Manchmal ist es fast lustig mit den Salonsozialisten der globalisierten Mittelschicht. Im sonst geradezu religiös „progressiven“ Londoner Guardian gibt es heute im Lifestyle-Ressort den Artikel Backsoda, Essig, Zitronensaft: Wie Sie ihr Haus – und sogar den Ofen – auf altmodische Weise sauberkriegen.

Ein wenig atypisch erscheint die Themenwahl ja zunächst einmal schon. Dass es der Beitrag auf die Frontpage der Online-Ausgabe geschafft hat, nicht minder. Dass Hunderte Leser und Leserinnen darauf mit Kommentaren reagiert haben, ist vollends faszinierend. Aber schauen wir erst mal.

Der Artikel enthält nicht weniger als sechs Farbfotos, auf denen eine Frau (hellhäutig, eher kein Migrationshintergrund, angetan mit grünen Gummihandschuhen) bei der Hausarbeit zu sehen ist. Sie putzt, sie wienert, sie reinigt. Auf dem letzten Bild ist sie gar in kauernder Haltung zu sehen, wie sie den Dielenboden aufwischt – eine ungesunde, ja entwürdigende Haltung, doch sie lächelt. Sie lächelt!

Sexismus, der drittbeliebteste Vorwurf

Die Frau auf dem Bild ist übrigens die Autorin selbst, fest angestellte Redakteurin des Blattes. Auf sie, so dachte ich, wartet jetzt die berüchtigte Geißel des Guardian: die Leserkommentare. Da wird den Verfassern gern mal der moralische Marsch geblasen, dass die Hardware wackelt. Vorzugsweise auch aus feministischer Warte; neben Rassismus und Faschismus ist Sexismus der drittbeliebteste Vorwurf, der in diesem Blatt kultiviert wird. Gefangene werden normalerweise nicht gemacht.

Ich war also auf vieles gefasst, als ich den Thread der mittlerweile 585 Kommentare anklickte. Nur um herauszufinden, dass der mit Abstand beliebteste nicht etwa die Frage thematisierte: Warum führt dieser von weiblicher Hand verfasste Artikel eine Frau als häusliche Putzkraft vor – das älteste aller Rollenklischees – und zwingt sie auch noch zum Lächeln für den männlichen Fotografen?

Stattdessen ging es um Haushaltschemikalien:

Ich verstehe nicht, warum in dieser Reinigungslösung eine schwache Säure und eine Kohlenstoff-Base kombiniert werden. Das Sprudeln kommt daher, dass die Zitronensäure mit dem Kohlenstoff zu Kohlendioxid und Wasser reagiert. Man erhält also nur eine verwässerte Lösung aus Natriumzitrat.

Natriumzitrat, wer hätte das gedacht. In diesen Diskurs brachten sich dann noch Hunderte anderer Leser ein. Die Briten, ein Volk von Chemikern? Man könnte es für möglich halten bei Beiträgen wie diesem:

Ich bin nicht wirklich überzeugt von der Essig-und-Backsoda-Idee. Dabei kommt nämlich dies heraus: NaHCO3(s) + CH3COOH(l) → CO2(g) + H2O(l) + Na+(aq) + CH3COO-(aq).

Genderneutrales Symbolfoto. Grün: das Reinigungsdingsda

Eine weitere Leserzuschrift, etwas weiter unten, aber immer noch ziemlich populär, ging die Sache recht wortkarg, dafür aus einem grundsätzlichen Blickwinkel an:

Was ist „Reinigen“?

Worauf ein anderer Leser die Auskunft erteilte:

Etwas, das offensichtlich besessene Frauen tun. Weshalb ich glücklich alleine lebe.

Und erst hier, wo der Vulgär-Sexismus aus allen männlichen Schweißporen trieft, kommt endlich wenigstens ansatzweise das lang erwartete Kontra:

Eine Menge sogenannter besessener Frauen sind ebenfalls glücklich, dass Sie alleine leben.

Aber das, meine Damen und Herren, war es auch schon! Das war alles an militantem Feminismus zu diesem hochbrisanten Reizthema. Jetzt stelle man sich dasselbe Theater in der Online-Ausgabe der „Süddeutschen“ vor – ach nein, da dürfen Leser ja die Weisheiten der Redaktion nur kommentarlos entgegenehmen wie anno 1972. Aber sagen wir, bei „Zeit Online“.

Okay, bei ZOn wäre es nie dazu gekommen. Selbstverständlich hätte auf den Bildern ein moderner, vollbärtiger, wuschelhaariger Mann und Familienvater auf Knien geschrubbt, während er gleichzeitig das Kleinkind in den Ofen geschoben hätte, um den Auflauf auf den Abendbrottisch zu bringen.

Rätsels Lösung: alles korrekt

Aber jetzt nur mal theoretisch: Eine Frau blickt hausputzend und lächelnd aus einem linksliberalen Blatt der deutschen Medienlandschaft. Was da los wäre! Wie da die Teller an die Wand flögen! Wie da die Entlassung des Fotografen gefordert und natürlich auch durchgeputscht würde! Existenzen müssen vernichtet werden, das ist heute so.

Oder vielleicht doch nicht?

Erst nach langem Recherchieren bin ich darauf gekommen, warum der Aufschrei der Empörung über die spaßputzende Foto-Frau selbst im extremfeministischprogressiven Guardian ausgeblieben ist. Auf die Spur brachten mich zwei weitere Kommentare, zunächst der hier:

Ich habe rausgefunden, was mein Haus wirklich sauberkriegt: Agnes, meine Reinigungskraft.

Und endgültig dann dieser:

Das sind nützliche Tipps, die man an seine Putzkraft weitergeben sollte, denn ich glaube nicht, dass sie den „Guardian“ abonniert hat.

Rätsels Lösung! Es gibt hier kein Femen-Rollkommando und keinen #metoo-Shitstorm, weil sich die Guardian-Leserin als solche mit dem Putzteufelimage gar nicht angesprochen fühlen könnte. Dafür hat man ja die Perle. Ob die nun Agnes heißt oder Njeri oder Faizah. Der Perle sollte man allerdings mit dem geballten Haushaltschemiewissen aus der Grammar School auf die Sprünge helfen, denn dazu ist Privatschulbildung da.

Und deswegen ist es auch völlig okay, hier im Guardian eine Frau zu zeigen, die putzt. Weiblich sind Agnes, Njeri und Faizah ja letzten Endes doch irgendwie auch. Um aber als aufgeklärtes Medium einer ehemaligen Kolonialmacht erst gar keine Fragen aufkommen zu lassen, zeigt das Blatt hier lieber eine Guardian-Redakteurin, die lächelnd selbst die Dielen schrubbt.

Sehen Sie, so ist alles in Ordnung. Niemand wird diskriminiert. Jeder hat Arbeit. Alle haben was gelernt.

Der Artikel darüber, warum der faschistische, rassistische und sexistische Brexit das gottgegebene Recht auf die Versorgung mit günstigem Hauspersonal gefährdet, steht dann morgen im Guardian.