfotos könnte ich im Sudan nicht ausstellen. Das Bild mit der rauchenden Frau hingegen hing schon in mehreren Städten in Ausstellungen. Bezahlt werde ich für meine Arbeit aber nicht. Es ist im Sudan üblicherweise nicht so wie im Westen, dass Künstler für ihre Arbeiten Geld bekommen. Man hat als Künstlerin einen Brotberuf; ich zum Beispiel bin als IT-Ingenieurin bei einer kleinen Firma angestellt, da habe ich mein Auskommen.

OD: Sind Sie religiös? Glauben Sie, dass der Islam als Religion die Diskriminierung von Frauen begünstigt?

Gubara: Ich bin gläubige Muslimin. Die Praxis der FGM kommt nicht unmittelbar aus dem Koran, sondern aus der Sunna, einer rechtswirksamen Auslegung des Willens und der Lebensgeschichte des Propheten Mohammed. Im Koran wird davon gesprochen, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, außer beim Erbe, wo dem Mann das Doppelte zusteht.

Die Nacktfotos könnte ich im Sudan nicht ausstellen.

OD: Haben es sudanesische Frauen, die in Deutschland leben, leichter oder schwerer als im Sudan?

Gubara: Ich kenne ein paar. Aber ich denke, so einfach ist es nicht für sie in Deutschland. Wenn sie bei der Ankunft schon alt genug sind, werden sie die Unterschiede zum Sudan feststellen und Zeit brauchen, um sich an die neue Gesellschaft zu gewöhnen. Vielleicht finden sie dann ihre Freiheiten hier, aber die Intimität, die Unterstützung, die sie aus der eigenen Gemeinschaft kennen, finden sie hier nicht so leicht. Andererseits, wenn sie mit ihren Familien herkommen: Vielleicht haben sie hier manche Freiheit, aber die Grundregeln ihrer Kultur ändern sich nicht so leicht für die Frauen. Vor allem, was die religiösen Gebräuche angeht.

OD: In Herne gibt es ein Gymnasium, das 30 „Burkinis“ angeschafft hat, damit auch Schülerinnen aus streng gläubigen muslimischen Familien am Schwimmunterricht teilnehmen können. Kapituliert die Schule damit nicht vor dem religiösen Besitzanspruch, dass Frauen ihre Körper nicht zeigen dürfen?

Gubara: Wenn ich eines dieser Mädchen wäre, würde ich meinen Körper auch bedecken wollen. Unsere Religion verlangt es so. Es ist ein Tabu, seinen Körper zu zeigen. Für mich ist das okay, wenn die Mädchen daran glauben. Eine andere Sache ist es, wenn sie es nur aus Angst vor ihren Familien tun. Ich persönlich würde meinen Körper in der Öffentlichkeit immer bedeckt halten.