Zwischen den Steinen gefundenes Epos von der unausweichlichen Schleifung der Burg Serravalle durch die nur begrenzt duldsamen Bauern des Bleniotals
Mächtig und hoch stand die Feste von Seravalle,
seit dreihundert Jahren Herrensitz derer des Bleniotals,
als aus dem Norden der deutsche Kaiser Friedrich I
rotbärtig, was ihm zum Beinamen wurde, gegen sie zog.
Die Bauern vom Bleniotal aber blickten kaum auf von der Fron.
Sie schafften im Weinberg, lasen Kastanien auf in den Wäldern
und wussten, sie waren nur Vieh in den Augen der Mächtigen
oder Oliven in Menschengestalt: nur zum Auspressen gut.
Am vierten Tag der Belagerung sah Barbarossa,
auf Verstärkungen wartend vor Seraravalle,
von wo aus er die lombardischen Städte zu bändigen plante,
wie seine Truppe vom Lukmanier-Pass in die Ebene niederstieg.
Die Bauern vom Bleniotal aber blickten kaum auf von der Fron.
Sie schafften im Weinberg, lasen Kastanien auf in den Wäldern
und wussten, sie waren nur Vieh in den Augen der Mächtigen
oder Oliven in Menschengestalt: nur zum Auspressen gut.
Mit frischen Kräften entriss Barbarossa die Festung den Mailändern
und übergab sie Alcherius da Torre, seinem Getreuen.
Doch wendete bald sich das Glück, denn der Kaiser
verlor noch im selbigen Jahr das Gefecht von Legnano.
Die Bauern vom Bleniotal aber blickten kaum auf von der Fron.
Sie schafften im Weinberg, lasen Kastanien auf in den Wäldern
und wussten, sie waren nur Vieh in den Augen der Mächtigen
oder Oliven in Menschengestalt: nur zum Auspressen gut.
Die Mailänder Rache markierte die nächste Bezwingung der Burg.
Aus dem Tale vertrieben wurden die Torre, und fünfzig Jahre lang
lag Seravalle in Trümmern. Zur Wahrung der Herrschaftsgewalt
setzte Mailand den Clan der Orelli aus Locarno ein.
Die Bauern vom Bleniotal aber blickten kaum auf von der Fron.
Sie schafften im Weinberg, lasen Kastanien auf in den Wäldern
und wussten, sie waren nur Vieh in den Augen der Mächtigen
oder Oliven in Menschengestalt: nur zum Auspressen gut.
Die Orelli erweiterten Seravalle mit mächtigen Säulen,
bevor sie die Burg an die Grafen Oleggio verkauften,
die ihrerseits den Visconti die Herrschaft über das Blenio abtraten,
welche die Burg noch einmal übertrugen: an die Familie der Pepoli.
Die Bauern vom Bleniotal aber blickten nun häufiger auf von der Fron.
Sie schafften im Weinberg, lasen Kastanien auf in den Wäldern
und hassten es, Vieh zu sein in den Augen der Mächtigen
oder Oliven in Menschengestalt: nur zum Auspressen gut.
Die neue Elite bemerkte das Grollen im Tal nicht.
Sie ignorierte den gärenden Zorn der Gemeinen,
das Leid dieser Weinbauern, Schmuggler, Kastanienröster,
und glaubte, sie könnte in Ewigkeit Frondienst erzwingen.
Da endlich nun zürnte das Landvolk gewaltig den Herren,
und Taddeo Pepoli wurde von blitzenden Äxten erschlagen,
die Feste letztmalig, doch ungemein gründlich erschüttert
und bis auf die Stümpfe der Säulen geschleift.
Moral: Wenn schon niemand mehr glaubt,
dass ermüdende Muster der Ohnmacht sich wandeln
und aufbrechen ließen, dann gerade geschieht es
und zeitigt Ruinen, gerechtigkeitshalber mit Blumen bekränzt.
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