Eine Serie über die Verwertbarkeit unserer Emotionen – marktwirtschaftlich kühl kalkuliert
Manchmal muss man sich Makroökonomen vorstellen wie die Psychologen der Volkswirtschaft. Sie arbeiten sich nicht nur daran ab, die voraussichtliche Veränderung des realwirtschaftlichen Bruttosozialprodukts möglichst korrekt vorherzusagen. Nein, sie kalkulieren sogar die Wertschwankungen im Gefühlshaushalt der Nation. Und da sieht es in der aktuellen Völkerwanderungs-Krise gar nicht gut aus.
Denn, so leid es mir tut: Alles ist in Euro und Cent darstellbar. Selbst die vermeintlich edelsten Motive aus dem Bereich der Hilfsbereitschaft haben immer – wenn man wie der Androide Data aus „Star Trek“ seinen Emotions-Chip kurz deaktiviert und mal ganz sachlich draufschaut – einen Gegenwert. Noch besser gesagt: einen Tauschwert. Der Mensch ist andauernd viel zu sehr in emotionale Händel mit anderen Menschen verstrickt, um diesen Tauschwert ignorieren zu können.
Es ist ihm allerdings im Laufe seiner Kulturgeschichte gelungen, diesen an sich beschämenden Umstand erstaunlich gut zu tarnen. Und da ist es dann wieder an den Ökonomen, diesen Illusions- und Spaßbremsen, die Tarnung ab und zu niederzureißen. Es sei denn zum Beispiel, ein Politiker kommt ihnen zuvor und enttarnt sich gleich selbst.
„Bis zum Sommer waren die Flüchtlinge dankbar, bei uns zu sein“, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière im heute-journal. „Jetzt gibt es schon viele Flüchtlinge, die glauben, sie können sich selbst irgendwohin zuweisen. (…) Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren.“
Sehen Sie, sehen Sie? So schnell kommen beim Thema Dankbarkeit Euro und Cent ins Spiel! Es ist eben nicht die selbstlose Liebe einer Mutter Theresa, die den Minister antreibt. Dankbarkeit ist offensichtlich eine Währung, in welcher in ausreichendem Maße zurückgezahlt werden muss, wo zunächst ausdrücklich „kostenlose“ bzw. „unentgeltliche“ Hilfe gewährt wurde.
Die Gleichung im Minister-Statement sieht ungefähr so aus: Sei der Wert eines (emotionalen) Hilfspakets = x, dann muss die Brutto-Dankbarkeit (z + y) mindestens x entsprechen, wobei y als Wert in diesem Fall beispielsweise einer Taxifahrt von Hamburg nach München (ca. 790 Euro) anzusehen ist. Der Dankbarkeits-Saldo ist mithin nur ausgeglichen, wenn er neben dem Wert x auch die 790 Euro saldiert, die im unentgeltlichen Hilfsbereitschaftsangebot nicht enthalten waren.
Beachtenswert ist bei diesem Beispiel von Gefühlsmathematik, dass im Unterschied zum rein materiellen Tauschhandel bei jeder anderen Art von Warengeschäften der Betrag von 790 Euro gar nicht vom Rechnungssteller ausgelegt wurde. Es ist ja nicht der Minister, der die Taxifahrt des Flüchtlings bezahlt hat, sondern der Flüchtling selbst. Doch dem hätte dieses Vermögen in den Augen des Rechnungsstellers gar nicht zugestanden; gerade deshalb wurde ja von ihm Dankbarkeit als Deckungsbeitrag erwartet. Umkehrschluss: Nur wer selbst Geld hat, braucht nicht mit Dankbarkeit zu zahlen.
Und es wird noch faszinierender: Die geschuldete Dankbarkeit muss nicht einmal von demjenigen geleistet werden, der Empfänger der ursprünglichen Hilfsbereitschaft war. Sie kann auch „fremdfinanziert“ werden, etwa in Form von Anerkennung durch Facebook-Likes. Das Schema: Mensch hilft Flüchtlingen, schreibt darüber auf Facebook, erhält 15 „Gut gemacht!“-Kommentare von Dritten – und der Saldo ist ausgeglichen. Bei nur zwei Likes allerdings bliebe eine gewisse Anerkennungs-Deckungslücke in den (Gesichts-)Büchern.
Sie glauben nicht, dass Sie so berechnend sind? Machen Sie einen Test in einem anderen Zusammenhang: Schenken Sie Ihrem Patenkind bei jedem Besuch eine Tafel Schokolade. Registrieren Sie leuchtende Kinderaugen und andere mehr oder weniger subtile Dankbarkeitsbezeugungen. Wenn Sie aber nur Gleichgültigkeit oder blanke Gier feststellen – wie lange dauert es, bis Sie nichts mehr mitbringen? Das ist dann der Moment, wo Ihnen jemand x mal 0,99 € Dankbarkeit schuldet.