Am 25. Februar ist Schluss. An genau diesem Tag endet, zumindest in der Filiale an der Wandsbeker Zollstraße, die Ära der traditionsreichen Hamburger Baumarktkette Max Bahr. Über die Gründe ist genug geschrieben worden: Missmanagement, Bankengier, das Übliche. Aber wie es sich anfühlt, kurz vor Schluss, das ist eine Erfahrung, die man selber machen sollte – am besten mit allen Sinnen. Nicht im Adrenalinrausch des blindwütigen Schnäppchenjägers mit Tunnelblick auf heiße Ware, sondern mit offenen Augen und Ohren, mit empfangsbereiten Tast- und Riechorganen.

Was geschieht da? Eine Menge, vor allem Unterschwelliges. Ich habe heute den todgeweihten Max Bahr besucht und bin herumgewandert im Vorzimmer des Endgültigen, das ein finaler und nicht nur saisonaler Schlussverkauf bedeutet. Auf der Suche nach Anzeichen der Endlichkeit in der immer aufs Neue aufgefüllten Warenwelt. Und tatsächlich: Hier spiegeln wir uns in in den Resten dessen, was wir eine Zeitlang für garantiert halten durften.

Die meisten Regale sind bereits leer, als ob soeben im Rundfunk die Ernstfall-Warnung durchgegeben worden wäre und die Bevölkerung, auf dem Weg in die Bunker, noch schnell ihre allerletzten Hamsterkäufe erledigt hätte. Die Weihnachts-Deko ist dieses Mal nicht mehr ausgetauscht worden, warum auch, man wusste ja schon Bescheid. Und so gibt es die Reste der Jahresendzeit in der endgültigen Endzeit nicht für „50-70 %“ Rabatt wie den ganzen Rest, nein, in Sachen Weihnachten sind Anfang Februar satte 90 % Preisnachlass drin.

Das gilt auch und erst recht für „Tonnenbäume, Höhe 45 cm“ aus Plastik: Statt 3,99 € jetzt 39 Cent. Ja, Tonnen, nicht Tannen – so steht es zumindest auf dem mit Edding verfassten Schild. Und es gilt ebenso für den „Künstlichen Tannenkranz“, der indes niemanden mehr in Festtagsstimmung versetzt:

Gibt hier eigentlich noch arbeitende Menschen in all dieser zunehmend raumgreifenden Leere? Aber ja, natürlich. Zu erkennen nach wie vor an den gelben Polohemden, lächeln sie allerdings eher selten. Anders als ihre dauerfröhlichen Replikanten auf den zahlreichen lebensgroßen Foto-Werbeflächen im Baumarkt, die ebenso wacker die Stellung halten, bis zum letzten Tag:

Nur deren Botschaften wirken jetzt manchmal etwas merkwürdig: „Mitarbeiter rufen!“ klingt heute weniger nach einer Einladung, an der Säule den Einkaufsberater mit seiner Kompetenz herbeizuklingeln, sondern wie „Mitarbeiter rufen um Hilfe“ oder „Mitarbeiter rufen: Haben Sie nicht einen Job für mich?“ Den ersehnten Arbeitsplatz werden manche indes sogar behalten. Denn als nächstes zieht hier Bauhaus ein, der große Konkurrent. Er beschäftigt die Fittesten der Belegschaft weiter – natürlich mit neuen Verträgen, nach deren Konditionen zu fragen die Pietät verbietet.

Und darüber hinaus bietet das Ende sogar neue Job-Chancen, wenn auch nur kurzzeitig: „Mitarbeiter für Abrissarbeiten gesucht“, lautet ein eilig gedruckter Aushang. Abriss? Wo doch wieder Baumarkt sein wird? Vielleicht soll mit dem alten Plunder auch der Fluch der Insolvenz ausgekehrt und untergepflügt werden.

Unterdessen haben sich auch die letzten Paletten fast geleert. Am Ende, das lehrt die Erfahrung, ist keine Ordnung mehr. Wozu noch säuberlich zurückstellen und einsortieren, wenn doch bald die Abrissbirne kreist? In den Bereichen, wo die Hunnenhorden schon durchgezogen sind und alles ausgeweidet ist, ziehen Markt-Mitarbeiter mit rotweißem Flatterband Absperr-Linien: Hier ist nichts mehr. Hier wird nichts mehr sein. Nur noch die Gerippe von Regalen, unschöne Anblicke, die wir Ihnen ersparen möchten wie Messermordopfer. Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Hübsch aber, dass es inmitten des Gesamt-Schnäppchenparadieses noch eine eigens abgetrennte „Schnäppchen“-Abteilung gibt. Aber Achtung: Stolpergefahr! Die Auslegeware hat mit den Jahren Blasen geworfen und sich vom Teppichkleber gelöst. Man taumelt vorbei an Bretterkisten, in die einfach alles geworfen wurde, was unter diesen Umständen noch in Regalen auszustellen zu aufwändig erschien: Kissenfüllungen aus 100% Polyester, weiß. Wenn man die nicht braucht: Fenstervorhänge aus 100% Polyester, bunt gemustet. Oder Schnur von der Rolle, braucht man immer. Oder ein einzelner Schuh, falls man den anderen schon hat oder den einen verloren. Gleich daneben: eine Fliegenklatsche, auch massiv reduziert.

Von diesem Zwischenlager für Plastikmüll, dessen Endlager eines nicht fernen Tages vielleicht der im Atlantik rotierend dahintreibende Plastikmüllstrudel von der Größe Zentraleuropas sein wird, führt ein direkter Weg ins Gartenparadies. Das heißt: führte. Die automatische Glasschiebetür öffnet sich nicht mehr. Das Gartenparadies hat sich in einen betonierten Lagerplatz für geplatzte Illusionen verwandelt, der er vielleicht immer schon war, was man aber wegen genügend großer Gartenartikelfülle nicht wahrnehmen konnte. Nun kann man es – aber kein Mitarbeiter, den man an irgend einer Säule ruft, kommt und hilft einem dabei, den Verlust der Gartenillusion zu bewältigen.

Stattdessen wandere ich drinnen weiter unter hohem, leicht aufklarendem Hallenhimmel. Dann wieder unter einem wogenden Baldachin, der nichts mehr übespannt außer Leere. In China ist Rot die Farbe des Glücks. Möge Glück auf Euch regnen, die Ihr Euch unter diesem Erdbeerhimmel in Gedanken ergeht: Strawberry fields forever!

Vorbei an der Kassenschlange, wo ein Afrikaner schnell noch zwei ergatterte Keramik-Kloschüsseln mit EC-Karte bezahlt. Im Nacken blaue Transparente, die Antworten auf meine Fragen versprechen, aber gleich von anderen Schildern niedergebrüllt werden: „ALLES MUSS RAUS“. Vorbei am allerletzten der Schnäppchenwerbeschilder, am weißen Schriftzug auf blauem Grund: „DIE ZEIT LÄUFT“. Daneben ein Spiegel mit Birkenholzrahmen, in dem kurz mein Gesicht auftaucht. Oh ja, die Zeit läuft und wird nicht zurückerstattet. Einmal kommt der Tag, an dem es wieder heißt: „ALLES MUSS RAUS.“

Und ich auch.